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»STACHEL UND STAAT«

Eine Biene im Anflug.

Von MICHAEL OHL

Manche Leidenschaft schafft Leiden. Die von Michael Ohl zählt zweifelsfrei dazu, denn so einige schmerzhafte Insektenstiche hat sich der Entomologe vom Berliner Museum für Naturkunde, dem Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, schon eingefangen. Ohls Passion für Sechsbeiner hat das keinen Abbruch getan. Besonders Bienen, Wespen und Ameisen liegen ihm am Herzen. Mit seinem neuen Buch hat er den drei engen Verwandten »eine leidenschaftliche Naturgeschichte« gewidmet. »Stachel und Staat« ist keine Einführung in die Taxonomie, sondern will für die Vielfalt der wehrhaften Hautflügler begeistern. Auf mehr als 300 Seiten stellt Ohl Aspekte vor, die sie verbinden, darunter Staatenbildung, Stachel und Täuschung. Ästhetisch gewinnt das Buch durch hochauflösende Makrofotografien aus den Sammlungen des Naturkundemuseums. Sie offenbaren Details, die dem bloßen Auge verborgen bleiben. Historische Illustrationen öffnen den Blick zurück auf die Anfänge der Insektenforschung. CHRISTOPH HERBORT-VON LOEPER

Erschienen bei Droemer Knaur

»BERLIN 1968. EIN JAHR IN ZEITUNGSTEXTEN UND BILDERN«

Plakat mit der bunten und mit Fotos gefüllten Jahreszahl »1968«.

Von CHRISTINE BARTLITZ UND ANDREAS LUDWIG (HRSG.)

Das Jahr 1968 war so prägend, dass es einer ganzen (politischen) Generation ihren Namen gab. 50 Jahre später sind aus den »Neuen Linken« die »Alt-68er« geworden. Für Menschen, die damals noch nicht geboren waren, bleiben die Fragen: Was war das Besondere an 1968, und wie können wir es rückblickend verstehen? Auf der Suche nach Antworten haben Studierende der Humboldt-Universität Berlin gemeinsam mit den Leibniz-Historikern Christine Bartlitz und Andreas Ludwig vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam die Berliner Tageszeitungen des Umbruchjahrs durchforstet. Meldungen über den Vietnamkrieg, die Studentenrevolten und den Prager Frühling geben eine Ahnung von der weltweit angespannten Atmosphäre. Die Beiträge stammen aus dem Ost- und Westteil der Stadt, sodass zwischen den Zeilen auch der deutsch-deutsche Konflikt zutage tritt. Die »Jahreszeitung« versammelt neben den Nachrichten auch historische Bilder und Werbeanzeigen. Nur schade, dass der Gutschein für eine Tasse Kaffee in der Bülowstraße heute wohl nicht mehr gültig ist. LENE GLINSKY

Erschienen bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

»GLÜCKSREAKTOR«

Stahlen am nächtlichen Himmel

Von MAX WOLF

Er will keine Ameise sein. »Ameisen«, so nennt der 18-jährige Fred Menschen, die ihr Leben in immer gleichen Bahnen leben. Im Takt von Bürozeiten und klar definierten Lebensabschnitten: Schulabschluss, Berufseinstieg, Renteneintritt, Tod. Fred bricht aus seinem ländlichen Zuhause aus und bezieht eine Einzimmerwohnung in einem Erlanger Plattenbau. Bald entdeckt er die Technoszene, tanzt auf Raves, lebt von Wochenende zu Wochenende. Auf der Suche nach Freiheit verliert Fred irgendwann die Orientierung. Die Endlosschleife aus elektronischer Musik, Drogen und dem qualvollen Montagmorgen steht er nur noch durch, weil er die Dosis immer weiter erhöht. Mitreißend erzählt Max Wolf in seinem Debütroman davon, wie schmal der Grat zwischen Freiheit und freiem Fall sein kann, aber auch von Freundschaften, die immer wieder Halt geben. Nebenbei erweckt er die Technobewegung der frühen 1990er Jahre zum Leben. Ihre Anfänge hat Max Wolf, der als Verhaltensbiologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei forscht, selbst miterlebt. DAVID SCHELP

Erschienen bei Hoffmann und Campe

WAS LESEN SIE, FRAU FREITAG?

Blick aus der Frontscheibe eines Autos in grünes Dickicht.

»LOSFAHREN von Manal al-Sharif!«

Dass Frauen in Saudi-Arabien seit diesem Jahr Auto fahren dürfen, war der deutschen Presse intensive Berichterstattung wert. Manal al-Sharifs Autobiografie »Losfahren« erzählt von ihrer 2011 gestarteten Kampagne »Women2Drive«, in deren Kontext sie über Youtube und Facebook ein Video verbreitete, das sie am Steuer eines Autos zeigte. Als Konsequenz wurde sie verhaftet, verlor ihren Arbeitsplatz und emigrierte. Fast noch spannender ist al-Sharifs Beschreibung ihrer Kindheit in einer armen Familie im Mekka der 1980er und 1990er Jahre. Sie war geprägt von einem extremen Konservativismus, der sich unter anderem in der Beschneidung der Töchter, einer strengen Kleiderordnung, extremen Restriktionen und sehr limitierter Schulbildung äußerte. Die Wandlung der strenggläubigen, wenn auch lesebesessenen, jungen Frau zu einer selbstbewussten IT-Expertin und schlussendlich zur Rebellin verrät viel über die großen Spannungen, denen viele Saudis durch den raschen Wandel des Königreichs ausgesetzt sind. Trotz einiger Längen vermittelt das Buch gute Einblicke in eine Gesellschaft, deren Bild bei uns durch Klischees geprägt ist. Und obwohl Frauen mittlerweile Autos fahren dürfen, sind die traumatischen Erlebnisse al-Sharifs noch immer aktuell: In den vergangenen Monaten wurden erneut viele Aktivistinnen und andere zivilgesellschaftliche Akteure verhaftet. ULRIKE FREITAG, Direktorin des Leibniz-Zentrums Moderner Orient

Erschienen im Secession Verlag

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