»Am Institut hatten wir den Ruf, vor allem Urlaub zu machen«
Mein Leben als aktiver Wissenschaftler liegt bereits hinter mir. Die Zeit, von der ich berichten möchte, führt zurück in das Jahr 1988. Für unsere Forschung im Bereich der Denkmalpflege war es damals oft schwierig, an geeignete Proben zu kommen. So erfanden wir eine Art mobile Forschungsstation, mit der wir Proben von Denkmälern nehmen und diese direkt vor Ort untersuchen konnten. Dazu statteten wir ein normales Wohnmobil zunächst provisorisch mit einem Elektronenmikroskop aus. Der Start war holprig. Einer unserer ersten Einsätze führte uns in die Nähe von Hannover, wo wir im Auftrag eines Bundesministeriums eine bedeutende Wandmalerei aus dem 12. Jahrhundert untersuchen sollten. Vor Ort hielten sich auch einige führende deutsche Restauratoren auf, die mit unserem Vorhaben absolut nicht einverstanden waren. Nach langen Verhandlungen und unter strenger Beobachtung durfte ich schließlich einen millimetergroßen Splitter des Gemäldes untersuchen. Bereits die erste halbe Stunde brachte mehrere aufregende Erkenntnisse: Unter anderem fand ich mithilfe einer Pigmentbestimmung heraus, dass es sich bei dem Splitter um Lapislazuli handelte – sehr ungewöhnlich bei Gemälden aus dieser Zeit so weit im Norden. Damit konnte die Theorie bestätigt werden, dass es sich um ein Gemälde eines italienischen Malers handelte. Eine phänomenale Entdeckung, die letztlich dazu führte, dass unsere Idee der mobilen Teststation vom Bund gefördert wurde und wir insgesamt vier voll ausgestattete rollende Labore erhielten. Fortan arbeitete ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen immer abwechselnd an Objekten und im Institut. Dort hatten wir natürlich den Ruf, vor allem Urlaub zu machen, tatsächlich aber war die Arbeit sehr anstrengend. Mit der Zeit verfeinerten wir unsere Methoden, etwa das Gefriertrocknen von Proben mit flüssigem Stickstoff, um die Struktur der Probe zu erhalten. Damit erarbeiteten wir uns auch über Landesgrenzen hinaus einen exzellenten Ruf. 1999 erhielten wir sogar eine Anfrage aus China, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort bei der Restaurierung und Erhaltung der Terrakotta-Armee zu unterstützen. Diese Reise war natürlich ein Highlight meiner Forschungstätigkeit. Mein letztes Projekt vor dem Ruhestand führte mich noch einmal zu einigen Wandmalereien, die wir bereits vor 30 Jahren untersucht hatten, und zu Menschen, die wir noch von früher kannten. Wir wollten herausfinden, ob die damals eingeleiteten Maßnahmen sich positiv auf den Erhalt der Kunstwerke ausgewirkt haben. Abends in der Kneipe sprachen wir über die alten Zeiten. Das war nochmal ein schöner Abschluss für die jahrzehntelange Arbeit, die wir mit den Labormobilen geleistet haben, und auch für mich persönlich. Ansonsten habe ich in meinem Forscherleben genug erlebt. Aktuell lasse ich es mir lieber auf Urlaubsreisen zusammen mit meiner Frau gut gehen.
HERBERT JULING hat am Bremer Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien die Abteilungen »Baustoffmikroskopie« und »Metallographie« geleitet.
»Der Sprung in den eiskalten Fluss gleicht einer Wiedergeburt«
Meine Leidenschaft für Flüsse stammt aus meiner Kindheit. Ich bin an einem Fluss aufgewachsen und habe dort viel Zeit mit meinem Vater verbracht, einem passionierten Landschaftsmaler und Fischer. Er hat mir die Natur nahegebracht, die Muster, die ihr zugrunde liegen und ihre Universalität offenbaren. Diese Momente sind mir bei meinen Aufenthalten an der Forschungsplattform River Lab stets präsent. Dort, am Fluss Tagliamento im norditalienischen Friaul, der schon bei Dante erwähnt wird, verbringe ich bis zu drei Monate im Jahr. Gemeinsam mit meinen Kollegen führe ich Feldexperimente mit ausgeklügelter Messtechnik durch, um mehr über turbulente Strömungen, Flussbetten, Überschwemmungsgebiete und komplexe Phänomene der Flusskollision zu erfahren. Früh um vier Uhr beginne ich meinen Tag mit der Analyse von Daten und der Arbeit an wissenschaftlichen Papers – solange das Gehirn noch frisch ist. Nach dem Teamfrühstück legen wir unsere Ziele für den Tag fest. Ein paar Stunden benötigen wir, um die Geräte einzurichten, dann beginnen wir mit den Messungen. Die Hitze ist enorm: Bei 40 bis 60 Grad können wir Eier auf der Motorhaube unseres Landrovers braten. Die Mittagspause nutzen wir daher für ein erfrischendes Bad: Mit dem Kopf voran in das eisige und kristallklare Wasser des Flusses zu springen, vermittelt ein Gefühl der Wiedergeburt. Mein Arbeitstag endet mit einigen Kajak-Trainingseinheiten. Flusshydrodynamik zu erforschen bedeutet: Flüsse zu verstehen. Aus diesem Grund sind Rafting und Kajakfahren für mich nicht nur Outdoor-Aktivitäten, sondern auch ein Weg, um beruflich zu wachsen. Ich habe bereits an vielen Wildwasser-Expeditionen auf hohem professionellem Niveau teilgenommen. Zum Ausklang des Tages kochen wir meist ein traditionell italienisches Abendessen. Und wenn ich dann beim Einschlafen den Schreien der Eulen lausche und die Sterne hell durch das offene Fenster scheinen sehe, bin ich rundum glücklich.
ALEXANDER SUKHODOLOV leitet die Forschungsgruppe »Ökohydraulik« am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.
»Vor Afrika verschwand der Unterschied zwischen Tag und Nacht«
Im August letzten Jahres verabschiedete ich mich von meiner Familie und ging, zusammen mit 29 Kolleginnen und Kollegen an Bord des deutschen Forschungsschiffes »Sonne«. Bestens für unsere Tour vorbereitet lag es in Emden vor Anker. Unser Ziel: die Gewässer vor Namibia und Südafrika, die mit zu den fischreichsten Regionen des Atlantischen Ozeans zählen. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich das marine Ökosystem dort verändert und es stellt sich nun die Frage, mit welchen Auswirkungen auf die Produktivität und die CO2-Speicherung dieser Ökosysteme wir in Zukunft zu rechnen haben. Als wissenschaftlicher Leiter der Expedition war es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Arbeiten an Bord wie geplant durchgeführt werden können. Auf der Hinfahrt war ich meist damit beschäftigt, technische und logistische Herausforderungen zu stemmen. Was machen wir, wenn unsere Fangnetze den Belastungen nicht standhalten und reißen, Drahtseile brechen oder zu bergende Klimabeobachtunsgssysteme beginnen, mit der Strömung zu driften? Vor Afrika angekommen verschwand der Unterschied zwischen Tag und Nacht. Jetzt gaben die Arbeitseinsätze den Takt vor, wobei Wind und Wellen unseren Zeitplan häufig durchkreuzten. Um dennoch einen reibungslosen Arbeitsablauf zu gewährleisten, aktualisierte ich kontinuierlich die Einsatzplanung und sorgte für einen stetigen Informationsfluss. Ohne die enge Zusammenarbeit aller Personen an Bord wäre das nicht machbar gewesen. Zu all der Forschungsarbeit kamen aber auch die schönen und beschaulichen Momente, wenn wir zusammen an Deck standen, Wale und Delfine beobachteten, aber auch die Schönheit der kleinen Tiefsee-Tintenfische bewunderten, die unser Fotograf Solvin Zankl mit seiner speziellen Kameraausrüstung sichtbar werden ließ. Aus diesem intensiven Miteinander formte sich ein Team, das es kaum fassen konnte, als es sich nach drei Monaten auf See wieder trennen musste. Was bleibt, sind also nicht nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die daraus entstandenen Abschlussarbeiten, sondern auch zahlreiche Freundschaften, die an Bord geschmiedet wurden.
TIM RIXEN ist Biogeochemiker und widmet sich in seiner Forschung biogeochemischen Kreisläufen in tropischen Küstenökosystemen und Flüssen. Am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung leitet er die Arbeitsgruppe »Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe«.