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PAULINA DOMDEY, KIRA THIEL und MAITE PESCI erforschen am Leibniz-Institut für Medienforschung│Hans-Bredow-Institut (HBI), wie Kinder und Jugendliche in digitalen Medienumgebungen aufwachsen. Ihr Text erschien zunächst im Media Research Blog des Instituts.

Beherrschten vor Kurzem noch Informationen über Covid-19 die Medien, sind es nun Bilder von Krieg und Zerstörung im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Kinder und Jugendliche sind fast allgegenwärtig mit beunruhigenden Nachrichten konfrontiert und müssen sich mit Gefühlen wie Angst, Verzweiflung, Ohnmacht und Kontrollverlust auseinandersetzen.

Vor allem Preteens und Jugendliche kommen nicht nur über »traditionelle« Nachrichtenmedien mit Informationen über den Krieg in Berührung, sondern werden auch auf den in diesen Altersgruppen beliebten Social-Media-Plattformen Instagram und TikTok mit entsprechenden Inhalten konfrontiert. Dort findet sich eine geradezu groteske Mischung aus unterhaltsamen und nachrichtlichen Inhalten: Zwischen Urlaubsbildern, Produktplatzierungen sowie Tanz- und Tiervideos ist der Krieg – in unterschiedlichster Weise aufbereitet – ein zentrales Thema.

Auch auf Social-Media-Plattformen finden sich viele journalistische Nachrichtenangebote, die zuverlässige Informationen zur aktuellen Situation zur Verfügung stellen. Etablierte Nachrichtenmarken, etwa die Tagesschau oder CNN, sind auf Social-Media-Plattformen vertreten. Insbesondere die speziell an ein jüngeres Publikum gerichteten Informations-Kanäle der Öffentlich-Rechtlichen (einige Beispiele sind MirWissen2go, die.da.oben, news_wg oder tickr.news) bieten zielgruppengerecht gestaltete Informationen zum Krieg in der Ukraine.

Neben diesen redaktionell aufbereiteten Inhalten bieten auch einzelne Journalistinnen und Journalisten auf ihren (privaten) Accounts eine (Ein-)Ordnung der teils unübersichtlichen Nachrichtenlage, auf Instagram sind das etwa Daniel Anibal Bröckerhoff als @doktordab oder @elisabeth.koblitz). Diese Inhalte entsprechen in der Regel journalistischen Standards: Die Quellen sind geprüft, die Geschehnisse geordnet und mit Hintergrundinformationen angereichert.

Ihre Videos tragen Titel wie »how my mom cooks Borsct in a bomb shelter«.

Daneben informieren auch zahlreiche nicht-journalistische Akteurinnen und Akteure in Form kurzer Beiträge und Zusammenschnitte (hier ein Beispiel auf TikTok) über verschiedene Aspekte des Krieges. Andere versuchen, in Jugendsprache oder auf lockere Art und Weise die aktuelle Situation zu erklären. Entsprechende Beiträge werden allerdings meist ungeprüft und ohne Quellenangaben veröffentlicht.

Neben informierenden Inhalten finden sich auf Social Media außerdem viele Beiträge, in denen Privatpersonen, Influencer und Stars ihre Betroffenheit und Solidarität zum Ausdruck bringen, Spendenaufrufe posten oder Informationen zu Hilfsmöglichkeiten und Demonstrationen mit ihren Followern teilen.

Auch Betroffene selbst übermitteln auf Instagram und TikTok zum Teil höchst emotionale, drastische Einblicke in das Kriegsgeschehen vor Ort. Auf TikTok sind dies vor allem junge Menschen, die aus ihrem Kriegsalltag berichten. Die emotionale Nähe ist groß, wenn einige ukrainische Nutzerinnen und Nutzer ihren TikTok-Account beispielsweise als eine Art Kriegstagebuch verwenden, indem sie in kurzen Clips ihren Alltag zeigen. Die Nutzerin @MoneyKristina berichtet beispielsweise auf Englisch über ihre Lage vor Ort in Kiew und über damit verbundene Gedanken und Gefühle. Die Nutzerin @diana_totok thematisiert in ihren Videos den Prozess der Flucht.

@valerisssh schneidet sogenannte TikTok-»Trends« – besonders popularisierte Formate – auf ihre Clips über das aktuelle Kriegsgeschehen zu. Zur Aufbereitung verwendet sie Formate und Sounds, die auf der Plattform beliebt sind. Ihre Videos tragen Titel wie »how my mom cooks Borsct in a bomb shelter«, »you met your friend during the war in Ukraine« und »how I evacuated from Ukraine«. Viele ihrer Clips enden mit einem ironischen Dank an den Kriegstreiber Putin.

Verbreitet über den TikTok-Algorithmus können derartige Inhalte schnell ein Millionenpublikum erreichen: So wurde ein von @valerisssh gepostetes Video, in dem sie einen für sie typischen Tag im Bunker dokumentiert, bis zum 31. März 2022 über 45 Millionen mal aufgerufen. In einem  Video ist ein verweintes Spiegelselfie von ihr zu sehen sowie der Text: »Vladimir Putin killed my 18 years old brother in Ukraine while Russian people worry about closure McDonald. I can’t stop to cry… I don’t wanna believe in it…«. Dann folgt ein kurzer Zusammenschnitt von gemeinsamen Fotos mit ihrem Bruder.

Zwischen Comedy- und Tanzvideos sorgen unerwartete Kriegsbilder für Irritation und Überforderung.

Auf der Plattform TikTok stehen Nutzenden noch weniger Kontextinformationen zur Verfügung als auf anderen sozialen Netzwerken. Die Entstehungskontexte der unzähligen Videoschnipsel lassen sich häufig nicht zurückverfolgen. Dies führt dazu, dass auch dargebotene Inhalte und Informationen mit wenig Wahrheitsgehalt schnell viral gehen können. Aktuell kursieren einer Recherche des funk-Jugendnetzwerks von ARD und ZDF zufolge vor allem auf TikTok viele Fakes, bei denen Filmaufnahmen vergangener Katastrophen, von Militärübungen, Reenactments und sogar Sequenzen aus Videospielen für Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet ausgegeben oder Clips nachträglich mit bestimmten Sounds, zum Beispiel Schussgeräuschen, unterlegt werden.

Problematisch ist außerdem, dass diese Posts – im Gegensatz zu journalistisch aufbereiteten Inhalten – ungefiltert, ohne Hintergrundinformationen und Einordnung unmittelbar auf die Nutzenden einprasseln. Auf diese Weise können sie in besonderem Maße Betroffenheit und Nähe erzeugen und somit emotionale Reaktionen verstärken. Hierbei spielt auch die Rezeptionssituation eine Rolle: Während Nutzende bei gezieltem Nachrichtenkonsum emotional schon darauf eingestellt sind, bestimmte, möglicherweise belastende Inhalte zu sehen zu bekommen, können unerwartete Kriegsbilder zwischen den üblichen Comedy- und Tanzvideos auf TikTok für Irritation und Überforderung sorgen.

Egal ob satirische Berichterstattung, ironische Kriegstagebücher oder Memes – nicht wenige Social-Media-Beiträge zum Krieg sind sarkastisch inszeniert oder greifen die aktuellen Ereignisse humoristisch auf: Einige Betroffene berichten auf TikTok sarkastisch über die Lage vor Ort, nachrichtliche Inhalte sind teilweise satirisch aufbereitet. Es gibt verschiedene Filter, die den Konflikt aufgreifen, und auf Social Media kursieren unzählige Memes, in denen über verschiedene Aspekte des Kriegs gewitzelt wird. So wird beispielsweise der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Form von Zusammenschnitten und Edits zum gutaussehenden (Film-)Helden stilisiert, während Russlands Präsident Wladimir Putin mit Bösewicht Lord Voldemort aus der Harry-Potter-Saga verglichen wird.

Eine solch humoristische Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg stellt für viele Menschen einen Coping-Mechanismus dar. Gerade in Krisenzeiten können Humor, Ironie und Sarkasmus dabei helfen, die Situation erträglicher zu machen und ein Zeichen für Widerstand und Zusammenhalt setzen. Gleichzeitig kann Humor aber auch Grenzen überschreiten und im Kontext von Krieg und Gewalt unpassend und irritierend wirken.

Die Beispiele machen deutlich, dass es nicht die eine Art der Kriegs-Darstellung gibt, sondern dass die Heranwachsenden mit einem bunten Potpourri an Inhalten konfrontiert werden. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen selbst die Sozialen Medien in sehr unterschiedlicher Weise nutzen, sei es zur Unterhaltung, Information oder um sich mit anderen zu vernetzen und auszutauschen. Entsprechend werden ihnen algorithmusbasiert unterschiedliche Inhalte offeriert. Insofern lässt sich die Frage nach etwaigen Wirkungen kaum allgemein beantworten. Eine pädagogische Auseinandersetzung und Unterstützung scheint jedoch in verschiedener Hinsicht angezeigt.

Angesichts der Flut an ganz unterschiedlichen Inhalten stehen Jugendliche – ähnlich wie Erwachsene – aktuell vor der Herausforderung, informiert zu bleiben, ohne sich im sogenannten Doomscrolling zu verlieren. Der Begriff – zusammengesetzt aus dem englischen Begriff »doom« (Verderben, Untergang) und dem eingedeutschten »scrollen« – beschreibt die Tendenz, sich exzessiv mit negativen Nachrichten und Schlagzeilen zu konfrontieren. Dies wird insbesondere durch die technische Infrastruktur sozialer Netzwerke begünstigt, auf denen im Minutentakt neue Nachrichten zur Verfügung gestellt werden und die durch den Algorithmus und die »Infinite Scrolling«-Funktion ein endloses Scrollen ermöglichen. Das ist nicht unproblematisch: Zwar kann die gezielte und vor allem maßvolle Suche nach Informationen helfen, Unsicherheit abzubauen. Die ständige Auseinandersetzung mit Negativ-Schlagzeilen hingegen kann Unsicherheiten und Ängste verstärken.

Was nun? Generell gilt: Im Umgang mit der aktuellen Situation und der damit einhergehenden Informationsflut gibt es kein Patentrezept. Aufgrund der Tatsache, dass sich Jugendliche in stark personalisierten und individualisierten Social-Media-Umgebungen, in sogenannten »Filterblasen«, bewegen, kann nicht einheitlich beantwortet werden, mit welchen Kriegs-Inhalten sie in Berührung kommen und inwiefern Doomscrolling dabei eine Rolle spielt.

Umso wichtiger ist es für Eltern und Lehrkräfte, genauer bei den Heranwachsenden nachzufragen: Inwiefern ist der Krieg für sie auf Social-Media-Plattformen gerade Thema? Welche TikToks, Tweets oder Instagram Stories haben sie gesehen? Was sind ihre Gefühle und Gedanken dazu? Fragen wie diese können Anknüpfungspunkte für weitere Gespräche und gemeinsame Überlegungen bezüglich des richtigen Umgangs mit der Situation darstellen.

Die Reduktion des Nachrichtenkonsums stellt eine Herausforderung dar.

Während es einigen guttut, sich verstärkt mit Nachrichten und Informationen aller Art auseinanderzusetzen, hilft es anderen, den Nachrichtenkonsum bewusst zu reduzieren und auf wenige, ausgewählte und weniger emotionalisierende Angebote zurückzugreifen.

Die Reduktion des Nachrichtenkonsums stellt in Zeiten von Push-Benachrichtigungen und Social Media zweifelsohne eine Herausforderung dar. Dennoch bieten die verschiedenen Plattformen unterschiedliche (technische) Möglichkeiten, den eigenen Feed mitzugestalten und die Sichtbarkeit bestimmter Inhalte einzuschränken. Auf Instagram beispielsweise können Accounts, denen man folgt, stummgeschaltet werden, sodass ihre Beiträge im eigenen Feed vorerst nicht mehr angezeigt werden. Diese Funktion könnte beispielsweise genutzt werden, um die Posts von bestimmten Profilen zeitweise auszublenden und sich so eine Nachrichtenpause zu ermöglichen.

Auf TikTok kann der sogenannte »eingeschränkte Modus« aktiviert werden, der nach Aussage des Unternehmens »die Anzeige von Inhalten, die möglicherweise für einige Zuschauer nicht angemessen sind«, beschränkt. Insgesamt ist es bei TikTok aufgrund der stark algorithmus-gesteuerten Auswahl der angezeigten Inhalte allerdings deutlich schwieriger, diese zu regulieren. Darüber hinaus können verstörende Inhalte und Fake News auf allen Plattformen gemeldet und die Absenderinnen und Absender blockiert werden.

Eine bewusste Einschränkung der eigenen Social-Media-Umgebung setzt eine (Selbst-)Reflektion des eigenen Nutzungsverhaltens, der aktuellen Situation, der damit verbundenen Informationsflut und nicht zuletzt auch ihrer Auswirkung auf das eigene Wohlbefinden voraus. Hier ist neben den Eltern auch Lehrkräfte und die außerschulische Jugendarbeit gefragt, Räume für Austausch und Reflektion zu schaffen und gemeinsam mit den Jugendlichen über Strategien zu sprechen, die dabei helfen, mit der aktuellen Situation besser klarzukommen.

TIPPS FÜR ELTERN UND LEHRKRÄFTE

1. Kommen Sie mit Jugendlichen ins Gespräch über das Thema Krieg in Sozialen Medien. Lassen Sie sich von Jugendlichen zeigen oder erklären, welche Darstellungsformen ihnen begegnen und wie sie sich damit fühlen. Dies kann Jugendlichen helfen, Themen einzuordnen und negative Emotionen zu regulieren.

2. Tauschen Sie sich mit Jugendlichen über unterschiedliche Inszenierungsformen (etwa die Verwendung von Humor), deren Wirkung sowie über mögliche Ideen zur Identifizierung von Fake News aus.

3. Diskutieren Sie mit Jugendlichen über die Unterschiede zwischen redaktionell aufbereiteten Inhalten und nicht-journalistischen Quellen sowie Meinungsbeiträgen, beispielsweise von Influencern, auf Social Media. Sprechen Sie gemeinsam über die Bedeutung von Qualitätsjournalismus für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft.

4. Finden Sie gemeinsam mit Jugendlichen heraus, welche Möglichkeiten es gibt, die Nachrichtennutzung zu regulieren und den eigenen Bedürfnissen anzupassen (etwa Nachrichtenpausen, das Auswählen seriöser Anbieter/Profile und angebotsbezogene Einstellungen).

5. Diskutieren Sie mit Jugendlichen darüber, inwieweit Social-Media-Angebote das Gefühl von Selbstwirksamkeit beeinflussen und wie man die Möglichkeiten von Social Media für sich gut nutzen kann. Beispielsweise können die dort aufgezeigten Möglichkeiten, aktiv zu werden und sich zu solidarisieren, Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit entgegenwirken und somit zu einer funktionalen Bewältigung beitragen.

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