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In der ersten Folge unseres Dreiteilers »Neun Milliarden und Eins« werfen wir einen Blick auf die Landwirtschaft der Zukunft. Welche Maßnahmen können wir schon jetzt treffen, damit in Zukunft alle satt werden? Wir haben den Agraringenieur Stefan Sieber vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung gefragt. 

Die Frage, ob es uns heute gelingt, acht Milliarden Menschen zu versorgen, muss ich mit einem klaren »Ja« beantworten. »Versorgung« heißt ja laut Lexikon nichts anderes als »die Bereitstellung von Lebensmitteln«, und die Menge an Lebensmitteln, die benötigt wird um acht Milliarden Menschen zu versorgen, ist prinzipiell vorhanden. Hunger hingegen hat andere Ursachen als die auf dem Papier vorhandenen Lebensmittel. Neben Ereignissen wie Naturkatastrophen und Kriegen ist die wesentliche Ursache für den Hunger noch immer die Armut – und die hat mit der enormen Ungleichheit in der Welt zu tun. Dazu tragen vor allem die Bedingungen bei, unter denen wir leben: Wir verbrauchen zu viele Ressourcen, heizen den Klimawandel an, und die Welthandelsbeziehungen sind ungerecht; dazu gesellen sich zu allem Überfluss auch noch Korruption und Misswirtschaft.

Die Versorgung von neun Milliarden oder noch mehr Menschen wird eine noch größere Herausforderung. Es sind meiner Ansicht nach vier Strategien zentral, um den dringenden Fragen der Zukunft zu begegnen. Wichtig ist dabei zu betonen, dass eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen keine davon ist. Zumindest nicht dort, wo sie sensitive Ökosysteme gefährden würde – denn die Gesundheit unseres Planeten ist ja ohnehin schon in Gefahr!

Wir müssen es schaffen, viel weniger Ressourcen zu verbrauchen.

STEFAN SIEBER

Der Agraringenieur Stefan Sieber
Der Agraringenieur Stefan Sieber. Foto KATHARINA RICHTER / ZALF

Die wichtigste Maßnahme ist es, die sogenannten Ertragslücken zu schließen. Konkret heißt das, dass es in vielen Regionen noch Potenziale gibt, Erträge nachhaltig zu erhöhen. Dies kann beispielsweise durch neues Saatgut, bessere Düngung oder bessere Fruchtfolgen geschehen.

Eine weitere Strategie ist die Minimierung der Verluste von Nahrungsmitteln entlang sogenannter Wertschöpfungsketten von Anbau über Verarbeitung bis zum Konsum für die Menschen. Diese Nachernteverluste – also zum Beispiel unnötig verdorbene Lebensmittel, die dann im Müll landen – sollten wir minimieren. Hier kann insbesondere der globale Süden profitieren; doch auch im Norden betragen die Verluste im Einzelhandel wie auf Verbraucherebene bis zu 40 Prozent.

Zudem sollten wir als dritte Strategie die Reduzierung des Konsums an Fleisch und somit auch die Verfütterung von Feldfrüchten wie Mais und Soja für die Viehzucht verringern. Einen großen Teil der landwirtschaftlichen Produktion verfüttern wir nämlich an Tiere – und nicht an uns selbst. So könnte die Menge an Ernteerträgen für die Menschen Hochrechnungen zufolge um bis zu 30 Prozent gesteigert werden; ganz zu schweigen von den immensen CO2-Einsparungen, die eine Reduktion des Fleischkonsums mit sich bringen würde: Momentan sind 66 Prozent aller CO2-Emissionen in der Landwirtschaft auf Tierhaltung zurückzuführen.

Bei der vierten Strategie geht es um ressourceneffiziente Produktion: Wir müssen es schaffen, viel weniger Ressourcen wie Wasser oder Pestizide zu verbrauchen. Das würde nicht nur helfen, die Kosten zu senken, sondern auch die Umwelt nachhaltig schützen. Wenn wir uns, unsere Lebensgrundlagen und nicht zuletzt den Planeten erhalten wollen, ist das fundamental.

Feldfrüchte mit Folien abgedeckt
»Neue Entwicklungen in der Agrartechnologie spielen für die Zukunft der Landwirtschaft eine sehr wichtige Rolle.« Foto UNSPLASH

Es stellt sich natürlich die Frage, wie wir all diese Strategien umsetzen können; bisher gelingt uns das weniger gut. Klar ist: Der globale Norden und Süden müssen partnerschaftlich und auf Augenhöhe an Lösungsansätzen arbeiten. Die Länder des globalen Südens, also Subsahara-Afrika, die ärmeren Länder Süd- und Mittelamerikas und andere Entwicklungsländer, brauchen insbesondere Kompensationsfonds für die Schäden, die Industrieländer durch die CO2-Emissionen anrichten, höhere Beteiligung an Märkten, von denen sie bis vor wenigen Jahren ausgeschlossen wurden und einen Technologie- und Wissenstransfer, der gerecht ist. Kurzum: eine echte Teilhabe!

Aber auch ganz neue Entwicklungen in der Agrartechnologie spielen für die Zukunft der Landwirtschaft eine sehr wichtige Rolle. Wir reden hier zum Beispiel von künstlicher Intelligenz, Big Data und vorausschauenden neuen Technologien. Uns muss es gelingen, mit diesen Technologien die Vorhersagesysteme zu verbessern, Effizienzpotenziale zu nutzen und die Produktivität zu niedrigen Kosten nachhaltig zu erhöhen. Auch in diesem Bereich ist die Ungerechtigkeit zwischen Süd und Nord enorm, besonders weil die Industrieländer ihre heute hocheffizienten Märkte über lange Zeit abgeschottet haben und lediglich Rohware wie Kakao in den Entwicklungsländern eingekauft haben. Die Wertschöpfung findet dann häufig in den Industrieländern statt. Trotz dieser Ungerechtigkeiten gibt es auch Lichtblicke: Partnerschaftsansätze werden immer häufiger und der Finanztransfer in den Entwicklungsländern steigt.

Persönlich denke ich, dass wir eher mit Hoffnungen arbeiten und uns weniger an Ängste und Sorgen klammern sollten. Das Thema Landwirtschaft betrifft alle Menschen auf der Welt, es verbindet uns alle. Der Glaube, etwas Positives und Gutes zu tun – das motiviert mich.

STEFAN SIEBER ist Agraringenieur am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Fragen der Ernährungssicherheit sowie mit Ernährungs- und Umweltpolitik.

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