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Dass der Schutz der Haut für andere Lebewesen und Lebensräume zur Gefahr werden kann, wurde Susanne Saha im Karibikurlaub auf Antigua und St. Martin vor sieben Jahren bewusst. Die Korallen waren tot, und schuld war nicht der Klimawandel, sagt Saha, die als Fachärztin für Hautkrankheiten in Karlsruhe arbeitet. Als sie damals im türkisblauen Wasser badete, war unter ihr kein bunter Meeresboden zu sehen, sondern nur noch Weiß und Grau: Korallenbleiche, ausgelöst unter anderem durch Rückstände von UV-Filtern. Die stecken in Sonnencremes, die Badenden von der Haut gespült werden und im Wasser zurückbleiben.

Fast 20.000 Tonnen Sonnenschutzmittel wurden 2017 in Deutschland produziert. Zehn Jahre zuvor waren es laut dem Statistischen Bundesamt noch rund 11.700 Tonnen. Sonnenbaden wie in den 1980er Jahren – ohne Sonnencreme, aber dafür mit viel Öl für die Bräune – gibt es heute kaum noch. Die Ozonschicht, die einen Großteil des UV-Lichts abfängt, wird immer dünner. Dadurch gelangt mehr UV-Strahlung auf die Erde und somit auf unsere Haut. Die Folge: Zwischen 1970 und 2015 hat sich die Anzahl der Hautkrebserkrankungen verfünffacht. Es kostete viel Aufklärungsarbeit, bis im Bewusstsein der Menschen ankam: Sonnenschäden begünstigen Hautkrebs.

Einige UV-Filter stehen im Verdacht, Krankheiten wie Parkinson oder Krebs zu begünstigen.

SUSANNE SAHA

Als Dermatologin weiß Susanne Saha, dass Sonnenlicht gefährlich für die Haut ist. Doch sie weiß auch, wie sehr die Umwelt unter UV-Filtern leidet. Circa 14.000 Tonnen Sonnenschutzmittel landen jährlich in den Weltmeeren. Und nicht nur für die Natur, auch für den menschlichen Organismus sind die chemischen Filter besonders kritisch, sagt Saha: Einige chemische UV-Filter stehen im Verdacht, Diabetes, Fettleibigkeit, Parkinson oder Krebs zu begünstigen. Eindeutig wissenschaftlich belegt sind diese Vermutungen allerdings noch nicht. Bisher gibt es lediglich Hinweise aus Studien, die auf einen Zusammenhang hindeuten.

Ausgelöst werden die Krankheiten laut Saha durch sogenannte endokrine Disruptoren. Das heißt: Die UV-Filter können hormonell wirksam sein, indem sie über die Haut ins Blutsystem gelangen, natürliche Hormone imitieren und so unerwünschte Reaktionen im Körper auslösen. Octinoxat, Oxybenzon und Octocrylene heißen die umstrittenen Stoffe, die auf der Inhaltsliste vieler Sonnencremes stehen. In europäischen Produkten ist Oxybenzon zwar kaum noch zu finden, doch Octocrylen wird derzeit am häufigsten eingesetzt.

Hawaii hat beide Filter den Gewässern zuliebe verboten, genauso wie der Pazifikstaat Palau und Key West in Florida. Die Verbote basieren auf Untersuchungen, die einen direkten Zusammenhang zwischen dem Korallensterben und den Stoffen der Sonnencremes nachgewiesen haben. Den Löwenanteil an der Korallenbleiche macht zwar der Klimawandel aus – aber gegen das Sonnencremeproblem können die Behörden vor Ort mit den Verboten konkret handeln, um die Korallen zu schützen.

Fische im Meer

Die Hormone aus den UV-Filtern wirken auch auf aquatische Lebewesen, erklärt Ingo Kirst, Öko-Toxikologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Umweltbundesamtes: Wirbeltiere haben einen ähnlichen Hormonhaushalt wie wir. Bei Wasserorganismen sei die Wirkung sogar stärker, da sie sensitiver für Hormone sind und den ganzen Tag in den Schadstoffen schwimmen. In der Folge kommt es zur Verweiblichung, männliche Fische entwickeln durch den hormonellen Einfluss weibliche Geschlechtsmerkmalle. Im schlimmsten Fall werden sie unfruchtbar, sagt Kirst. Schon jetzt sei zu beobachten, dass bestimmte Arten in besonders belasteten Gewässern nicht mehr vorkommen.

UV-Filter allein sind daran nicht schuld, sagen Experten. Wir haben einen Chemikalien-Cocktail in den deutschen Gewässern, so Kirst. Es sei schwer zu sagen, welcher Stoff genau der Auslöser für die Umweltschäden ist. Doch besonders bei den Sonnenfiltern ist die Datenlage dürftig. Fakt ist: Die Natur kann mit chemischen Filter nicht umgehen. Sie reichern sich an – besonders in den Gewässersedimenten, also im Boden.

Wie weit die Stoffe ins Meer hinausgetragen werden und wie langlebig sie sind, dazu wurde bisher nur wenig geforscht. Kathrin Fisch vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung (IOW) in Warnemünde will das ändern. Die 30-Jährige untersucht Gewässer nicht nur auf UV-Schutzmittel, sondern auf alle möglichen Fremdstoffe, neben Industriechemikalien zählen Pflanzenschutzmittel und Pharmazeutika dazu. Und sie konzentriert sich dabei nicht allein auf die Ostsee. Fisch ist Post-Doc im Forschungsprojekt MEGAPOL. Das international aufgestellte Team untersucht menschgemachte und natürliche Umweltveränderungen im Südchinesischen Meer, um deren Auswirkungen auf das marine Ökosystem besser zu verstehen.

Wo Menschen mit Wasser in Kontakt kommen, findet man die Stoffe, nach denen wir suchen.

Kathrin Fisch

Katrin Fisch vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde
Foto IOW

30 Tage hat Kathrin Fisch auf einem Forschungsschiff im Südchinesischen Meer verbracht und rund um die Uhr Wasserproben entnommen, teils aus 4.000 Metern Tiefe, bei Wellengang und jedem Wetter. Nach ersten Untersuchungen werden die Proben noch auf dem Schiff aufkonzentriert und bei -20 Grad Celsius konserviert, um die Stoffwechselprozesse zu stoppen, damit die im Wasser enthaltenen Fremdstoffe später im heimischen Labor analytisch identifiziert werden können. Sind die Proben sicher an Land, werden die Sedimente gefriergetrocknet und homogenisiert. Die Schadstoffe extrahiert Isabel Fisch dann mithilfe spezieller Lösungsmittel, zum Beispiel auch mit UV-Licht. Diese Extrakte werden dann ihrerseits analysiert.

Das Südchinesische Meer ist für die Forscherin besonders interessant. Dort, wo Menschen mit Wasser in Kontakt kommen, findet man die Stoffe, nach denen wir suchen. Und im Pearl Delta River, dem Delta des Perlflusses, der ins Südchinesische Meer mündet, leben Millionen Menschen. Hier, im einwohnerstärksten und urban verdichtetsten Raum der Welt, schlägt das Herz der chinesischen Wirtschaft. Millionenstädte wie Hongkong und Macau liegen in der Metropolregion dicht beieinander.

Fisch und die anderen Forschenden konnten im Südchinesischen Meer so untersuchen, wie die Wechselwirkungen zwischen Land, Küste und Ozean in besiedelten Gebieten entstehen – und sie konnten nachweisen, dass UV-Schutz-Rückstände nicht nur in Küstennähe, sondern auch weit draußen, im offenen Ozean zu finden sind. Doch trotz des Ballungsraums an der Küste hat das Südchinesische Meer einen Vorteil: Die immensen Wassermassen des angrenzenden Pazifiks verdünnen das schadstoffbelastete Wasser aus dem Delta.

Ein Effekt, der in der vergleichsweise kleinen Ostsee fehlt. Auch in Wasserproben aus ihrem Heimatgewässer hat die Chemikerin Schadstoffe gefunden, die aus Sonnencremes stammen: 30 Nanogramm UV-Filter pro Liter Ostseewasser konnte sie nachweisen. Die Ostsee ist durch die Fremdstoffe besonders gefährdet, sagt Kathrin Fisch: Sie wird auch als Konzentrationsbecken bezeichnet. Umgeben von Land tauscht sie – anders als das Südchinesische Meer – nur wenig schadstoffarmes Salzwasser mit der Nordsee aus. Stattdessen wird sie hauptsächlich aus Frischwasser von Flüssen gespeist. Und die tragen ihrerseits Schadstoffe ein. Dazu kommt das geringe Wasservolumen: Im Vergleich zu anderen Meeren werden Schadstoffe in der Ostsee weniger verdünnt. In Badeseen ist die Verdünnung noch einmal geringer, erklärt Fisch, da in ihnen noch weniger Wasser auf noch mehr Badegäste trifft.

Gerät zum Entnehmen von Wasserproben
FOTO IOW
Forschungsschiff
Foto IOW

In Deutschland sind die Grenzwerte für viele Fremdstoffe in Gewässern reguliert. Für UV-Filter hingegen gibt es keine Obergrenze. Dadurch fehlt auch ein flächendeckendes Monitoring – und somit der Überblick über den Zustand der Gewässer. Die Schätzungen des Umweltbundesamtes beruhen auf einzelnen Forschungen, kritisiert auch Ingo Kirst vom Umweltbundesamt. Nur wenige Bundesländer, Bayern und Nordrhein-Westfalen etwa, haben Sondermessprogramme für UV-Filter. Doch für ein Verbot chemischer Filter reichen die bisher gesammelten Daten nicht aus.

Für den Meeresschutz brauche es dabei nicht zwingend Verbote von UV-Filtern, sagt Kathrin Fisch: Es reicht, wenn Sonnencreme sachgemäß verwendet wird. 30 Minuten lang soll sie einziehen, ehe man ins Wasser hüpft. Noch besser: Erst nach dem Baden eincremen. Denn wer direkt schwimmen geht, wäscht einen Teil sofort wieder ab. Die EU setzt gerade die Non Toxicant Environment Strategie um. Bis 2050 sollen keine umweltschädlichen Stoffe mehr ins Ökosystem eingetragen werden. Bis dahin muss Aufklärung ausreichen.

Das ist zu wenig, findet Ingo Kirst: Aufklärung ist eine schöne Sache, aber die schiebt dem Verbraucher den schwarzen Peter zu. Kirst wünscht sich stattdessen eine stärkere Regulierung der Stoffe. Die Cremes einziehen zu lassen, helfe zwar, aber: UV-Filter werden vom Körper ausgeschieden. Sie gelangen also trotzdem über die Oberflächengewässer ins Meer. Auch wenn die Konzentration so deutlich geringer ist, als wenn die Stoffe direkt eingetragen werden.

Korallenriff

Dass es tatsächlich nicht immer Verbote braucht, um Wandel herbeizuführen, zeigen andere Fälle aus der Kosmetikbranche. Das beste Beispiel sind aluminiumfreie Deodorants. Als Deos mit Aluminium vor einigen Jahren in Verruf gerieten, strichen immer mehr Hersteller den Stoff von der INCI-Liste, erinnert sich Kathrin Fisch: Wenn so ein Hype bei den Verbrauchern erst einmal aufkommt, ist immer wieder zu sehen, dass die große Masse etwas bewegen kann.

Beim UV-Schutz deutet sich das bereits an. Auch ohne Verbot haben viele Hersteller reagiert, die Drogerie-Regale sind voll von Sonnencremes, die mit »Ocean«, »Climate« oder »Riffproof« werben. Ist das alles nur Greenwashing? Die Inhaltsstofflisten dieser Cremes verraten: Sie basieren nicht auf chemischen UV-Filtern, sondern auf mineralischen Partikeln. Zinkoxid oder Titandioxid reflektieren das Sonnenlicht auf der Haut und bilden so eine Schutzbarriere. Einziges Manko: ein unschöner weißer Film auf der Haut. Um den zu verhindern, werden die Teilchen in Nanopartikel zerkleinert. Auf der Liste der Inhaltsstoffe der Sonnencremes sind solche Partikel mit dem Zusatz »nano« versehen.

Auch diese mineralischen Nanopartikel können zwar problematisch für die Unterwasserwelt sein, denn sie lösen sich nicht auf. Und trotzdem: Titandioxid und Zinkoxid sind deutlich umweltfreundlicher, da es natürliche Stoffe sind, sagt Kirst. Die Natur kann mit ihnen besser umgehen, da sie die Möglichkeit hat, sie zu verstoffwechseln oder zu binden.

Für Lebewesen im Wasser ist Zinkoxid allerdings hochtoxisch: Algen oder Wasserflöhen kann der Stoff erhebliche Schäden zufügen. Ob Titandioxid ebenso schädlich für aquatische Lebensformen ist, wird untersucht; noch fehlen Daten, um es eindeutig zu belegen.

Trotz aller Risiken für die Umwelt: Ultraviolette Strahlung ist extrem schädigend für die Haut, darin sind sich Dermatologin Saha, Ostseeforscherin Kathrin Fisch und Öko-Toxikologe Ingo Kirst einig. Die Medizinerin Saha rät deshalb nicht pauschal von Sonnencreme ab, solange die Produkte ohne Octocrylene, Oxybenzone, Octinoxat, Parabene oder Nanopartikel arbeiten.

Der beste Sonnenschutz kommt aus Sahas Sicht allerdings ohnehin ganz ohne bedenkliche Inhaltsstoffe aus: Schatten, langärmelige Kleidung aus hellem Baumwollstoff und eine Kopfbedeckung.

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