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»Willst du immer weiter schweifen? / Sieh, das Gute liegt so nah«, wusste schon Goethe. Und dennoch zieht es uns immer wieder in weit entfernte Gebiete der Erde – und manchmal darüber hinaus. Das bedeutet in aller Regel allerdings auch: CO2-Austoß. Verschiedene Leibniz-Institute forschen daran, ihn zu reduzieren und das Reisen außerdem sicherer zu machen. Kommen Sie mit auf unsere (fiktive) Reiseroute der Zukunft!

Die Reise geht los

Wer die Welt entdecken will, für den beginnt die Reise oft unspektakulär: mit der Autofahrt zum Flughafen. Bevor wir in Frankfurt in den Flieger steigen, müssen wir die 105 Kilometer von unserem Startpunkt Kaiserslautern aus zurücklegen. Am dortigen Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) arbeitet David May daran, dass Autos künftig effizienter fahren – indem sie leichter werden. Dann brauchen wir weniger Energie für die Fortbewegung. Die Batterie oder der Tank reicht länger, man kann die Zuladung erhöhen, sagt er. Heute typische Materialien im Fahrgestell – zum Beispiel Aluminium oder Stahl – wollen der Materialwissenschaftler und sein Team durch Faser-Kunststoff-Verbunde ersetzen, genauer: durch Kunststoffe, die mit Kohlenstofffasern verstärkt wurden. Diese Fasern sind dünner als ein menschliches Haar, bei einer wesentlich geringeren Dichte aber ähnlich steif wie Stahl. Im Verbund mit dem Kunststoff können sie dadurch im Verhältnis mehr Gewicht pro Kilogramm Material tragen. Wir ermitteln zunächst mit Computermodellen, welche Gestalt ein Bauteil idealerweise haben muss, um bestimmte Lasten auszuhalten. Schon dadurch sparen wir Ressourcen, denn Material wird nur noch dort verbaut, wo wir es tatsächlich brauchen, erklärt May. Bei den Modellen handelt es sich nach der Optimierung meist um eine skelettartige Struktur. Mit einem neuartigen Verfahren können die Wissenschaftler dann Bündel von Kohlenstofffasern zunächst mit einem Kunststoff imprägnieren und diese Bündel exakt so auf einem Werkzeug positionieren, wie es das Computermodell vorgibt. Nachdem der Kunststoff ausgehärtet ist, kann das Bauteil entnommen werden. Allerdings sind gerade kohlenstofffaserbasierte Kunststoffe heute noch vergleichsweise teuer – May glaubt daher, dass sich in nächster Zeit vor allem Mischbauweisen aus Faser-Kunststoff-Verbunden und Metallen durchsetzen werden. In vielen automobilen Serienfahrzeugen werden sie schon jetzt eingesetzt.

Blick nach oben zu einem Flugzeug zwischen Baumwipfeln.
Foto SAM WILLIS/UNSPLASH

Wir heben ab

Und los geht’s nach Miami – mit schlechtem Gewissen. Denn die globale Luftfahrt ist laut einer internationalen Studie, an der unter anderem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt beteiligt war, für 3,5 Prozent des menschengemachten Klimawandels verantwortlich. Doch auch hier kann Leichtbau Abhilfe schaffen. Das Prinzip ist das gleiche wie bei den Automobilen, auf die David Mays Forschung abzielt, allerdings spielen die Kosten hier keine so große Rolle, weil die Flugzeuge länger im Einsatz sind. Ein wichtiger Unterschied kommt hinzu: Wir müssen unsere Materialien auf große Temperaturunterschiede ausrichten: Ein Flugzeug kann eine Woche in Sibirien stehen und dann auf den Philippinen. Zudem sind die Lasten größer, erklärt Nicole Motsch-Eichmann, die den Bereich Bauweisen am IVW leitet. Schon heute kommen Faserkunststoffe in Flugzeugen zum Einsatz, Motsch-Eichmann und ihr Team haben den ersten Ladeklappenträger in Leichtbauweise mitentwickelt. Und es gibt noch mehr Potenzial: Ersetzt man etwa bestimmte Materialien, die man vernieten musste, durch solche, die man zusammenschweißen kann, spart man Unmengen Gewicht. Im April startet die Wissenschaftlerin ein neues Projekt: Die Wasserstofftanks, die das IVW bisher für Autos entwickelt hat, sollen für die Luftfahrt angepasst werden. Auch diese sollen durch Gestaltoptimierung und den Einsatz von Faserkunststoffen leichter werden. Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem man sehr dünne, rohrförmige Behälter herstellen kann. Wasserstofftanks können dann zum Beispiel in Flügeln eingebaut werden oder als tragende Stütze, sagt die Wissenschaftlerin. Grundlage dafür ist die sogenannte Wickeltechnologie: Um einen Kern werden wie bei einem Spießbraten Kohlenstofffasern gewickelt und dann mit einem Harzsystem verhärtet. 

Badende mit Blick auf ein Kreuzfahrtschiff.
Foto JINGXI LAU/UNSPLASH

Wir legen ab

Nach ein paar Tagen in der zweitgrößten Stadt Floridas gehen wir auf Karibik-Kreuzfahrt. Wie die zunehmend in Verruf geratenen schwimmenden Hotels aber auch Containerschiffe klimafreundlicher werden können, erforscht Angela Kruth vom Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie in Greifswald (INP). Sie ist zugleich Sprecherin des Campfire-Bündnisses: 72 Partner aus Wissenschaft und Industrie haben sich im Nordosten Deutschlands zum Ziel gesetzt, Ammoniak direkt an Bord aus erneuerbaren Energien zu erzeugen und ihn als Schiffstreibstoff zu verwerten – langfristig CO2-neutral. Das INP entwickelt dafür Dünnschichten aus Keramik: Sie kommen als Membran einerseits in neu designten Reaktoren zur Herstellung des Gases zum Einsatz, zum anderen bei seiner Verwertung in den sogenannten Direkten Ammoniak-Festoxid-Brennstoffzellen (DA-SOFC). Diese Hochtemperaturbrennstoffzellen können mit reinem Ammoniak betrieben werden, lassen sich aber nicht schnell hoch- oder runterfahren. Die fehlende Flexibilität ist zum Beispiel problematisch, wenn das Schiff startet und in kurzer Zeit viel Energie braucht, erklärt Kruth. Eine mögliche Lösung ist die Behandlung der Dünnschichten mit Plasma, einem energiereichen Gas, bei dem es sich im Grunde um elektrisch aufgeladene Luft handelt. Weil die Forscher die Eigenschaften der Membran so optimieren und weniger Material einsetzen können, braucht die Brennstoffzelle unter anderem weniger Energie zum Hochheizen. Auch bei den Katalysatoren, die sowohl bei der Erzeugung als auch bei der Verwertung des schlecht brennbaren Ammoniaks notwendig sind, setzen die Forscherinnen auf Plasma: Es wird in eine Lösung oder Suspension für die Erzeugung von Nanopartikeln eingebracht, die im Anschluss von unseren Partnern aufgesprüht oder weiterverarbeitet werden kann. Das ist deutlich günstiger und ressourcenschonend, sagt Kruth.

Ein Mann und eine Frau von hinten, sie lehnen an der Reling eines Schiffes.
Foto LACHLAN ROSS/PEXELS

Auf hoher See

Barbados, Puerto Rico, Kuba, die Bahamas – schon der Klang der Inselnamen, die wir ansteuern, verheißt Urlaub, Sonne, traumhafte Strände. Wäre da nicht dieses ungute Gefühl – die Angst vor einem Corona-Ausbruch auf dem Schiff. Doch hier kommt erneut die Plasma-Technologie ins Spiel: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln am INP nämlich auch neue Verfahren, um durch die Behandlung von Oberflächen und der Luft Infektionen in Innenräumen zu verhindern. Im Plasma befinden sich sogenannte reaktive Sauerstoffspezies, das sind Moleküle, die Sauerstoff enthalten und eine stark desinfizierende Wirkung haben, erklärt Jürgen Kolb. Deshalb startet im Juli das Projekt »Healthy Sailing«, das auf die Initiative von Schiffsbauern zurückgeht. Für die Entfernung von Coronaviren auf Oberflächen bietet sich die »trockene«, gasförmige Desinfektion besonders an: Es wird zusätzliche Luft in das Plasma eingeleitet und dann über bestimmte Oberflächen geführt. Mischt man das Plasma mit Wasser, kann man analog dazu Desinfektionsmittel herstellen. Der Vorteil für Besatzung und Reisende: Außer Luft und Elektrizität brauchen sie keine Materialien, um das Plasma herzustellen. Sie können es also direkt an Borderzeugen, der Transport von Desinfektionsmitteln entfällt. In einer Branche, in der mehr Gewicht nicht nur zu einem höheren CO2-Ausstoß, sondern auch zu höheren Kosten führt, ist das nicht zu unterschätzen. Auch zur Dekontamination der Raumluft ist das energiereiche Gas von Vorteil: Filter aus Plasma müssen, anders als die bisher gängigen anti-mikrobiellen Filter, nicht ausgetauscht und bei Belastung mit Coronaviren im Sondermüll entsorgt werden. Denn sie inaktivieren die Keime zugleich und sind sogar schon in der Anwendung.

Breite leere Landstraße.
Foto JOEY C/UNSPLASH

On the road again

Als wir nach zehn Tagen in den Hafen von Miami zurückkehren, ist unsere Reise noch nicht zu Ende: Mit dem Auto geht es Richtung Norden nach Cape Canaveral. Noch sitzen wir dabei in einer echten Schadstoffschleuder, doch am Leibniz-Institut für Katalyse (LIKAT) wollen Henrik Junge und sein Team Roadtrips wie unseren in Zukunft umweltfreundlicher machen – mit grünem Wasserstoff, der per Elektrolyse aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird. Doch dafür benötigt man Katalysatoren: Iridium, das man im Moment benutzt, ist ein sehr teures und seltenes Edelmetall. Wir forschen daran, die eingesetzte Menge zu begrenzen oder es vollständig durch andere Materialien zu ersetzen, sagt der Wissenschaftler. Ist der Wasserstoff einmal gewonnen, stellt sich allerdings das Problem der Speicherung. Am LIKAT suchen sie deshalb nach Möglichkeiten, das flüchtige Gas möglichst effizient in organischen Flüssigkeiten zu binden, etwa in Ameisensäure oder Methanol, und es dann erst direkt vor Gebrauch, zum Beispiel für den Betrieb von Brennstoffzellen, wieder freizusetzen. Flüssige Komponenten sind viel leichter zu transportieren als gasförmige und mit der vorhandenen Infrastruktur an den Tankstellen gut zu handhaben, sagt Junge. Methanol oder Ameisensäure sind aber auch selbst Energieträger. Daher arbeitet das Institut daran, aus ihnen synthetische Kraftstoffe herzustellen, die sogenannten Synfuels: Das CO2, das sie ausstoßen, wurde zuvor bei ihrer Produktion gebunden. Diese Technologie sei für den Übergang interessant: Hier können wir CO2-Neutralität erreichen.

Person schwebt Kopfüber in einer Weltraumkapsel der ISS mit vielen Kabeln und dem Gecko-Roboter.
Der NASA Astronaut Victor Glover testet den gelb-schwarzen Gecko-Roboter an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Foto NASA

Besenreines All

Von Cape Canaveral aus können wir zwar nicht selbst ins All reisen – obwohl der Weltraumtourismus immer mehr Fahrt aufnimmt – wir befinden uns dort aber am Startpunkt einer ganz besonderen Mission. Denn mit Matthias Maurer flog 2021 nicht nur ein Saarländer zur ISS, auch Technologien aus Deutschlands kleinstem Flächenland legten die 408 Kilometer dorthin zurück: Dort sollten Greifsysteme getestet werden, die das Saarbrückener Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM) entwickelt hat, um die für die Raumfahrt gefährlichen Hinterlassenschaften zurückliegender Reisen zu entsorgen. Ihr Vorbild? Der Fuß des Geckos, eine relativ bekannte Inspiration aus der Natur, die die Wissenschaftler auf Greifsysteme anwandten. Der Gecko ist das größte Tier, das an der Decke hängend sein eigenes Gewicht tragen kann, denn seine Zehen haben einen besonderen Haftmechanismus. Anders als Schnecken nutzt er kein Sekret, er saugt sich aber auch nicht fest wie Tintenfische, sagt Eduard Arzt, Wissenschaftlicher Geschäftsführer am INM. Stattdessen sind die Zehen mit feinen Härchen versetzt, die einen so engen Kontakt mit der Gegenoberfläche herstellen, dass sie das Gewicht des Tieres tragen – und zum Vorbild im All wurden. Denn Saugsysteme brauchen Luft und einen gewissen Unterdruck, das funktioniert im Weltraum nicht, erklärt Arzt. Die NASA stattete deshalb kleine Roboter mit den Saarbrückener Greifsystemen aus: Der unkontrolliert umherfliegende Weltraumschrott blieb an ihnen wie an einem Klebeband haften und konnte so gefasst werden. Die Idee ist, so den Schrott in tiefere Umlaufbahnen zu drücken, wo er verglüht, sobald er in die Erdatmosphäre eintritt.  Die erste Test-Mission war erfolgreich, jetzt stehen weitere Optimierungen an und, wenn sie gelingen, auch weitere Reisen der reinlichen Greifarme ins All.

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