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Süß, sauer, bitter, salzig und umami – das sind die fünf menschlichen Geschmacksrichtungen. Doch warum ist »fettig« nicht die siebte Geschmacksqualität, welche Rolle spielt der Geruchssinn und welcher Geschmack warnt uns vor ungenießbaren Lebensmitteln? Die Journalistin Ursula Weidenfeld hat Maik Behrens gefragt, der am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München die Arbeitsgruppe »Geschmacks- und Geruchsrezeptoren« leitet.

LEIBNIZ Herr Behrens, was ist Geschmack?

BEHRENS Das ist gar nicht so einfach zu erklären, weil der Geschmacksbegriff typischerweise sehr weit gefasst wird – weiter als er eigentlich gehört. Tatsächlich schmecken wir im engeren Sinne nur die fünf Grundgeschmacksqualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami. Umami ist der Geschmack von Glutaminsäure. Das ist ein sehr herzhafter Geschmack, den wir in der Regel sehr gern mögen. Nur diese fünf werden durch die Geschmackssinneszellen wahrgenommen und sollten als Geschmack im eigentlichen Sinne angesprochen werden.

Und was ist mit fettig? Das wird im Moment immer als sechste Geschmacksrichtung genannt.

Das ist richtig. Es gibt zusätzlich zu den fünf Grundgeschmacksqualitäten immer weitere Kandidaten, die mehr oder weniger intensiv diskutiert werden. In den letzten Jahren ist es der Geschmack fettig. Der ist zumindest in Fachkreisen nicht allgemein akzeptiert, weil für eine Grundgeschmacksqualität wichtige Kriterien erfüllt sein müssen, die der fettige Geschmack, auch meiner Meinung nach, nicht erfüllen kann.

Und welche sind das?

Zunächst einmal braucht man einen speziellen Sensor für die Geschmacksqualität fettig. Da haben wir eigene Forschungen zu gemacht und die würde man tatsächlich finden auf der Zunge, in den Geschmacksknospen, in den entsprechenden Geschmacksrezeptorzellen. Wir wissen allerdings nicht, ob es eine eigenständige Population von Geschmacksrezeptorzellen für fettig gibt. Und das ist ein wichtiges Kriterium, denn man könnte sich vorstellen, wenn wir den Fett-Geschmacksrezeptor zum Beispiel auf bitteren Zellen hätten, dann würde Fett für uns eben nicht fettig, sondern bitter schmecken. Darüber hinaus muss die gewonnene Information aus unseren Geschmacksknospen ins Gehirn weitergeleitet werden, losgelöst von den anderen Grundgeschmacksqualitäten. Auch das ist noch nicht sichergestellt. Und in unserem Gehirn muss dann ein einzigartiger Geschmackseindruck, nämlich fettig entstehen, der nicht durch eine Kombination der anderen Grundgeschmacksqualitäten erklärt werden kann.

aufgeschnittene Orangen in rot und orange leibniz Magazin
Foto ELENA MOZHVILO/UNSPLASH

Sie haben schon gesagt, Geschmacksrezeptoren spielen eine große Rolle. Die sitzen auf der Zunge. Gibt es für die fünf Geschmacksrichtungen jeweils einen eigenen Rezeptor?

Ja, zum Teil gibt es sogar mehrere. Aber tatsächlich finden wir auf der Zunge in den Geschmacksknospen Zellen, die auf die Erkennung von einer der fünf Grundgeschmacksqualitäten spezialisiert sind. Also wir haben süß-spezifische Zellen, wir haben bitter-spezifische Zellen und so weiter. Für jede einzelne Geschmacksqualität.

Wodurch zeichnen sich diese Zellen aus?

Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie Rezeptorproteine exprimieren, also auf der Zunge herstellen, die spezifisch für die Chemikalien sind, die diese einzelnen Geschmacksqualitäten auslösen. Zum Beispiel haben wir einen Rezeptor für das Kochsalz Natriumchlorid, das ist in dem Fall ein Ionenkanal. Wir haben einen Rezeptor, der erkennt alle Süßstoffe und wir haben mehrere Rezeptoren für die Erkennung von Bitterstoffen.

Haben alle diese Rezeptoren einen Platz auf der Zunge? Schmecke ich vorne süß und hinten bitter?

Da sprechen Sie die alten Zungenkarten, die man häufig noch in Lehrbüchern findet, an. Die sind nicht korrekt. Das Ganze beruht auf einer Fehlinterpretation einer Arbeit von einem gewissen Herrn Hänig, der sich 1901 sehr detailliert angeguckt hat, wo auf der Zunge der Mensch welche Geschmacksqualität wahrnimmt. Da gibt es eine sehr schöne Zeichnung und im Prinzip kam dabei heraus, dass man überall auf der Zunge alles schmeckt. Nun gibt es einen wahren Kern für diese Zungenkarten. Tatsächlich nimmt man süß etwas sensitiver auf der Zungenspitze wahr und bitter zum Beispiel etwas sensitiver am Grund der Zunge. Aber grundsätzlich nimmt man überall auf der Zunge alle Geschmacksqualitäten wahr.

Haben alle Menschen den gleichen Geschmackssinn?

Ja, wir verfügen alle über eine Rezeptorausstattung, die die fünf Grundgeschmacksqualitäten abdeckt. Es gibt allerdings ein paar Varianten, sodass zum Beispiel bestimmte Bitter-Rezeptoren einzelnen Personen fehlen können oder bei ihnen etwas besser oder schlechter funktionieren. Das betrifft dann aber nur einen Teilgeschmack.

Und welche Rolle spielt der Geruch? Man schmeckt ja nicht nur, man riecht ja auch.

Da wären wir wieder bei dem Geschmacksbegriff. Der wird auch so eingesetzt, dass viele weitere Eindrücke zusätzlich zum Geschmack im engeren Sinne einfach mit hinzugezählt werden. Am Ende eines Essens urteilen wir häufig nur: Das hat gut geschmeckt, oder: Das hat schlecht geschmeckt. Tatsächlich spielen alle Sinne für die Geschmackswahrnehmung im weiteren Sinne eine große Rolle. Das fängt beim Sehsinn an, und ganz besonders eng verwoben mit dem Geschmackssinn ist der Geruchssinn.

Inwiefern spielt er eine Rolle?

Wir nehmen Geruchsstoffe nicht nur wie beim Riechen an einer Blume durch die Nasenlöcher von vorne kommend wahr, sondern auch beim Kauen werden flüchtige Substanzen aus unserer Nahrung freigesetzt, die dann praktisch von hinten, wie wir sagen, retronasal auf die Geruchsrezeptorzellen stoßen. Diese retronasalen Gerüche können wir extrem schwer separieren von dem eigentlichen Geschmackseindruck. Deswegen fällt es uns schwer, diese beiden Komponenten gut auseinanderzuhalten. Etwas leichter ist es, wenn man Schnupfen hat, denn da ist die Nase zugeschwollen, man nimmt kaum noch Gerüche wahr und alles, was man dann noch schmeckt, ist tatsächlich Geschmack im engeren Sinne.

Also gar nicht mehr so viel.

Wie gesagt, eben diese fünf Grundgeschmacksqualitäten.

Geschmacksforscher Maik Behrens
Maik Behrens vomm Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie. Foto J. KRPELA/LSB

Und wenn man sich diese fünf Grundgeschmacksqualitäten nochmal in Erinnerung ruft, die sie genannt haben: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Warum haben wir gerade diese? Wozu sind sie gut?

Tatsächlich sind wir damit sehr gut ausgestattet. Man geht davon aus, dass jede einzelne Geschmacksqualität eine bestimmte wichtige physiologische Rolle für uns spielt. Da haben wir zum Beispiel den Salzgeschmack. Der ist von Bedeutung für die Aufrechterhaltung unseres Elektrolytgleichgewichts. Sauer weist darauf hin, dass Früchte möglicherweise noch unreif sind oder dass Speisen bakteriell verdorben sein könnten, es ist also eher ein aversiver Geschmack. Der Süßgeschmack und der Umamigeschmack dienen der Detektion von Energie, also von Kalorien, entweder in Form von Kohlenhydraten bei Süß oder in Form von Eiweißmolekülen und Aminosäuren bei Umami. Und bitter warnt uns vor der Aufnahme potenziell giftiger Lebensmittelbestandteile.

Das hört sich sehr überzeugend an. Das heißt, dass die Menschen ganz früher, versucht haben, möglichst viel süß und umami zu essen, um Fett auf die Rippen zu bekommen und saure und bittere Nahrung zu vermeiden.

Das ist richtig. Das hat uns – neben anderen Tieren, die über dieselben oder ähnliche Geschmacksqualitäten verfügen – geholfen durch die Evolution zu kommen.

Schmecken denn alle Säugetiere dasselbe?

Tatsächlich ist das sehr angepasst an den jeweiligen Lebensraum. Grundsätzlich ist es so, dass alle Säugetiere eine ähnliche Zusammensetzung ihrer Geschmackswahrnehmung haben – mit Ausnahmen. Katzen haben zum Beispiel keinen Süß-Rezeptor und brauchen ihn auch nicht, weil sie keine süßen Stoffe in ihrer Nahrung vorfinden. Und Delfine, die haben überhaupt keine Geschmacksrezeptoren, weil sie die Nahrung weitgehend unzerkaut runterschlucken.

Obwohl alle Menschen dasselbe schmecken, also die gleichen fünf Grundgeschmacksqualitäten haben, gibt es Menschen, die hassen Rosenkohl und Personen, die eine unüberwindliche Aversion gegen Brokkoli haben. Wie kommt das?

Wir sind alle bei unserer Geburt relativ ähnlich gelagert. Tatsächlich ist uns eine Abneigung gegen Bitteres und eine Vorliebe für Süßes angeboren. Es macht aus evolutionärer Sicht Sinn, dass Kleinkinder sich weigern, irgendetwas Bitteres zu sich zu nehmen und natürlich die Energie, die durch die Süße angezeigt wird, brauchen. Nun machen wir alle im Verlauf unseres Lebens unterschiedliche Erfahrungen mit Nahrung. Das können positive oder negative Erfahrungen sein. Und diese Erfahrungen prägen unsere Vorlieben, sodass sich sehr häufig eine gewisse Toleranz für Bitteres entwickelt, wenn man zum Beispiel an Kaffee, Bier oder dunkle Schokolade denkt. Wichtig dafür ist, dass wir keine negativen Erfahrungen mit diesen Lebensmitteln machen. Ansonsten können wir auch eine sehr fundierte Abneigung entwickeln.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Maik Behrens, dem Leiter der Arbeitsgruppe »Geschmacks- und Geruchsrezeptoren«  am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München, können Sie in voller Länge im Podcast »Tonspur Wissen« von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für »leibniz«  haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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