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»Jede Dämmerung ist ein Erlebnis«

 

 

Die Feldstation »Chiquitos« liegt im Osten Boliviens, dort, wo die großen Biome Südamerikas zusammentreffen: aus dem Norden der feuchte Amazonas-Regenwald, aus dem Süden die trockene Dornbusch-Savanne des Gran Chaco und aus dem Osten der Cerrado, die südamerikanische Baumsavanne. Eine hochspannende Region! Die Station wurde 2009 eingeweiht. Seither nutze ich sie regelmäßig als Basis für meine Feldforschung. Als Bioakustiker dokumentiere ich die Klangteppiche von Ökosystemen, um daraus auf ihren Zustand zu schließen. Bei meinen Aufenthalten habe ich einen tragbaren Audiorekorder und ein Mikrofon dabei, um die Rufe der einzelnen Froscharten und -individuen zu dokumentieren. Irgendwann habe ich dann auch Langzeit-Audiorekorder im Feld installiert, um das Rufverhalten von Froschmännchen zu vergleichen. Mit Kamerafallen überwachen wir mittlerweile auch die Bestände von Säugetieren, vor allem des Jaguars. Von Deutschland aus – was mich zu meiner Freude dann jedes Mal virtuell in die Wildnis versetzt. Die Überprüfung und Wartung der Technik im Feld ist dagegen aufwändig: Wir unternehmen weite Fußmärsche und Ritte (per Pferd oder Motorrad) zu den Geräten, lesen Daten aus, wechseln Batterien. Danach geht es dann oft nachts noch auf Exkursion. Jede Dämmerung ist ein Erlebnis, wenn die Vogelorchester und der Insektensound lauter und schließlich von Heerscharen von Fröschen abgelöst werden, die sich die Kehle aus dem Leib quaken. Auch meine bisher einzige Begegnung mit einem Jaguar werde ich nicht vergessen. Auf Froschsuche stand ich bauchtief in einem Tümpel, als ich plötzlich merkte, dass ich von grell-orange reflektierenden Augen am Ufer beobachtet wurde – und mich daraufhin lieber vorsichtig zurückzog. Einen Schock-Moment gab es dagegen, als ich im Sommer 2020 erfahren habe, dass große Teile des Trockenwalds rund um die Station einer Viehweide weichen mussten. Das hat uns im Projekt tief erschüttert und in ökologische Trauer versetzt. Trotzdem machen wir weiter und versuchen nun stärker, die heimische Bevölkerung in Naturschutz-Projekte einzubinden. Denn gerade der Chiquitano-Wald wird in einem absolut atemberaubenden, erschreckenden Tempo vernichtet. Wir wissen genau, was wir dort an wunderbarer Natur schon verloren haben. 

MARTIN JANSEN unternahm seine erste Forschungs- und Sammelreise nach Lateinamerika bereits 1999 während seines Biologiestudiums. Bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, einem Leibniz-Forschungsmuseum in Frankfurt am Main, leitet er den Bereich »Audiovisuelle Biodiversitätsforschung« in der Abteilung »Terrestrische Zoologie«.

Martin Jansen nachts mit Stirnlampe, Rucksack und Aufnahmegerät im hohen Gras.
Martin Jansen nimmt das nächtliche Froschkonzert auf.
Die über 45 verschiedenen Froscharten rund um die Station haben alle einen unterschiedlichen Ruf, zum Beispiel dieser kleine Laubfrosch.
Und auch wenn Martin Jansen nicht in Bolivien ist, werden Naturgeräusche mit Hilfe von Langzeitaudiorekordern aufgezeichnet.
Jaguar und ein Junges auf glatten Felsen im Wald.
Außerdem stellt Martin Jansen Fotofallen auf. In diese ist ein Jaguar mit Jungtier getappt.
Außerdem vor der Linse: ein Tapir, ...
... ein Kappenreiher, ...
... ein Rotfußseriema, ...
... ein Nacktgesichthokko, ...
... und ein Königsgeier.
Vier Personen zeihen sich Gummistiefel und Jacken an. Flaschen, ein Mobiltelefon, eine Taschenlampe, Stifte, Taschentücher und weiter Ausrüstung liegt auf Tischen und Bänken verteilt.
Alltag in der Forschungsstation.
Gemeinsame Mahlzeit am Küchentisch.

»Mit dem Sonnenaufgang begann mein Arbeitstag«

Im vergangenen Winter war ich für sechs Wochen in Nicaragua, um auf der Kakaoplantage von Ritter Sport Fermentationsversuche durchzuführen. In meiner Promotion erforsche ich, wie Fehlaromastoffe bei der Fermentation, Trocknung und Lagerung von Kakao entstehen. Da diese Stoffe Schokolade nach Rauch oder Schimmel riechen lassen oder ihr sogar Noten von Pferdestall oder Mottenkugeln verleihen, müssen zum Teil ganze Kakaochargen vernichtet werden. Meine Hoffnung ist es, ein wenig dazu beitragen zu können, diese Verschwendung künftig zu reduzieren. Der Arbeitstag auf El Cacao begann mit dem Sonnenaufgang um 6 Uhr. Nach dem Ziehen der ersten Proben – eine sehr glitschige Angelegenheit – war es dann meist auch schon Zeit für das Frühstück. Für die Mitarbeiter gab es eine Kantine, wo zu allen Mahlzeiten Reis und Bohnen serviert wurden – früh mit Eiern, mittags ergänzt um ein Stück Fleisch. Dazu gab es ein Getränk aus frischen Früchten, eine Art Smoothie. Nach dem Frühstück wurden die Kakaobohnen der verschiedenen Proben aufgeschnitten, begutachtet und teilweise vermahlen, um am Nachmittag weitere Analysen durchzuführen und den Verlauf der Fermentation zu begutachten. Um 18.30 Uhr war es dann bereits stockdunkel. Untergebracht war ich in einer eigenen Cabana, einem Häuschen mit Schlafzimmer und Bad. Gegen die Hitze gab es einen Ventilator. Mindestens einmal täglich regnete es so stark, dass man im Labor kein Wort mehr verstand. Regelmäßig fiel kurz der Strom aus, was bei laufenden Messungen durchaus zu Frust führte. In meinen seltenen freien Momenten joggte ich auf der Plantage zwischen den Kakaobäumen, immer in der Hoffnung, ein Faultier zu entdecken. Einmal fuhren wir zu mehreren auf eine kleine Farm, pflückten Limetten und begutachteten den Anbau von Zimt und Pfeffer. Von den Mitarbeitern auf der Plantage wurde ich unglaublich herzlich unterstützt, all meine Wünsche wurden umgesetzt. Ich war die einzige Chemikerin vor Ort, das sorgte für viele neugierige Fragen, natürlich nicht nur über die Arbeit, sondern auch über Privates. Nicaragua ist ein armes Land, die politischen Sanktionen der Europäischen Union und der USA sind sehr spürbar. Viele Konsumgüter sind trotz der Armut so teuer wie in Deutschland. Trotzdem sind mir die Menschen stets freundlich und sehr lebendig begegnet. Gerne hätte ich mehr Zeit gehabt, um dieses schöne Land ausführlicher zu erkunden – die zahlreichen Vulkane hätten mich zum Beispiel sehr gereizt.

FRANZISKA KRAUSE ist Lebensmittelchemikerin. Am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München forscht sie in der Arbeitsgruppe »Food Metabolome Chemistry«, außerdem vertritt sie die Promovierenden des Instituts.

Franziska Krause steht hinter einer Kakaopflanze, sie hält eine Kakaofrucht in der Hand.
Für ihre Forschung hat Franziska Krause eine Kakaoplantage in Nicaragua besucht.
Ein Berg aus grün-gelben und bräunlich rot-orangenen Kakaofrüchten in einer offenen, überdachten Lagerhalle mit verschiedenen Geräten.
In den aufgeschnittenen Kakaofrüchten werden kommen weiße Kakaobohnen zum Vorschein.
Schneidet man die Bohnen auf, zeigen sich die verschiedenen Genotypen von Kakao.
Franziska Krause greift mit dem ganzen Arm in eine hölzerne Box voller bräunlicher Kakaobohnen.
Zwei Hände voller glitschig aussehender Kakaobohnen.
Kakaobohnen in unterschiedlichen Fermentationsstadien.
Gläser mit gelblicher, orangener und bräunlicher Flüssigkeit und Filtern mit dunkelbraunem Inhalt auf einer gefliesten Arbeitsfläche.
Im Labor wird getestet, wie viel Essigsäure und Ethanol die Kakaoproben enthalten.
Eine Reihe schlichter Backsteinhäuschen, um sie herum Rasen.
In einem dieser Häuschen wohnte Franziska Krause.
Blick über die Kakaoplantagen, der Himmel ist leicht rötlich gefärbt.
Leider fehlte ihr die Zeit, das Land zu erkunden.

»Ein freies Wochenende gibt es an der Station nicht«

 

 

 

Es war bereits mein dritter Aufenthalt am Marine Research Center: Etwa eine Woche habe ich im März 2022 im georgischen Grigoleti verbracht, diesmal in Begleitung von Partnern des Caucasus Barcode of Life-Projekts und 20 Studierenden. Für uns alle war es nach längerer pandemiebedingter Pause die erste Gelegenheit, wieder aktiv zu sammeln und zu forschen. Vor Ort haben wir auf Tagesexkursionen die naturräumlichen Gegebenheiten Georgiens, seine Biodiversität und Klimageschichte erkundet. Unser Ziel: möglichst viele Organismen sammeln und in die Projektdatenbank integrieren! Für gewöhnlich beginne ich meinen Tag an der Feldstation mit einer Tasse Instantkaffe, die ich am Strand genieße – mit Blick auf das Schwarze Meer. Danach heißt es, das Wetter zu checken und den Tag entsprechend zu planen. Wir packen die Ausrüstung in die Geländewagen und machen uns früh auf den Weg, um möglichst viel Zeit im Gelände zu verbringen, Pflanzen und Tiere zu studieren und zu sammeln. Zu meiner großen Freude konnten wir erstmals auch einige Standorte direkt nach der Schneeschmelze in Augenschein nehmen – und so hoffentlich Teile der Flora und Fauna erfassen, die später im Jahr nicht mehr anzutreffen sind. Derzeit laufen die Bestimmungsarbeiten noch, aber allein vom schieren Ausmaß der Diversität waren wir überrascht. Ein freies Wochenende gibt es an der Station nicht, jeder Tag im Feld ist kostbar. Nach getaner Arbeit gehört abends aber ein gutes Essen und ein schönes Glas Bier oder Wein dazu, bei denen man gemeinsam den Tag ausklingen und die besonderen Augenblicke noch einmal Revue passieren lässt. Etwa den Moment, wenn das Wetter aufklart und sich im Süden der Kleine Kaukasus und im Norden der Große Kaukasus mit ihren schneebedeckten Gipfeln zeigen. Die Schönheit und die Notwendigkeit des Schutzes unserer Umwelt werden dann besonders deutlich. Leider stand unser Aufenthalt aber auch unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine: Georgien selbst ist ja seit 2008 in Teilen von Russland besetzt, und in Gesprächen war die Anspannung förmlich spürbar. In einigen Tagen breche ich erneut in den Kaukasus auf, zusammen mit einer großen Gruppe Taxonomen des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels. Umfangreiche Sammelaktivitäten stehen auf dem Programm, dieses Mal auch in Armenien. Mit den gewonnenen Daten werden wir aufs Neue dazu beitragen, nachhaltige Nutzungs- und Schutzkonzepte für diese wunderbaren Naturräume zu entwickeln.

NILS HEIN koordiniert am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels das Projekt Caucasus Barcode of Life. Dessen Ziel: Möglichst zahlreiche Tier- und Pflanzenarten des Kaukasus sollen anhand ihres DNA-Barcodes in einer Referenzdatenbank erfasst und öffentlich zugänglich gemacht werden.

Nils Hein sitzt neben einem Hund auf einem Treppenabsatz.
Nils Hein auf Tuchfühlung mit dem Wachhund der Forschungsstation.
Bewaldete und weiter oben verschneite Gipfel vor blauem Himmel. Ein Baum im Vordergrund.
Das Enguri Tal in Swanetien, einer Region im Norden Georgiens, im Großen Kaukasus.
Türkisfarbenes Gewässer mit Felsen im Wald.
Auf Exkursionen ging es auch in den Mtirala National Park im Kleinen Kaukasus ...
Sumpfig aussehender Waldboden, mit Laub, Gräsern und weißen Blüten.
... und in die Feuchtgebiete des Kolkheti National Parks im Westen Georgiens.
Flaschen und Gläser mit buntem Inhalt auf einem Tisch aufgereiht.
Auf dem Markt in Batumi fanden die Forschenden eine bunte Mischung aus Eingemachtem und Saucen ...
Eine Gruppe von etwa dreißig Leuten sitzt zwischen Bäumen auf Plastikstühlen im Abendlicht. Im Vordergrund ein grünes Zelt und eine Hängematte, im Hintergrund ein Haus mit Flachdach.
... und kamen zum Abendessen auf der Grigoleti-Feldstation zusammen.
Strand mit Baum und Schilfgräsern, ein Steg langer Steg ragt ins Wasser hinaus.
Hinter dem Paliastomi See erhebt sich der Kleine Kaukasus.

»Der Boden glitzerte von den vielen Spinnenaugen«

Sie hat das Fernweh gepackt? Uns haben noch weitere Forschende von ihren Reisen erzählt. Hier lesen Sie Teil 2. Ein dritter Teil folgt demnächst.

Von meinem letzten Feldaufenthalt in der Region Menabe Central im Westen Madagaskars bin ich erst kürzlich zurückgekehrt. Ein Wiedersehen nach längerer Zeit: Für meine Doktorarbeit habe ich zwischen 2003 und 2007 insgesamt 15 Monate auf der Feldstation Kirindy in Madagaskar verbracht. Im Zentrum meiner Forschung standen damals die räumliche Verteilung, die Ökologie und das Verhalten des kleinsten Primaten der Welt: eine Lemurenart mit dem schönen Namen »Madame Berthes Mausmaki«. Die Feldarbeiten in seinem Lebensraum, dem westmadagassischen Trockenwald, kann man durchaus als sportlich bezeichnen: Bei Einbruch der Dunkelheit geht es mit der Stirnlampe hinaus, um die Populationen der nachtaktiven Lemuren zu erfassen. Besonders in der Regenzeit glitzert der Boden nachts förmlich – das sind die Augen der vielen Spinnen, die sich auf der Erde tummeln. Für die morgendlichen Fallenkontrollen heißt es, um 5 Uhr aufstehen, unter Zuhilfenahme eines Eimers und einer Tasse duschen und beim Anziehen der Klamotten dann auf mögliche Zwischennutzer achten – ein sich wehrender Skolopender (das ist ein als aggressiv geltender Hundertfüßer) im Schuh kann nachhaltig Schmerzen verursachen. Die Fallenkotrollen sind immer spannend: Ist vielleicht eine unerwartete Art dabei? Die Lemuren zeigen ausgeprägte und sehr unterschiedliche Persönlichkeiten: Während sich die einen ängstlich in die hinterste Ecke der Falle drücken, schießen einem andere mit einem Kampfgewicht von oft nur 20 bis 60 Gramm beim Öffnen des Fallendeckels entgegen. Nach der Rückkehr ins Camp folgt die Vermessung und Markierung der gefangenen Tiere sowie die genetische Probenentnahme, bevor es am späten Nachmittag wieder zurück in den Wald geht, um die Tiere an ihrem jeweiligen Fangort in die Freiheit zu entlassen. Abends im Camp herrscht dann öfters ausgelassene Stimmung, landestypische Lieder werden gesungen – die Madagassen sind ein sehr musikalisches  Volk. Die Vielfalt an Tieren und Pflanzen ihres Landes ist faszinierend, aber leider auch stark bedroht. Und so hatte mein jüngster Aufenthalt auf der Kirindy-Station einen wenig erfreulichen Hintergrund: Der kleinste Primat der Welt wurde in seinen angestammten Gebieten schon seit ein paar Jahren nicht mehr gesichtet. Nach vier Wochen Suche habe ich im Norden der Region Menabe Central jedoch eine Population gefunden, die es nun weiter zu untersuchen gilt, um die Art durch gezielte Schutzmaßnahmen vor dem globalen Aussterben bewahren zu können. Drücken Sie uns die Daumen!

LIVIA SCHÄFFLER ist Leiterin der Sektion »Naturschutzökologie« am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig. Gemeinsam mit dem Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg bildet das Leibniz-Forschungsmuseum seit 2021 das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB).

 

Livia Schäffler mit einem Vasa-Papagei.
Madame Berthes Mausmaki, der kleinste Primat der Welt.
Madame Berthes Mausmaki ist der kleinste Primat der Welt. Dieses Exemplar hat Schäffler während ihres jüngsten Aufenthalts auf Madagaskar entdeckt – nach vier Wochen Suche.
Rund um die Station sind unzählige weitere Tiere zu Hause: darunter der Graue Mausmaki, ...
... der Rotstirnmaki, ...
... Webervögel, ...
Ein Opulurus cuvieri, eine grau-bräunliche Eidechse klettert einen Baum hoch.
... Opulurus cuvieri, eine Eidechsenart, ...
... die Madagaskar Hakennasennatter, ...
... ein Phelsuma, ...
... das Labord's Chamäleon, ...
... und Cheirogaleus medius, ein Fettschwanzmaki, den die Forscherin nachts beobachtete.
Sandige Landstraße, die von Affenbrotbäumen gesäumt wird.
Die Allée de Baobab (»Affenbrotbaum-Allee«) ...
Teilweise mit Holz verkleidete Gebäude mit roten Türen und Fenstern um einen sandigen Platz. Vereinzelt Bäume und Sträucher, ein weißer Pickup ist halb zu sehen.
... führt von der Stadt Morondava zur Feldstation.
Strand bei Sonnenuntergang mit Piroge, einem langen hölzernen Boot und vereinzelten Personen.
Am Strand von Morondava, an der Westküste Madagaskars.

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