LEIBNIZ Herr Humpenöder, ist Fleisch überhaupt noch ein Thema? Es leben doch ohnehin schon sehr viele Menschen vegetarisch oder vegan.
FLORIAN HUMPENÖDER Das mag in Ihrer persönlichen Bubble so sein. Und ja, tatsächlich hat der Fleischkonsum in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren leicht abgenommen. Allerdings essen wir durchschnittlich noch immer fast doppelt so viel Fleisch wie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen – nämlich etwa ein Kilogramm pro Woche statt 300 bis 600 Gramm. Das ist nicht nur ein gesundheitliches Problem, sondern belastet Klima und Umwelt ganz erheblich. Der größte Übeltäter ist das Rindfleisch.
Inwiefern ist Rindfleisch besonders schädlich?
Landwirtschaft und Ernährung sind global für ein Drittel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, das ist ein gewaltiger Posten. Und die Produktion von Rindfleisch ist dabei ein sehr großer Faktor, weil man große Flächen an Weide- und Ackerland für das Futter braucht. Wälder müssen gerodet werden, dadurch entstehen CO2-Emissionen. Der Wasserverbrauch ist immens. Hinzu kommen Methan- und Lachgasemissionen.
Am besten wäre es also, ganz auf Fleisch zu verzichten?
Ja, aber vielen Menschen fällt das nach wie vor schwer. Die Industrie hat das erkannt und bietet inzwischen eine ganze Reihe von Fleischalternativen an, die den Geschmack und die Konsistenz von Fleisch nachahmen.
Der Markt ist in der Tat voll davon: Es gibt Lupinen-Burger, Soja-Steaks und Fleischsalat aus Jackfruit …
Genau, da sind zum einen die pflanzlichen Alternativen auf Basis von Soja, Hülsenfrüchten, Sonnenblumenkernen und vielem mehr. Als zweite Kategorie wäre kultiviertes Fleisch zu nennen, sogenanntes In-vitro-Fleisch. Hier versucht man, Muskelzellen, also Fleisch, synthetisch zu züchten, was momentan noch sehr aufwendig und teuer ist. Kultiviertes Fleisch ist deshalb noch nicht auf dem Markt erhältlich und müsste in der EU auch erst einmal im Rahmen der Novel Food-Verordnung zugelassen werden.
In Ihrer Studie bringen Sie eine weitere Fleischalternative ins Spiel.
Sie basiert auf einer dritten Kategorie: dem aus Pilzkulturen gewonnenen mikrobiellen Protein. Entsprechende Produkte sind in Großbritannien schon seit 1985 auf dem Markt. Auch in der Schweiz sind sie im Supermarkt erhältlich, und grundsätzlich ist mikrobielles Protein auch EU-weit zugelassen. In Deutschland kann man es aktuell aber nur online bestellen.
In welcher Form gibt es diese Produkte zu kaufen?
Eine Kollegin war neulich in der Schweiz und hat im Supermarkt das entsprechende Regal fotografiert. Da gab es eigentlich alles, was es auch sonst an der Fleischtheke gibt: Ich erinnere mich an Hack, aber auch an Burger Patties, Bratwürste und Filet.
Woraus besteht mikrobielles Protein, wenn nicht aus Pflanzen?
Es handelt sich um Pilzmyzel, das durch Kultivierung des Pilzes Fusarium venenatum im Bioreaktor gewonnen wird. Dabei geht es übrigens nicht um genetisch modifizierte Pilze – auch auf diesem Gebiet ist ja einiges in Bewegung. Aber den Pilz, von dem wir hier reden, gibt es wirklich in der Natur. In den 1960er Jahren hat man in Großbritannien herausgefunden, dass man sich ihn zunutze machen kann. Ich finde das interessant: Schon damals war man auf der Suche nach hochwertigen Eiweißquellen, die als Alternativen zu Fleisch dienen könnten.
Warum haben Sie nicht pflanzliche Produkte untersucht, die es bei uns in den Geschäften für alle zu kaufen gibt?
Das wäre sicher auch spannend gewesen. Aber der mikrobielle Fleischersatz hat aus unserer Sicht besonders interessante Eigenschaften. Zum einen enthält er, ähnlich wie tierische Produkte, alle essenziellen Aminosäuren. Zum anderen lässt sich die Herstellung stärker von der Landwirtschaft entkoppeln als bei pflanzlichen Alternativen. Während Felder für den Anbau von Soja oder Lupinen unabdingbar sind, kann der Zucker, den die Pilzkulturen als Nährstoff benötigen, zum Teil auch aus Rest- und Abfallstoffen kommen.
Und wie wird der mikrobielle Fleischersatz produziert?
Mikrobielles Protein wird durch Fermentierung im Bioreaktor hergestellt – also in einer Fabrik. Das hat auch den Vorteil, dass man deutlich unabhängiger von klimatischen und geografischen Bedingungen ist als in der konventionellen Landwirtschaft.
In Ihrer Studie wagen Sie ein Gedankenspiel: Wie würde es sich im großen Rahmen, also bezogen auf unser gesamtes Agrar- und Ernährungssystem, auswirken, wenn mikrobielles Protein ein regelmäßiger Bestandteil unserer Nahrung wäre?
Wir sind von folgendem Szenario ausgegangen: Bis 2050 wird ein Fünftel des Rindfleischkonsums pro Kopf durch Fleischalternativen aus mikrobiellem Protein ersetzt.
Was war aus Ihrer Sicht das interessanteste Ergebnis?
Mich hat besonders überrascht, dass sich die globale Entwaldung und auch die damit zusammenhängenden CO2-Emissionen in unserem Modell halbierten. Das finde ich ein erstaunliches Ergebnis, das auch noch einmal zeigt, welche starken Umweltauswirkungen die Rindfleischproduktion hat. Denn in unserer Studie haben wir wirklich nur ein Fünftel des Rindfleischs ersetzt. Alles andere, etwa der Konsum von Schweinefleisch und Geflügel, blieb unverändert.
Das hört sich erst einmal sehr beeindruckend an, erschließt sich aber nicht sofort. Man produziert 20 Prozent Rindfleisch weniger und spart damit 50 Prozent an Emissionen ein?
Das ergibt sich aus dem Vergleich mit einem »Business as usual«-Szenario. Darin gehen wir davon aus, dass der Rindfleisch-Konsum bis zum Jahr 2050 weiter zunimmt, da die Bevölkerung und auch die Einkommen steigen. Man braucht also mehr Futtermittel, was bedeutet, dass Wälder in Weideflächen umgewandelt werden müssen, wodurch CO2-Emissionen entstehen. Wenn wir nun 20 Prozent des Rindfleischkonsums künftig durch mikrobielles Protein ersetzen, bleibt die Nachfrage für Rindfleisch bis zum Jahr 2050 nahezu konstant. Es müssen also keine neuen Weideflächen geschaffen werden, was die Entwaldung und die damit zusammenhängenden CO2-Emissionen im Jahr 2050 gegenüber dem »Business as usual«-Szenario halbiert.
Wie sind Sie bei Ihren Berechnungen vorgegangen, welche Faktoren haben Sie mit einbezogen?
Wir haben mikrobielles Protein mit Hilfe eines globalen Landnutzungsmodells in den Kontext des gesamten Agrar- und Ernährungssystems gestellt. In unseren Zukunftsszenarien berücksichtigen wir das Bevölkerungswachstum, die Nahrungsmittelnachfrage, die Ernährungsgewohnheiten und die Dynamiken der Landnutzung und der Landwirtschaft. Neben der Entwaldung und den CO2-Emissionen haben wir auch die Methan- und Lachgas-Emissionen aus der Landwirtschaft ermittelt, ebenso den Wasserverbrauch und die Stickstofffixierung.
Bei der Produktion des mikrobiellen Proteins in den Bioreaktoren wird Energie verbraucht. Haben Sie das mitberücksichtigt?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den wir in unserer Studie mangels belastbarer Daten nicht mit einbeziehen konnten. Es ist jedoch klar, dass das Klimaschutzpotenzial von mikrobiellem Protein nur bei klimafreundlicher Stromerzeugung voll wirken kann.
Ist Ihr Szenario denn realistisch? Schließlich gibt es das Pilz-Fleisch bislang in kaum einem Land zu kaufen, und Ihre Studie bezieht sich auf den weltweiten Verbrauch.
Ich halte es durchaus für realistisch, dass in der Zukunft ein größerer Teil des Fleischkonsums durch Ersatzprodukte abgedeckt wird. In unserer Studie ging es uns in erster Linie darum, zu zeigen, welche Klima- und Umwelteffekte sich ergeben, wenn man Rindfleisch im großen Stil ersetzt. Außerdem ist die Technologie für die Produktion von mikrobiellem Protein bereits erprobt und zugelassen, im Gegensatz etwa zu kultiviertem Fleisch. Das ist ein wichtiger Punkt hinsichtlich der Umsetzbarkeit.
Pilz-Burger könnten also tatsächlich »Wälder retten«, wie es in der Pressemitteilung zu Ihrer Studie heißt?
Es ist immer verführerisch, bei solchen technischen Ansätzen zu denken: Das ist jetzt die Lösung für unsere Klima- und Umweltprobleme! Dieses Narrativ nutzen auch Firmen gerne, die dann daran verdienen wollen. Wir sehen den Fleischersatz durch mikrobielles Protein aber eher als eine von vielen Maßnahmen, die man miteinander verknüpfen muss. In anderen Studien untersuchen wir zum Beispiel, wie viele Emissionen durch eine Bepreisung von CO2 oder durch den verstärkten Einsatz von Holz als Baumaterial eingespart werden könnten. Wir sehen hier große Synergie-Effekte. Denn wenn weniger Flächen für Futtermittel benötigt werden, sei es nun durch Ersatzprodukte oder eine grundsätzliche Ernährungsumstellung, eröffnet das neue Spielräume für Artenschutz und Aufforstung. Ich stehe also zu meiner Aussage: Mikrobielles Protein könnte ein wirksamer Baustein bei der Reduktion von Emissionen sein, aber es ist kein Allheilmittel. In einem Aktienportfolio sollte man ja auch nicht alles auf eine Aktie setzen.
Wie würde es denn jetzt idealerweise weitergehen? Wer müsste den Ball aufgreifen?
Das geht ehrlich gesagt über das hinaus, was ich als Wissenschaftler beeinflussen kann. Ich erarbeite das Wissen und streue es ein, aber die politischen Rahmenbedingungen müssen schon andere schaffen. Im besten Fall fließen solche Szenarien in die IPCC-Berichte des Weltklimarats ein. Dadurch kriegen sie noch einmal eine ganz andere Aufmerksamkeit und können die Entscheidungsfindung beeinflussen. Ganz konkret könnte in Deutschland eine Reform der Mehrwertsteuer helfen: Aktuell beträgt sie für Fleisch- und Milchersatzprodukte 19 Prozent, für tierische gilt der reduzierte Satz von sieben Prozent. Wenn man das umkehrt, würden sich die Klima- und Umweltbelastungen von tierischen Produkten besser in den Preisen widerspiegeln. Und die weniger schädlichen Ersatzprodukte würden relativ dazu günstiger werden.
Ein wichtiger Punkt ist noch nicht geklärt – der Geschmack. Wenn er nicht stimmt, nützt auch das umweltfreundlichste Produkt nichts. Haben Sie das Pilz-Myzel schon probiert?
Ein Freund hat mir neulich aus der Schweiz eine Packung Hackfleischersatz mitgebracht. Wir haben daraus eine vegetarische Bolognese gemacht und zusammen verspeist.
Was war Ihr Eindruck?
Ich fand es sehr schmackhaft. Wie nahe der Geschmack an Rinderhack rankommt, kann ich als Vegetarier allerdings nicht beurteilen.