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Eine Welt ohne lodernde Flammen und schwelende Glut? Das hat die Natur nicht vorgesehen. Brände sind elementar wichtig für gesunde Ökosysteme: Sie verjüngen Bestände und halten die Nährstoffdynamik im Gleichgewicht. In manchen Regionen ist das Waldklima so ungünstig – zu kalt und mit einer zu kurzen Vegetationsperiode –, dass der Rohhumus nicht abgebaut wird. Erst das Feuer zersetzt die Biomasse auf dem Boden in ihre mineralischen Bestandteile, sodass die Nährstoffe von den Pflanzen aufgenommen werden können.

Wer an Waldbrände denkt, hatte bis vor kurzem wohl vor allem Australien, den Mittelmeerraum oder Afrika im Sinn. Brände haben aber auch weiter nördlich schon immer dazugehört, sagt Thomas Hickler, Leiter der Arbeitsgruppe Biogeographie und Ökosystemforschung am Senckenberg Biodiversitäts- und Klimaforschungszentrum (SBiK-F) in Frankfurt. Er beschäftigt sich mit Fragen zur Walddynamik und entwickelt Modelle, wie sich Wälder unter Einfluss des Klimawandels verändern. Sogenannte boreale Wälder brannten früher alle 50 bis 150 Jahre, sagt er. Seit einigen Jahren aber brennt es immer häufiger in der borealen Zone, in den Taiga- oder Nadelwaldgebieten Nordamerikas und Eurasiens. Während global gesehen immer weniger Waldfläche brennt, machen boreale Wälder mittlerweile etwa 70 Prozent aller abgebrannten Waldflächen aus.

2023 gilt als eine der bislang schlimmsten Waldbrandsaisons in borealen Wäldern. Kanada, Alaska, Sibirien, überall wüteten sogenannte Megafeuer. Solche Feuer sind verheerend, weil sie größer, heißer und intensiver sind als normale Waldbrände. Häufig bekommt der Mensch sie nicht allein unter Kontrolle, sondern nur mit Unterstützung günstiger Winde oder viel Niederschlag. Megafeuer können das Erdreich verkohlen: Torfschichten, Wurzeln und andere organische Materialen werden zu unterirdischen Glutnestern, die selbst dann noch monatelang weiterschwelen können, wenn die Flammen oberirdisch gelöscht sind. Wenn sich die oberen Bodenschichten dadurch verändern, Samen oder symbiotische Pilze in der Erde zerstört werden, verliert der Wald die Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren. Allein in Kanada verbrannte 2023 eine etwa siebenmal größere Waldfläche als in anderen Jahren. Die Feuer zerstörten ein Gebiet halb so groß wie Deutschland und entließen dabei fast 1,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Bereits seit 20 Jahren emittieren die kanadischen Wälder mehr CO2 als sie aufnehmen.

Die Klimakrise begünstigt die Feuersaison – und weil es immer häufiger brennt, verstärken die entstehenden Treibhausgase die Klimakrise.

Dass es in borealen Wäldern immer häufiger und stärker brennt, bereitet Thomas Hickler Sorge: Dieser Trend könnte sich in Zukunft noch verschlimmern. Was wir momentan als Extreme wahrnehmen, wird in einigen Jahren normal sein – und wiederum deutlich krassere Extreme hervorrufen.

Die Beziehungen zwischen dem Ökosystem Wald und dem Phänomen des Feuers, sie sind komplex. Drei zentrale Ursachen lassen sich für die steigende Zahl an Megafeuern in borealen Zonen ausmachen: die Klimakrise, der dichte Waldwuchs und die Entzündungsquellen. Für mindestens zwei dieser Aspekte ist der Mensch hauptverantwortlich.

Schauen Sie uns an, Herr Sturm: Es ist Ende September und wir sitzen hier bei 25 Grad im T-Shirt, sagt Kirsten Thonicke. Die Geoökologin arbeitet als Expertin für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Ihr Team simuliert mit Modellen, wie hoch die Brandgefahr ist, wenn sich das Klima ändert oder der Mensch die Wälder nutzt. An einem Beispiel erklärt sie die komplexen Zusammenhänge: Der Bau von Straßen zerschneidet Waldgebiete. Das kann das Risiko für Waldbrände senken, weil die Straßen eine Barriere gegen die Ausbreitung des Feuers bilden. Andererseits trocknet der Boden leichter aus, wenn das Kronendach der Bäume nicht mehr geschlossen ist. Wachsen dort leicht brennbare Gräser, steigt die Brandgefahr wieder.

Hinzu komme, dass die globale Erwärmung das Feuerrisiko in der borealen Zone enorm verstärkt. Höhere Temperaturen führen zu stärkerer Verdunstung, trockeneren Böden und längeren Dürreperioden, sagt Thonicke. Einem OECD-Bericht zufolge hat sich die Dauer der jährlichen Feuerwettersaison seit 1979 zudem um 27 Prozent verlängert. Früher konnte man außerhalb der Feuersaison kontrollierte Brände legen und damit versuchen, den Ausbruch von Megafeuern zu verhindern. Heute gibt es kaum noch Zeitfenster dafür.

Nicht nur Klima und Landnutzung, auch wie die Wälder beschaffen sind, führt laut Thonicke zu mehr borealen Megafeuern: In nördlichen Regionen stehen vor allem artenarme Wälder. Der Boden ist übersät mit Nadeln, Tot- und Unterholz, Moosen und Flechten – leicht entflammbare Biomasse. Die Äste der Bäume, zum Beispiel von Schwarzfichten, reichen tief hinunter. Fangen sie Feuer, steigen die Flammen schnell bis in die Kronen auf. Angefacht durch den Wind, setzt das Feuer gewaltige Energien frei. Eine hohe Flammenfront fegt durch den Wald.

Mit anderen Worten: Das romantisierte Bild vom dichten, grenzenlosen Wald, wie wir es in Werbefilmen oder Naturschutzkampagnen sehen, es ist ein Teil des Problems. Deswegen plädieren Experten wie der US-amerikanische Feuerökologe Paul Hessburgfür die Kraft des Patchwork: Statt durchgehende Waldflächen anzustreben, sollten wir über einen borealen Flickenteppich nachdenken, über Zonen, die immer wieder durch offene Gras- und Weideflächen als natürliche Brandschutzzonen unterbrochen sind.

Das romantisierte Bild vom dichten, grenzenlosen Wald ist ein Teil des Problems.

Doch steht das nicht im Widerspruch zum globalen Bestreben, möglichst viel Wald zu erhalten und aufzuforsten, um dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken und zugleich mehr CO2 zu speichern? Jein, meint Kirsten Thonicke. Die Bundesregierung und die Weltgemeinschaft fordern und fördern im Kampf gegen den Klimawandel großflächigen Waldaufbau. Die Brandrisiken werden dabei bisher nicht bedacht. Es ist ein Dilemma: Indem wir den Wald schützen und wiederaufforsten, schaffen wir unweigerlich die Grundlage, dass in Zukunft noch mehr Waldfläche abbrennen wird.

Das wiederum wird Auswirkungen auf unser Klima haben. Experten sprechen vom sogenannten doppelten Kreislauf: Die Klimakrise begünstigt die Feuersaison – und weil es immer häufiger brennt, verstärken die entstehenden Treibhausgase die Klimakrise. Das zunehmende Waldbrandrisiko und damit die Gefahr zusätzlicher CO2-Emissionen durch Waldbrände müsse unbedingt in die CO2-Senkenfunktion einbezogen werden, sagt Thonicke.

Dass es im vergangenen Sommer wieder heftig in Kanadas Wäldern brannte, konnte Benedikt Gast im mehr als 7.300 Kilometer entfernten Leipzig beobachten. Nicht nur in den Nachrichten, sondern auch im Himmel über Sachsen und an den Ergebnissen seines Laser-Experiments. Gast ist Doktorand am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) und entwickelt mit anderen Forschenden eine Methode, um biogene Aerosole in der Troposphäre und der unteren Stratosphäre zu erkennen und zu untersuchen, unter anderem Rauchpartikel, die bei Waldbränden entstehen.

Dafür sendet das Team vom TROPOS Licht in drei verschiedenen Wellenlängen als Laserstrahl senkrecht in den Himmel. Dort trifft die Strahlung auf verschiedene Moleküle und Partikel, beispielsweise Wassertropfen, Pollen, Staub, Eiskristalle – oder Rauchpartikel von Waldbränden. Daran, wie das Licht reflektiert, gestreut und polarisiert wird, erkennen wir, welche Aerosoltypen sich in der Atmosphäre über uns befinden. UV-Licht bringt zum Beispiel Rauchpartikel zum Fluoreszieren. Mit Gasts Methode lässt sich Waldbrandrauch besser erkennen und von anderen Aerosoltypen unterscheiden als zuvor. Mit Modellen des Luftmassentransports der US-amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde kann er nachvollziehen, woher die Partikel stammen.

Noch ist wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen Waldbrandpartikel in der Stratosphäre auf das Klima haben. In dieser Atmosphärenschicht, die sich zwischen 12 und 50 Kilometer über der Erdoberfläche erstreckt, können sie sehr lange zirkulieren. Die Forschenden des TROPOS gehen davon aus, dass Waldbrandpartikel den Strahlungshaushalt und die Wolkendecke über lange Zeiträume und große Gebiete hinweg beeinflussen können.

Kein Feuer entfacht sich selbst. Ganz egal, ob die Temperatur auf 40, 50 oder gar 60 Grad Celsius steigt: Es braucht einen Funken. Über die Entzündungsquellen wird zu selten gesprochen, sagt Thomas Hickler vom SBiK-F. Klar ist: Die meisten Feuer sind menschgemacht. Analysen des WWF zeigen, dass zwischen 2010 und 2014 nur sieben Prozent der Waldbrände in Russland durch Blitzschläge entfacht wurden. Der große Rest, 93 Prozent, war entweder Folge von Brandstiftung oder Funkenflug, etwa an Stromleitungen oder Eisenbahnen. Die Zahlen dürften für andere Regionen ähnlich sein. Eine noch unveröffentlichte Studie des SBiK-F zeigt zudem einen Zusammenhang zwischen Waldbrandrisiko und Human Development Index: Extensive Landwirtschaft, Brandrodung und lückenhafte Überwachung und Bekämpfung von Bränden machen den Kampf gegen das Feuer in ärmeren Ländern noch schwieriger.

In unseren Breiten fordern Experten wie Thomas Hickler und Kirsten Thonicke schon länger: Wir müssen die Leute sensibilisieren, sich im Wald vorsichtiger zu verhalten. Muss dafür der Zugang vielleicht zeitweise sogar ganz verboten werden? Da gehen die Meinungen auseinander. Gänzlich vermeiden lassen sich Feuer wohl niemals, deshalb kommt es darauf an, sie früh zu entdecken und zu bekämpfen.

Künstliche Intelligenz könnte in Zukunft dabei helfen. Derzeit testet das Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik im Verbund mit mehreren Partnern das Potenzial von 5G-Technologie und maschinellem Lernen bei der Brandfrüherkennung. Für das »Waldwächterprojekt« installierten die Projektpartner auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz Feuerwachtürme mit hochauflösenden Kameras und 50 Boden- und Rauchgassensoren. Sie erfassen vollautomatisch rund um die Uhr Temperatur und Feuchtigkeit in Luft und Boden, Luftdruck und Lichtstärke – viel genauer und verlässlicher als es ein Mensch in mehrstündigen Schichten könnte.

Kein Feuer entfacht sich selbst – es braucht einen Funken.

Kann der Mensch dem Wald helfen, sich wieder selbst zu helfen?

Haben große Feuer früher das Überleben borealer Wälder gefördert, indem sie wichtige Nährstoffe für Pflanzen freisetzten, zerstören heute Megafeuer die Fähigkeit der Wälder, sich selbst zu regenerieren. Kann der Mensch dem Wald helfen, sich wieder selbst zu helfen? Pierre L. Ibisch ist skeptisch. Der Waldökologe arbeitet seit 20 Jahren an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde und forscht dort zum Klimawandel und seinen Folgen für Wald, Waldmanagement und Naturschutz. Die borealen Wälder, sagt Ibisch, hätten zum stabilen Klima der letzten 10.000 Jahre beigetragen – und davon profitiert. Nun jedoch beobachten Experten, dass boreale Wälder zu den ersten großen Ökosystemen gehören, die in der Klimakrise unter Druck geraten und auf Kipppunkte zusteuern.

Um Wälder im Klimawandel resilienter zu machen, brauche es unbedingt mehr Baumarten, mehr genetische Vielfalt, sagt Thomas Hickler vom SBiK-F. Zumindest an Extremstandorten könnte assisted migration ein Weg sein. Dabei werden Arten, die an wärmeres, trockeneres Klima angepasst sind, in kleinen Mengen an neuen, nördlicheren Standorten gesät oder gepflanzt. In Deutschland könnten beispielsweise die Flaumeiche oder die Ungarische Eiche interessant werden. Die Einbringung gebietsfremder Arten ist jedoch stark reglementiert.

Pierre L. Ibisch sagt: Ich habe den Glauben daran verloren, dass der Mensch die Wälder so einfach zu stabilen, funktionierenden Ökosystemen umbauen kann. Das ist ein falsches Narrativ. Wir müssen vielmehr den Ökosystemen des Waldes wieder erlauben, sich selbst zu entwickeln und diese Entwicklung dann fördern – das ist ein großer Unterschied.

Umstritten ist das Konzept der assisted migration ohnehin. Die Idee, Bäume von irgendwoher in ein anderes Biom zu bringen und ihnen damit sozusagen Flügel zu verleihen, verkennt, dass Wälder nicht nur aus einzelnen Bäumen bestehen, sondern integrierte Ökosysteme sind. Auch sei es fraglich, ob importierte Bäume langfristig überhaupt im borealen Lebensraum überleben können. Der sei, so Ibisch im Sommer extrem heiß und trocken und im langen Winter extrem kalt und lichtarm.

Die steigende Brandgefahr im borealen Wald jedenfalls lasse sich nicht bekämpfen, indem man das Ökosystem verändere. Verändern müsse sich der Mensch. Denn das Hauptproblem, da sind sich die Forschenden einig, ist der menschliche Ressourcenhunger. Pierre Ibisch wünscht sich deshalb, dass wir aufhören, die Wälder immer weiter auszunutzen: Wir müssen sie stattdessen als unsere Verbündeten in der Klimakrise hätscheln und beschützen.

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