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Erstmal geschlechtslos

Um die Herrschaft im Schwarm der Blaukopf-Junker an sich zu reißen, wechselt das stärkste Weibchen nach dem Tod des dominanten Männchens das Geschlecht. Die Prozesse dahinter sind komplex: Ein Umweltreiz (hier: das Ableben des Anführers) löst Stress aus, sodass ein bestimmtes Gen – die Aromatase – nicht mehr von der DNA abgelesen werden kann. Männliche Hormone (Androgene) können deshalb nicht in weibliche Hormone (Östrogene) umgewandelt werden, wie das für Wirbeltiere sonst charakteristisch ist. Aus Weibchen werden Männchen. Geboren wird Thalassoma bifasciatum übrigens geschlechtslos und bildet sein Geschlecht erst später aus. Ein Wechsel bleibt auch dann möglich. In Gebieten, in denen sich viele Fische tummeln, ist die Wahrscheinlichkeit dabei größer, dass Weibchen zu Männchen werden. In weniger belebten Gefilden werden Männchen eher zu Weibchen.

Illustration. Der Kopf eines Fisches ragt aus dem Kreis des männlichen Gender-Symbols heraus.

Blähen und brüten

Es beginnt mit einem Tanz: Mit zurückgebogenem Kopf umkreisen Seepferdchenmännchen ihre Auserwählte und blähen immer wieder den Bauch auf. Irgendwann, manchmal erst nach Tagen, haben sie das Ziel ihrer Balz erreicht: Das Weibchen spritzt ihre Eier mit ihrem Ovipositor in die Bauchtasche des Männchens. Hippocampus verteilt die Rollen also anders: Die Männchen brüten nicht nur aus – sie sind tatsächlich schwanger. In ihrer Bruttasche werden die unbefruchteten Eier von einem Gewebe umwachsen, das die Atmung regelt und einer Plazenta gleicht. Ähnlich wie trächtige Säugetierweibchen, versorgen männliche Seepferdchen ihren Nachwuchs nach der Besamung so mit Sauerstoff und Nährsubstanzen. In den kommenden zehn bis zwölf Tagen entwickeln sich die Eier zu kleinen Seepferdchen. Bei der Geburt presst das Männchen sie in wehenartigen Schüben ins Wasser. Ab jetzt müssen sie sich alleine durchschlagen.

Illustration zweier Seepferdchen, von denen eines einen aufgeblähten Bauch hat, der zugleich das männliche Gender-Symbol darstellt. Ein Kreuz unter dem anderen Seepferdchen macht es zum weiblichen Gender-Symbol.

Kuckucksväter

Sie sind Meister der Illusion. Sonnenbarsche haben zwar ein genetisch festgelegtes Geschlecht, kennen allerdings ein raffiniertes Täuschungsmanöver: Bei Sonnenschein nehmen kleinere Männchen die Färbung und das Verhalten weiblicher Artgenossinnen an, um sich in die Reviere argloser dominanter Männchen zu schleichen. Ohne angegriffen zu werden, verschaffen sie sich so Zugang zu den Gelegen der echten Weibchen, besamen diese unauffällig und suchen das Weite. Sonnenbarsche haben also zwei Typen von Männchen: die, die sich ein Revier erkämpfen und so versuchen, Weibchen anzulocken – und kleine, schon früh fortpflanzungsfähige Verwandlungskünstler. Die kümmern sich dann nicht einmal um den Nachwuchs, sondern lassen ihn von den hintergangenen Rivalen aufziehen. Auch Lachse und andere Fische kommen durch solche alternativen Balzmethoden auf ihre Kosten.

Illustration eines Fisches, dessen Schuppen in allen Richtungen fliegen.

Amazonen klonen

Die Amazonenkärpflinge haben keine Männchen. Wie sie sich vermehren, gab deshalb lange Rätsel auf. Das Zauberwort lautet: Jungfernzeugung. Die Nachkommen der unscheinbar silbrigweißen Fische sind hundertprozentige Klone der Mutter. Ganz ohne Partner geht es aber auch für sie nicht: Die Amazonenkärpflinge verführen die Männchen anderer Arten, lassen sie ihre Eier befruchten – und werfen die väterliche DNS im Anschluss wieder aus der Eihülle. Erstaunlich ist, dass sich bei dieser Form der Fortpflanzung über die Generationen keine genetischen Fehler anhäufen. Außerdem können sich Arten, die sich ungeschlechtlich vermehren, in der Regel nicht schnell genug an veränderte Umweltbedingungen anpassen, weil ihr Erbgut bei der Fortpflanzung nicht neu kombiniert wird. Dank der einzigartigen Variabilität im Genom von Poecilia formosa konnten die Amazonenkärpflinge sich aber über 100.000 Jahre an Veränderungen anpassen, ohne Erbgutschäden weiterzugeben. Das Beispiel der Fische zeigt, dass Evolution auch bei Klonen möglich ist. Dieses Phänomen der Gynogenese findet sich auch bei heimischen Steinbeißern und Giebeln.

Illustration vieler  Fische, die durch Luftblasen und Eier Schwimmen.

Monogame Rollenspiele

Als Paar leben sie häufig in alten Muschelschalen zusammen. Die Tabakbarsche sind jedoch Zwitter, besitzen also gleichzeitig weibliche und männliche Geschlechtsorgane, die sie auch eifrig nutzen. In der Forschung nennt man das »simultanen Hermaphroditismus«. Beim täglichen Laichen tauschen die Partner bis zu 20-mal die Geschlechterrolle, mal legen sie Eier, mal besamen sie das Gelege. Allerdings befruchten sie nie ihre eigenen Eier; diese Taktik wird als »egg parceling« bezeichnet. In der lebenslangen Partnerschaft ist Serranus tortugarum fast monogam. Nur wenige Barsche schwimmen fremd und befruchten die Eier anderer Fische oder tauschen sie aus.

Illustration von Schlangenförmigen Fischen, die ein achterförmige Formation darstellen. Oben bildet sie das männliche, unten das weibliche Gender-Symbol.

Man up!

Auch die Echten Clownfische leben monogam. Das Glück trauter Zweisamkeit hat Amphiprion percula allerdings nicht. Stattdessen lebt er in einer großen Gruppe kleiner Männchen in einer Anemone, deren giftige Tentakel den Tieren Schutz bieten. Das Sagen im Haus hat das einzige Weibchen, das mit dem größten Männchen in der Anemone für Zuwachs sorgt. Stirbt das Leitweibchen, gerät das soziale Gefüge durcheinander: Ein Männchen wechselt schnell das Geschlecht und nimmt sich als neues Weibchen das nächstgrößte Männchen zum Gatten. Um potenziellen Konkurrentinnen gar nicht erst die Tür aufzumachen, stresst es die Männchen seines Harems so sehr, dass sie in großen Mengen Cortisol ausschütten. Das Hormon unterdrückt den Geschlechtswechsel zuverlässig.

Illustration von Clownfischen, die durch das chemische Strukturmodell von Wasser schwimmen.

HINTERGRUND

Die Grundlage der Texte bilden zwei Sonderbände zur Evolution der Geschlechtschromosomen bei Wirbeltieren, die der Biologe Matthias Stöck vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei mitherausgegeben hat. Unterstützt hat uns außerdem Jörg Freyhof vom Museum für Naturkunde, Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung.

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