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In Deutschland sind derzeit etwa 8,5 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt und jedes Jahr steigt die Zahl weiter an. Wie schlimm ist die Krankheit wirklich? Und was kann man tun, um nicht krank zu werden? In unserem Podcast „Tonspur Wissen“ hat die Journalistin Ursula Weidenfeld mit Michael Roden, dem Wissenschaftlichen Geschäftsführer des Deutschen Diabetes-Zentrums, Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf über die Zuckerkrankheit, ihre Risiken und neue Behandlungswege gesprochen.

LEIBNIZ Herr Roden, was ist Diabetes?

MICHAEL RODEN Diabetes mellitus ist das, was wir auch als Zuckerkrankheit kennen. Ganz einfach definiert, ist man zuckerkrank, wenn die Glukose im Blut bei nüchternem Zustand einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Dieser einzelne Schwellenwert deckt aber das komplexe Bild der Erkrankung nicht wirklich ab. Denn schon bevor der Wert überschritten ist, besteht ein Risiko für Multisystem- und Multiorgan-Erkrankungen. In dem Fall spricht man von einer Vorstufe von Diabetes oder einer Risikodiabetes.

Wie kommt es dazu, dass der Blutzucker so stark ansteigt?

Dafür gibt es zwei Hauptursachen. Zum einen kann die Produktion von Insulin in der Bauchspeicheldrüse gestört sein. Insulin ist ein Hormon, das hauptsächlich dazu da ist, den Stoffwechsel zu regulieren, also darauf zu achten, dass der Körper genügend Zucker, aber auch Eiweiß und andere Stoffe bekommt. Gibt es nicht ausreichend Insulin, ist der Körper nicht mehr imstande, den Blutzucker zu kontrollieren, und er steigt an. Hat die Zuckerkrankheit diese Ursache, spricht man von Typ-1-Diabetes.

Die zweite wichtige Ursache ist, dass die Organe, in denen das Insulin als Hormon wirkt, nicht mehr auf das Insulin ansprechen. Sie werden unterempfindlich oder sogar insulinresistent. Auch hier steigt der Blutzucker in der Folge stark an. Diabetes dieser Form bezeichnet man als Typ2-Diabetes.

Was sind mögliche Folgen eines zu hohen Blutzuckerspiegels?

Ein zu hoher Blutzuckerspiegel kann zu Bewusstlosigkeit, Koma und auch zum Tod führen, denn der Körper kommt mit diesem Übermaß an Zucker im Blut nicht zurecht. Vor der Entdeckung des Insulins und seiner Anwendung sind sehr viele Menschen an den Folgen eines zu hohen Blutzuckerspiegels gestorben.

Welche Personen erkranken an Diabetes? Gibt es Risikogruppen?

Je nach Typ ist das unterschiedlich. Typ-1-Diabetes wurde früher auch „Kindheitsdiabetes“ genannt, denn die meisten Fälle treten bereits im Kindes- und Jugendalter auf. Diese Form von Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung und wird durch eine Immunreaktion des Körpers, zum Beispiel durch eine Infektion oder bestimmte Umwelteinflüsse, ausgelöst. Der Körper erkennt daraufhin die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse als Fremdkörper, stößt sie ab und zerstört sie. Sobald nur noch zehn bis zwanzig Prozent dieser Zellen vorhanden sind, reicht das von ihnen produzierte Insulin nicht mehr aus und man spricht von einem Insulinmangel oder Typ-1-Diabetes.

Typ-2-Diabetes ist, mit 90 Prozent der Fälle, die am häufigsten auftretende Form von Diabetes. Für diese zweite Form der Zuckerkrankheit ist die häufigste Ursache Übergewicht beziehungsweise Adipositas. Zudem spielt das genetische Risiko bei Typ 2 eine größere Rolle als bei Typ 1.

Michael Roden Diabetes
Michael Roden. Foto DDZ

Es gibt ein genetisches Risiko, aber auch das eigene Verhalten kann beeinflussen, ob wir zuckerkrank werden. Wie können wir unser Risiko minimieren?

Für die Prävention von Typ-2-Diabetes sind vor allem eine gesunde Ernährung und körperliche Betätigung wichtig. Am besten isst man frische, unverarbeitete Lebensmittel. Konserven oder künstlich gesüßte und verarbeitete Produkte sollten keine wesentlichen Bestandteile der Ernährung sein. Und insgesamt sollte man nur so viel essen, wie man täglich an Kalorien verbraucht. Das ist sehr entscheidend. Dafür ist es wichtig, sich ausreichend zu bewegen. Denn: Je weniger man sich bewegt, desto weniger Kalorien verbrennt man und desto weniger kann man essen, um sein Körpergewicht aufrechtzuerhalten.

Welche Art der Bewegung empfehlen Sie?

Jede Form der Bewegung ist gut. Sinnvoll ist es, mindestens jeden zweiten Tag Sport zu treiben, optimalerweise sogar fast täglich. Gut ist es auch, zwischen Ausdauertraining, also zum Beispiel Laufen, Nordic Walking oder Radfahren, und dem Training mit Gewichten abzuwechseln.

Man sollte aber auch nicht vergessen, dass es neben dem eigenen Verhalten ein großes psychologisches Risiko und ein Umweltrisiko gibt. Unser Institut hat gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Umweltforschung vor einigen Jahren gezeigt, dass die Umwelt das Risiko, an Diabetes zu erkranken, stark beeinflusst. Menschen, die vermehrt umweltschädlichen Faktoren wie beispielsweise einer Feinstaubbelastung oder auch psychischem oder sozialem Stress ausgesetzt sind, haben ein deutlich erhöhtes Risiko, an Diabetes zu erkranken. ZumTeil auch unabhängig von der Ernährung und mangelnder Bewegung.

Es ist bekannt, dass es dem Körper schaden kann, dick zu sein. Trotzdem sind sehr viele Menschen übergewichtig. Liegt das daran, dass sie nicht bereit sind, ihr Verhalten zu ändern?

Da müssen wir weiter oben ansetzen. Das menschliche Verhalten ist sozial und gesellschaftlich geprägt. Die Stadtplanung etwa ist ein wesentlicher Punkt. Moderne Stadtplanung sollte so ausgerichtet sein, dass zum einen die wesentliche Infrastruktur gut erreichbar ist, aber dass andererseits auch gefördert wird, dass sich Menschen zu ihren Zielen zu Fuß oder mit dem Rad hinbewegen. Es gibt nach wie vor viele Fehlanreize, auch bei der Ernährung.

Wie sehen diese Fehlanreize aus?

Bestimmte Nahrungsmittel, die ich persönlich sogar eher als Nahrungstoxine bezeichnen würde, sind frei und vor allem günstig überall zu erwerben – also zum Beispiel Fast Food und stark verarbeitete Lebensmittel. Das Problem dabei ist nicht nur, dass diese Lebensmittel sehr kalorienreich sind, man also mit wenigen Bissen extrem viel Kalorien zu sich nimmt, ohne schnell davon satt zu werden. Sie sind häufig auch mit künstlichen Stoffen gesüßt, die zu einer Fettleber führen, aber auch das Risiko für Diabetes erhöhen können.

Frau auf Fahrrad in Berlin
Mit dem Fahrrad zur Arbeit. Foto DANYLO SOROKIN/UNSPLASH

Es erkranken immer mehr Menschen und auch immer früher an Diabetes. Dafür ist die Lebenserwartung der Erkrankten stark gestiegen.

Ja, das ist die eine gute Botschaft. Die meisten Zuckerkranken sterben heutzutage nicht an der gefährlichen Situation eines zu hohen Blutzuckerspiegels, sondern an chronischen Erkrankungen, die sich als Folge des hohen Zuckers oder der hohen Fette entwickeln. Der Grund für die Verlängerung der Lebensdauer sind deshalb Medikamente, die Folgeerkrankungen von Diabetes, vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenerkrankungen, immer effektiver behandeln und vorbeugen können. Allerdings ist die Lebenserwartung bei Zuckerkranken immer noch niedriger als bei Menschen ohne Diabetes. Zum einen hat sich also viel getan. Zum anderen ist Diabetes noch immer eine Krankheit mit Folgen, die nicht perfekt kontrolliert werden können.

Entstehen die Folgeerkrankungen unabhängig davon, wie früh Diabetes entdeckt und behandelt wird?

Je länger der Diabetes besteht, desto höher ist das Risiko für Folgeerkrankungen. Aber eine adäquate Therapie verhindert diese Komplikationen. Das konnte durch die moderne Diabetes-Therapie in den letzten Jahren deutlich verbessert werden. Bei Typ-1-Diabetes bedeutet es, das zu geben, was fehlt, nämlich Insulin. Und bei Typ-2 wird das behandelt, was gestört ist: das Übergewicht und die Funktionsfähigkeit der Zellen.

Es gibt sehr gute neue Diabetes-Medikamente, die aufgrund eines angenehmen Nebeneffekts im Augenblick sehr populär sind.

Ja, es gibt zwei neue Gruppen an Medikamenten. Neben den positiven Effekten, die sie auf die Diabetes- und Folgeerkrankungen haben, bewirken sie oft eine starke Gewichtsreduktion. Immer häufiger werden diese Medikamente deshalb auch in erhöhten Dosierungen bei Menschen verwendet, die übergewichtig sind, aber noch gar keinen Diabetes haben.

Natürlich würden wir uns eher wünschen, dass wir durch eine Änderung des Lebensstils eine Gewichtsreduktion erreichen könnten. Man muss aber fairerweise zugeben, dass für Menschen mit starker Adipositas dieses Ziel selbst mit intensiver, kontrollierter Diät und Lebensstil-Interventionen zum Teil nicht erreichbar ist. Die neuen Medikamente bieten die Möglichkeit, das Risiko einer langfristigen Adipositas auch unabhängig von Diabetes zu behandeln. Diese Therapie ist teuer, aber sie ist effizient.

Also können die Medikamente auch zum Abnehmen eingenommen werden?

Natürlich ist es aus meiner Sicht keine Option, dass Menschen, die gering übergewichtig sind, diese Medikamente nehmen und glauben, sie könnten sich damit eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung ersparen. Von einer Nutzung als Wohlstandsdroge rate ich massiv ab. Wir kennen die längerfristigen Folgen und Nebenwirkungen dieser Medikamente noch nicht – dafür gibt es einfach noch keine Studien. Außerdem handelt es sich um hormonartige Substanzen, die nicht so leicht herzustellen sind. Die Kapazitäten für diese hohe Nachfrage sind derzeit gar nicht gegeben. Doch in absehbarer Zeit werden diese Medikamente wahrscheinlich weitverbreitet sein.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Michael Roden vom Deutschen Diabetes-Zentrum, dem Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung, können Sie in voller Länge im Podcast Tonspur Wissen von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für leibniz haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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