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Der Hofstaat

Nicht sehr ansehnlich, dafür außergewöhnlich: Nacktmulle werden bis zu über 30 Jahre alt und erkranken, anders als viele andere Tiere, praktisch nie an Krebs. Als Ausnahme unter den Säugetieren leben sie in einem eusozialen Staat mit bis zu 300 Tieren – ähnlich wie Ameisen oder Bienen. Jedes Mitglied hat seine Aufgabe: An der Spitze steht die Königin, die sich als einzige fortpflanzt. Junge Nacktmulle helfen bei der Brutpflege oder kümmern sich um den Ausbau der Gänge. Andere Tiere bewachen die Zugänge zur Kolonie. Sie verzichten auf ihre eigene Fortpflanzung und riskieren bei der Verteidigung ihr Leben. Woher kommt dieses augenscheinlich altruistische Verhalten? Eine mögliche Erklärung ist die klassische Theorie der Verwandtenselektion: Die Mitglieder eines Staates sind bestrebt, ihre eigenen Gene möglichst effektiv weiterzugeben – und sei es indirekt über die verwandten Nachkommen. Für die meisten wäre es zu riskant, bei dem harschen Klima unter der Erde mit wenigen, weitverstreuten Futterpflanzen abzuwandern und eigene Kolonien zu gründen. Sie bevorzugen daher eher die Strategie, im Hofstaat zu bleiben und bei der Aufzucht von Geschwistern zu helfen.

Illustration eines Nacktmulls

Das Matriarchat

Listig, faul und bösartig wurden Hyänen im Zeichentrickfilm „König der Löwen“ dargestellt. In der Realität sind sie Tiere mit einem komplexen, unter den Raubtieren einzigartigen Sozialverhalten. Tüpfelhyänen leben in Clans mit bis zu 130 Tieren, an der Spitze stehen die Weibchen mit ihren Nachkommen, die Männchen sind meist zugewandert. Kommt es zu Kämpfen, stehen die hochrangigen Weibchen an vorderster Front. Unter Einsatz ihres Lebens verteidigen sie ihre Beute vor anderen Hyänengruppen oder Löwen. Auch bei territorial patrols sind es vorwiegend die Weibchen, die intensiv die Grenzen ablaufen, koten, urinieren, ihre Duftmarken absetzen und ihr Territorium verteidigen. Dieses – auf den ersten Blick betrachtet – verantwortungsvolle Verhalten gegenüber der Gruppe ist jedoch vor allem motiviert durch Eigeninteresse: Die Hochrangigen bekommen einer strengen Hierarchie folgend das meiste von der Beute ab. 

Illustration einer Tüpfelhyäne

Die Wächter

Wie Zinnsoldaten stehen sie aufrecht, die Vorderbeine vor dem Oberkörper, den Blick wachsam in die Ferne gerichtet. Für Erdmännchen ist das nicht nur Pose, sondern eine wichtige Überlebensstrategie. Als soziale Wesen leben sie in Familien und bilden Gemeinschaften mit bis zu 30 Tieren. Bei der Nahrungssuche halten einige Mitglieder Ausschau, während die anderen mit ihren Krallen auf dem Boden scharren und nach Futter suchen. Nähert sich ein Raubvogel oder ein Schakal, stoßen die Wächter einen schrillen Warnschrei aus. Nach mehreren Stunden wird gewechselt. Diese Strategie soll das Überleben der Gruppe sichern – und damit jedes einzelnen Erdmännchens.

Illustration einer Gruppe von Erdmännchen, die aufrecht sitzend Wache halten

Die Allianz

Überlebenswichtig können auch Kooperationen zwischen zwei Arten sein, in denen beide voneinander profitieren. Solch eine klassische Symbiose beobachten wir zum Beispiel bei Ameisen und Blattläusen. Der Kot von Blattläusen – poetischer auch Honigtau genannt – ist bei den Ameisen als Nahrung sehr beliebt. Wenn eine Ameise das Hinterteil einer Blattlaus mit ihrer Antenne berührt, ist es ein Signal für die Blattlaus, einen Tropfen Honigtau abzugeben. Als Gegenleistung bewachen die Ameisen die Blattlauskolonien und schützen sie vor Marienkäfern oder anderen Fressfeinden.

Illustration einer Ameise zusamme mit Blattläusen

Der Ventilator

Viele Steinkorallen leben in enger Gemeinschaft mit Riffbarschen. Forschende gehen davon aus, dass ihre Symbiose ähnlich wie die zwischen Anemonen und Clownfischen funktioniert: Die Fische finden in den Korallenästen Schutz vor Fressfeinden. Als Gegenleistung liefern sie mit ihren Ausscheidungen wichtige Nährstoffe für die Korallen. Auffällig ist aber, wie unermüdlich die Barsche mit ihren Flossen fächeln, wenn sie sich zwischen den Ästen der Koralle aufhalten. Neue Untersuchungen haben dieses Rätsel gelöst. Während die Korallen nachts Sauerstoff zum Atmen benötigen, scheiden sie ihn tagsüber im Zuge der Photosynthese aus, die die Algen in den Korallenpolypen betreiben. Staut sich zu viel Sauerstoff in ihrer Nähe auf, wird ein wichtiges Enzym gehemmt. Hier kommen die Barsche als lebende Ventilatoren ins Spiel: Mit dem Fächeln sorgen sie für eine bessere Wasserzirkulation, sodass der Sauerstoff abtransportiert werden kann. Vor allem in strömungsarmen Gewässern wie Lagunen spielen sie damit eine besonders wichtige Rolle für die Korallen.

Illustration eines blauen Riffbarsch neben einer Koralle

Die Symbiose

Sie siedeln sich an den Wurzeln von Hülsenfrüchtlern wie Linsen, Erbsen und Bohnen an und bilden mit ihnen eine Symbiose. Knöllchenbakterien sind in der Lage, den molekularen Stickstoff aus der Luft so zu binden und chemisch umzuwandeln, dass er in Form von Ammonium oder Nitrat von den Pflanzen als Nährstoff aufgenommen werden kann. Das ermöglicht es den Hülsenfrüchtlern, auch auf stickstoffarmen, kargen Böden zu gedeihen. Als Gegenleistung schaffen die Pflanzen ein optimales Lebensumfeld für die Bakterien: Sie regeln den Sauerstoffgehalt im Boden und stellen Wasser, Kohlenhydrate sowie weitere organische Stoffe zur Verfügung.

Illustration einer Pflanze

Die Beschützerin

Wittert sie Gefahr, stellt sie sich schützend vor die Gruppe. Die Leitkuh ist bei Elefanten für das Wohl der gesamten Herde verantwortlich. Während die Männchen ab der Pubertät als Einzelgänger umherziehen, bleiben die Weibchen mit ihren Jungtieren bei der Herde. Die erfahrenste unter ihnen wird zur Leitkuh – meist behält sie ihre Rolle bis zum Tod. Sie trifft wichtige Entscheidungen für die Gruppe, schlichtet Streit und bestimmt die Verteidigungsstrategie. Sie gibt an, welchen Weg die Herde einschlagen soll, um Futter- und Wasserstellen zu finden, die für alle ausreichen. Elefanten sind sehr intelligent, sie spielen, haben ihre Sprache und ein komplexes Zusammenleben, sagt Mathias Zilch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung. Sie haben Empfindungen – Mitgefühl gegenüber anderen Tieren der Herde. Da kommt man mit Erklärungen wie rein instinktives Verhalten nicht weiter.

Illustration einer Elefantenherde

HINTERGRUND

Bei der Recherche konnte unsere Autorin auf die Expertise von gleich vier Leibniz-Instituten zurückgreifen. Mit Susanne Holtze und Oliver Höner vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung sprach sie über mutige Nacktmulle und Hyänen-Weibchen, Matthias Zilch vom Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung erzählte ihr von Blattläusen, Erdmännchen und Elefanten. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung erfuhr sie mehr über Riffbarsche und Steinkorallen, am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung lernte sie die Symbiose von Hülsefrüchtlern und Knöllchenbakterien kennen.

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