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1. »REISE IM MONDLICHT« (»UTAS ÉS HOLDVILÁG«)

Von ANTAL SZERB

Vor einigen Jahren zufällig entdeckt und kürzlich im Bücherregal wiedergefunden habe ich diesen kurzweiligen und doch nachdenklich machenden Roman eines der großen ungarischen Literaten des frühen 20. Jahrhunderts. Er ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein »Reisebuch«: Wir begleiten den frisch verheirateten Mihály kreuz und quer durch Italien, als er dort während seiner zutiefst bürgerlichen Hochzeits-Bildungsreise auf Abwege und in eine verworrene Suche nach sich selbst gerät. Zugleich portraitiert Szerb mit feiner Ironie und doch einfühlsam zahlreiche Figuren, die im Europa der 1930er Jahre unterwegs sind und allzu oft nicht wissen, wohin. Für mich ist das Buch nicht nur ein etwas anderer Leseausflug nach Italien, sondern auch eine faszinierende Zeitreise.

ANDREA MEIXNER ist Wissenschaftliche Referentin im Referat Evaluierung der Leibniz-Gemeinschaft.

 

2. »DIE ENDEN DER WELT«

Von ROGER WILLEMSEN 

Dass Reisen nicht immer pauschal gebuchte Schönwettertrips mit Pool und Frühstücksbuffet sind, ist wohl wenigen so gut bekannt wie Roger Willemsen. Der Getriebene, der eigentlich überhaupt nicht ankommen will, ist hier unterwegs zu den »Enden« der Welt und die sind schön, verstörend, unbequem, schrecklich und wunderbar – genauso wie die Wege dorthin. Nie kam man während einer Pandemie einfacher von Kontinent zu Kontinent.

GABRIEL SOLLBERGER ist Referent im Referat Leibniz-Wettbewerbsverfahren.

 

3. »AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS«

Von JOSEPH VON EICHENDORFF

Eine Erzählung, die bei aller Unwahrscheinlichkeit der äußeren Ereignisse, allen euphorischen Ausbrüchen und aller romantischer Naturbegeisterung des »Taugenichts« vor allem eines zusammenhält: nämlich das Reisen – hier vor allem als Wandern, als Selbst-in-Bewegung-Sein. Mag der Taugenichts dabei von außen betrachtet vor allem vor jeglichen verbindlichen Lebensbezügen und aus der Enge der Mühle seines Vaters fliehen, so ist er innerlich doch vielmehr von allem angezogen, was sich ihm von der Welt, der Natur und den Menschen beim Unterwegssein immer neu erschließt. Kein Text über das Reisen im engeren Sinne also, sondern die Beschreibung einer (Lebens-)Reise, deren Wiederlesen gerade Zeiten von erzwungenermaßen reduzierter Bewegungsfreiheit sehr erleichtern kann. Auch am Ende, soeben glücklich verheiratet, stellt sich beim Taugenichts keine ruhige Sesshaftigkeit ein. »Und gleich nach der Trauung reisen wir fort nach Italien, nach Rom, da gehen die schönen Wasserkünste, und nehmen die Prager Studenten mit und den Portier! […] – und es war alles, alles gut!«

JOHANNES BRONISCH ist Leiter des Referats Integrität, Gremien und GWK der Leibniz-Gemeinschaft.

 

4. »TSCHICK«

Von WOLFGANG HERRNDORF

In seinem 2010 veröffentlichten Roman »tschick« erzählt Wolfgang Herrndorf von den Abenteuern der 14-jährigen Jungen Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow aus Berlin, die mit einem geklauten Lada durch die ostdeutsche Provinz fahren. Während ihrer Reise müssen sie so manches Hindernis überwinden: So stellt etwa das Tanken für die beiden eine besondere Herausforderung dar, ein Mann schießt auf den Lada und sie müssen einen Abgrund auf einer schmalen Brücke überwinden. Außerdem haben sie permanent Angst, entdeckt zu werden vor. Sie lernen aber auch viele interessante Menschen kennen, wie das verwahrloste Mädchen Isa, das Herrndorf im Anschluss zur Heldin seines Fragment gebliebenen Romans »Bilder einer großen Liebe« gemacht hat. Ein Roadmovie über eine ungewöhnliche Freundschaft – keineswegs nur für Jugendliche.

JULIA KITZMANN war Volontärin der Leibniz-Gemeinschaft.

Eine Frau, die in einem Waschsalon ein Buch liest.

5. »STAR WARS – DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK«

Ein Film von GEORGE LUCAS

»I’m your father!« schallte es durch den abendlichen Himmel in einem Freilichtkino in Bulgarien, im Sommer 1985. Ich war zehn, konnte kein Wort Englisch, aber ich hatte alles verstanden: Die Macht war mit mir und sie würde mich nicht mehr loslassen. In der DDR war es bis auf wenige Ausnahmen fast unmöglich, Filme aus dem Westen im Kino oder Fernsehen zu sehen. Die anderen damaligen Ostblock-Staaten sahen das anscheinend etwas lockerer und dadurch bekamen wir in unserem Bulgarienurlaub im besagten Jahr die einmalige Möglichkeit, diesen amerikanischen Science-Fiction Knaller im Kino zu sehen. Und das war für mich so ein nachhaltig beeindruckendes visuelles und emotionales Erlebnis, dass ich mit leuchtenden Augen zurückblieb und zu einem großen Fan dieser Filme wurde. Einige Jahre später – die Mauer war gerade gefallen und die ersten Urlaube im »Westen« möglich – flogen meine Eltern, meine Schwester und ich nach Tunesien. Bei einer Tour durch die Wüste erklärte uns der einheimische Guide, dass dort vor Jahren »Star Wars« gedreht worden war. Ich zog mein Lichtschwert und war auf alles vorbereitet.

FRAUKE STUHL ist Teil des Aktionsplans Leibniz-Forschungsmuseen.

 

6. »DER TAIGAJÄGER DERSU USALA«

Von WLADIMIR ARSENJEW

Unter der Leitung von Hauptmann Wladimir Arsenjew, Geograf und Offizier des Zaren, dringt eine Expedition 1902 ins russisch-chinesische Grenzgebiet vor. Die Kosaken haben kaum begonnen, die abgelegene Gegend zu erforschen, als spätabends dieser kleine Mann aus der Dunkelheit an ihr Lagerfeuer tritt: Dersu Usala. Auf der weiteren Reise führt der so ungewöhnliche wie liebenswerte Taigajäger aus der kleinen Volksgruppe der Golden die Expedition sicher durch unsicheres Terrain. Er bringt Arsenjew (bald sind die beiden Freunde) die Pflanzen- und Tierwelt näher und rettet ihm ein ums andere Mal das Leben; mal knüpft er im Schneesturm einen schützenden Unterschlupf aus Schilf, mal kocht er ein wärmendes Not-Süppchen aus seiner alten Ledertasche. Fasziniert hat mich an diesem Jugendbuch besonders Dersu Usalas Liebe für die Natur und sein Mitgefühl mit den Tieren, die sich zum Beispiel zeigt, wenn er den Abschuss eines Sibirischen Tigers vereitelt. Ich war als Kind naturversessen, und wenn ich heute verreise, googele ich als erstes die Flora und Fauna des Reiseziels. Die Geschichte des Taigajägers hole ich deshalb immer mal wieder gerne aus dem Bücherregal.

DAVID SCHELP ist Chefredakteur bei »leibniz«.

 

7. »THE OLD WAYS. A JOURNEY ON FOOT«

Von ROBERT MACFARLANE

All denjenigen, die die Welt gerne wandernd erforschen, bietet das Buch eine poetische und reflektierte, gleichzeitig aber auch leichtfüßige und humorvolle Begleitung. Macfarlane nimmt die Leserschaft mit auf die Reise, indem er alte Routen auf den Britischen Inseln erwandert und überliefert. Mit dem Feingefühl eines Anthropologen widmet er sich dabei der universellen Erfahrung des Gehens (ob nun alleine oder in Begleitung), durch die er eine Verbindung zwischen dem Intellektuellen und dem Emotionalen, der Natur und der Kultur, schließlich den äußeren und inneren Landschaften von Individuen und Gemeinschaften entdeckt und erschafft. Mich selbst hat das Buch passenderweise beim Wandern in Schottland begleitet, wo es mich immer wieder wie eine bedachte – und dennoch spannungsreiche – Erzählung am Lagerfeuer in seinen Bann zog.

ALEKSANDRA ŁUCZAK ist Referentin der Kommission zur Evaluierung der Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft.

 

8. »DER LETZTE SATZ«

Von ROBERT SEETHALER

Gealtert und kränklich reist Gustav Mahler über das Meer von New York, seiner letzten Wirkstätte, zurück nach Europa. Der Blick auf die See lässt ihn immer wieder in die Vergangenheit schweifen und ruft Erinnerungen an die Liebe, den Beginn seiner musikalischen Kreativität und große Erfolge aber auch an die vielen schwierigen und schmerzvollen Momente seines Lebens wach. Robert Seethaler schafft einen verletzlichen Zugang zu diesem berühmten Komponisten, lässt ihn nahbar und zutiefst menschlich werden. Gerade der begrenzte Raum des Schiffes macht die Rückschau auf das eigene Leben dabei umso intensiver wahrnehmbar. Eine melancholische und berührende Reise nicht nur über das Meer, sondern zu den Schlüsselmomenten der eigenen Vergangenheit.

JOHANNA MANGER ist Teil der »leibniz«-Redaktion.

 

Eine Person, die einen Rock trägt und einen Koffer in der Hand hält und ein Buch unter den Arm geklemmt hat. Es sind nur von den Füßen bis zur Hälfte des Oberkörpers zu sehen.

9. »JÓGA«

Song und Video von BJÖRK

»Jóga« – ein Song, der musikalisch und visuell umhaut. Wir werden mitgenommen auf eine Reise durch die einzigarte, raue, grüne und steinige isländische Landschaft, begleitet von einem experimentellen Mix aus elektrischen, klassischen und sogenannten volcanic Sounds. Musik und Video waren meine Inspiration, endlich nach Island zu reisen und die Insel mit dem Fahrrad zu durchqueren. Damals noch mit Walkman unterwegs, kreierten wir unseren eigenen Soundtrack zu dieser abenteuerlichen Reise. Manchmal mit einem Gegenwind, dem die Textzeile »emotional landscape« aus dem Song mehr als gerecht wurde. »Jóga« ist Björks Freundin Jóhanna »Jóga« Johannsdóttir gewidmet und eine Hommage der gebürtigen Isländerin an ihr native land. Der Song wurde 1997 auf Björks drittem Album »Homogenic« veröffentlicht. 

FRAUKE STUHL ist Teil des Aktionsplans Leibniz-Forschungsmuseen.

 

10. »GOTT UND DIE KROKODILE: EINE REISE DURCH DEN KONGO«

Von ANDREA BÖHM

Die Autorin beschreibt in »Gott und die Krokodile« ihre Reise durch den Kongo und nimmt einen mit auf diese Reise. Durch ihre offene Art bekommt Andrea Böhm Einblicke in verschiedene Lebenswelten und reflektiert zwischendurch immer wieder über die Geschichte des Landes. So reist man mit und lernt dabei Hintergründe dieser Eindrücke besser zu verstehen. Dieses so schön geschriebene, respektvolle und faszinierende Buch hat mich noch lange beschäftigt und empfehle ich jedem, der gerne ein neues Land erkundet.

ANNE LEISER war bis 2021 wissenschaftliche Referentin in der Geschäftsstelle des Global Learning Council.

 

11. »TRACKS«

Ein Film von JOHN CURREN, mit MIA WASIKOWSKA 

Neun Monate durch die australische Wüste, 2.700 Kilometer von Alice Springs zum Indischen Ozean. Zu Fuß, allein mit vier Kamelen und einem Hund. Das ist die Geschichte von »Tracks«. Über allem die Frage: Warum tut sie das? Ein Film darüber, wie etwas von außen betrachtet vollkommen Sinnloses der handelnden Person als unbedingt zu schaffendes Werk erscheint – das vielleicht die inneren Teile wieder zusammensetzen kann. Mir gefällt, dass dieser Film seiner Protagonistin dabei auf stille Weise zur Seite steht, ohne sie als Heldin zu stilisieren.

ANJA GÖRNITZ ist stellvertretende Referatsleiterin im Leibniz-Wettbewerbsverfahren.

 

12. »REISEBILDER«

Von HEINRICH HEINE

»Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?/ Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,/ Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,/ Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,/ Kennst du es wohl?/ Dahin! dahin/ Möchte ich mit dir, o mein Geliebter ziehn. – Aber reise nur nicht im Anfang August, wo man des Tags von der Sonne gebraten, und des Nachts von den Flöhen verzehrt wird. Auch rate ich dir, mein lieber Leser, von Verona nach Mailand nicht mit dem Postwagen zu fahren.« Von wegen Arkadien! Hatte Goethe 13 Jahre zuvor Italien als präindustrielle Idylle besungen, zertrümmert Heine in den »Reisebildern« die Stilisierung des Landes zum Sehnsuchtsort. Vor allem in der Reise von München nach Genua demaskiert der Autor die vom Weimarer Dichterfürsten beschriebene Einfachheit des italienischen Lebens als Armut, legt die Auswirkungen der Besetzung Norditaliens durch Österreich – »diese Barbaren« – offen und dekonstruiert damit deutsche Italienbilder.

JULIA KITZMANN war Volontärin der Leibniz-Gemeinschaft.

 

13. »DAHEIM«

Von JUDITH HERMANN

Dieses Buch erzählt von einem Aufbruch aus dem alten in ein neues Leben, das eine Frau nach ihrer gescheiterten Beziehung in einem kleinen Haus an der Nordseeküste beginnen will. Was bedeutet es jedoch, anzukommen, eine neue Heimat zu finden? Diese Fragen begleiten die Protagonistin, während ihre Tochter auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer auf einem Schiff Richtung Nordkap schippert. Beim Lesen entsteht zunehmend das Gefühl von etwas Offenem, Unbeantwortetem, von einer Sehnsucht, die schwer in Worte zu fassen ist. Berührt hat mich insbesondere die Sprache der Autorin, die eine einsame, suchende und etwas unbestimmte Atmosphäre entstehen lässt – als käme man niemals wirklich an.

JOHANNA MANGER ist Teil der »leibniz«-Redaktion.

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