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Der Großteil der Erdoberfläche ist mit Ozeanen bedeckt. Sie bilden Lebensräume für eine riesige Vielfalt an Lebewesen und sind auch die Lebensgrundlage für Millionen von Menschen. Doch der Zustand der Meere verschlechtert sich dramatisch. Viele fragen sich, ob die Meere überhaupt noch zu retten sind und wenn ja wie? Welchen Schaden richtet Plastikmüll an und wäre eine nachhaltige Nutzung der Meere möglich? In unserem Podcast »Tonspur Wissen« hat die Journalistin Ursula Weidenfeld den Umweltökonom Raimund Bleischwitz vom Leibniz-Insitut für Marine Tropenforschung (ZMT) gefragt.

LEIBNIZ Herr Bleischwitz, wir hören in letzter Zeit viel Alarmierendes über die Meere, die unter anderem zu dreckig und zu warm seien. Sind die Meere wirklich in Gefahr?

RAIMUND BLEISCHWITZ Ja, das sind sie, die Berichte sind relativ eindeutig. Es hat ein sogenanntes World Ocean Assessment gegeben, das vor zwei Jahren veröffentlicht wurde, den Global Environmental Outlook der Vereinten Nationen, und auch im Bericht des Weltklimarats IPCC wird darauf eingegangen. Insofern: Ja, Die Meere sind in Gefahr. Der Ozean ist zu warm und zu sauer. Die Meere haben zunehmend sauerstoffarme Bereiche, sogenannte Todeszonen. All diesen Dingen muss man sich widmen.

Woher weiß man das? Weil es mehr Studien über die Meere gibt, man also genauer hinguckt, oder weil es tatsächlich so viel schlimmer geworden ist?

Beides. Wir brauchen, und das sage ich natürlich als Wissenschaftler, mehr Forschung. Wir wissen über den Ozean, über den Ozeanboden, über die Ozeanströmungen nicht so viel, wie wir über die Prozesse an Land wissen. Aber letztlich reicht dieses Wissen aus, um zu handeln; das betrifft uns, das betrifft die Politik, das betrifft aber auch andere Akteure. Es ist jetzt an der Zeit.

Und was kann man machen?

Wichtig ist natürlich, dass man mit der Klimapolitik weitermacht. Die globale Erwärmung kommt ja dadurch, dass zu viele Treibhausgase ausgestoßen werden. Daher ist das 1,5-Grad-Ziel sehr richtig. Wir müssen Klimaneutralität erreichen. Klimapolitik und Meeresschutz können und müssen besser miteinander verknüpft werden. Ein konkreter Vorschlag ist es, die Abholzung der Mangroven zu stoppen, die CO2 aufnehmen und wichtige Ökosysteme an den Küsten sind. Und wir müssen die Überfischung der Weltmeere beenden. Nicht zuletzt müssen wir uns mit den Plastikabfällen in den Meeren beschäftigen. Ein entsprechendes Abkommen wird gerade verhandelt.

Korallen und Mangroven in Melanesien.
Korallen und Mangroven in Melanesien. Foto SEBASTIAN FERSE/ZMT

Sie reden von Mangroven, also Baum- und Straucharten, die durch ihre Salztoleranz unmittelbar an der Küste wachsen.

Genau. Sie binden CO2 und schützen die Küsten. Es ist eine Art natürliche Schutzmauer, die dort entsteht. In Afrika spricht man daher von einer »Blue Wall«, die man errichten will. Mangroven können CO2 sogar besser als Tropenwälder speichern. Unser Projekt »sea4soCiety« versucht, diese Mechanismen der Kohlenstoffspeicherung zu bilanzieren. 

Reden wir über den Plastikmüll im Meer. Was ist dort zu tun?

Sehr viel. Und das oberste Gebot heißt: Hört endlich auf, euren Plastikmüll einfach in die Natur zu schmeißen! Kein Kaffeebecher sollte auf der Straße oder auf der Wiese landen! Macht Ernst mit der Abfallvermeidung! In Europa und anderen Ländern der westlichen Welt funktioniert das einigermaßen, aber es ist auch hier längst nicht alles perfekt: Es landet eben doch zu viel Plastik in den Flüssen und schließlich im Meer. Letztlich geht es darum, dass man wirklich aufräumen muss, indem man schwimmende Müllschlucker installiert. Sie können auch satellitengestützt zu Hotspots der Vermüllung navigiert werden. Es gibt in Norddeutschland zum Beispiel einen Anlagenbauer, der eine Art schwimmende Fabrik entwickelt , mit der Plastikstoffe in Elektrizität umgewandelt werden können. Aber man muss natürlich noch viel mehr tun.

Das dritte Thema, das sie erwähnt haben, sind die Todeszonen in den Meeren: Das sind Zonen, in denen es praktisch keinen Sauerstoff mehr gibt, und in denen deshalb auch kein Leben mehr existieren kann. Was kann man da machen? Wie kriegt man da Sauerstoff wieder rein?

Jüngst wurde beschlossen, 30 Prozent des Meeres in Naturschutzzonen umzuwandeln – eine Reaktion auf das Sterben der Korallenriffe. Derartige Maßnahmen würden auch den Sauerstoffgehalt wieder erhöhen.

Wo müsste man diese Naturschutzzonen errichten?

Das wird eine Aufgabe für die Politik sein. Und keine leichte: Die sogenannte Meeresraumplanung ist in letzter Zeit sehr wichtig geworden, weil wir das Meer auch nutzen wollen, um neuartige Nahrungsmittel zu erzeugen, Algen und Quallen etwa. Die ökologisch besonders wertvollen Gebiete müssen aber natürlich geschützt werden. Sie befinden sich häufig um Korallenriffe herum. Wir hoffen, dass durch neue Naturschutzzonen, gezielte Aufforstung von Mangroven, durch Restauration von Korallenriffen tatsächlich wieder schrittweise ein intakter, ein gesunder Ozean hergestellt werden kann.

Treibgut aus Plastik: Strand auf Bali.
Treibgut aus Plastik: Strand auf Bali. Foto ROGER SPRANZ/ZMT
Ein Korallenriff vor den Solomon Islands.
Ein Korallenriff vor den Solomon Islands. Foto SEBASTIAN FERSE/ZMT

Nun ist der Ozean ja nicht nur wichtig fürs Klima, sondern auch für die Wirtschaft und für die Ernährung. Würden Sie einen kompletten Stopp seiner Nutzung fordern?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Man hat das Meer immer schon genutzt, und es bietet tatsächlich auch erhebliche Chancen, auch in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens. Wenn man sich vorstellt, dass tatsächlich 30 Prozent der Ozeane nach strengen Kriterien unter Naturschutz gestellt würden, bliebe ja immer noch einiges übrig. Man muss sich aber von der Idee verabschieden, die nicht-nachhaltige Nutzung weiterzuführen. Für sie wurde der Ozean ja oft genug als Müllkippe benutzt. Die Blue Economy dagegen …

… also eine Wirtschaft, die sich die nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen zur Aufgabe gemacht hat …

… hat durchaus ein hohes Wachstumspotenzial. Man geht hier von einer Verdreifachung der Wertschöpfung aus. Stichworte wären da neben der Mangrovenaufforstung, auch erneuerbare Energien wie Offshore-Windparks und schwimmende Photovoltaikanlagen in Küstennähe, aber auch Umwelttourismus. Auch die Schifffahrt will auf klimafreundliche Antriebe umstellen und stellt sich mehr und mehr dem Schiffsrecycling, das auch für klimafreundlichen Stahl wichtig ist.

An dieser Art der wirtschaftlichen Nutzung der Meere gibt es auch Kritik: Der Krach der Offshore-Windparks irritiert zum Beispiel Wale und Zugvögel.

Ja, das stimmt auch alles. Aber das, was die Naturschutzverbände zu Recht anmahnen, lässt sich in Auflagen und Kriterien übersetzen, wie eine nachhaltige Meeresnutzung aussehen kann. Denken Sie etwa an die 30 Prozent Naturschutzzonen: Dort werden strenge Schutzkriterien gelten.

Was stimmt Sie zuversichtlich?

Dass das erwähnte internationale Plastik-Abkommen nicht nur in Gang gesetzt worden ist, sondern die Verhandlungen jetzt auch in die zweite Runde gehen zum Beispiel. Das Ziel ist es nach wie vor, bis Ende 2024 einen Vertragsentwurf vorliegen zu haben. Das ist ein gutes Zeichen.

Portrait Raimund Bleischwitz
Der Umweltökonom Raimund Bleischwitz vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung, dem ZMT. Foto JAN MEIER

Wenn wir beispielsweise über Offshore-Windkraftanlagen reden: Wie überzeugt man Länder, die über riesige Vorräte an fossilen Energieträgern wie Kohle verfügen, da mitzumachen?

Wir reden da von Ländern, die fossile Energieträger nutzen, etwa weil sie einheimische Kohlevorräte haben. Indonesien, Kolumbien, Südafrika kann man da nennen, aber auch Brasilien, das bei seiner Energiegewinnung viel auf Öl und Gas setzt. Man muss aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis berücksichtigen: Im Bereich der Windenergie wird es mit zwölf zu eins geschätzt; die Kosten für Windenergieanlagen sind in den letzten Jahren deutlich günstiger geworden, ein investierter Euro bringt zwölf Euro Gewinn. Und insbesondere Südafrika hat einen sehr konstanten und starken Wind. Bei fossilen Energieträgern gilt es die sozialen Kosten mitzubedenken, insbesondere auch in lokalen Bereichen von Luftverschmutzung und Gesundheit. Luftverschmutzung führt weltweit jährlich zu circa sieben Millionen Todesfällen. Eine erschreckende Anzahl in der Größenordnung der Opfer der Covid-Pandemie. 

Wie sollten wir uns denn als Einzelpersonen dem Meer gegenüber verhalten? Wie sieht es mit Strandurlauben aus. Dürfen wir das in Zukunft noch tun? Und wenn ja, wie können wir uns da vernünftig und nachhaltig verhalten? 

Wir sollten versuchen, als bewusste Touristinnen und Touristen Urlaub zu machen. Das heißt in erster Linie, nicht mehr übermäßig Müll zu produzieren. Ich denke aber auch, dass mit der Pandemie eine neue Wertschätzung für die Natur entstanden ist – und wir uns daher vermehrt Gedanken machen, wie wir unser Bedürfnis nach Tourismus auf eine nachhaltigere und umweltschonendere Weise befriedigen können.

Wie lange dauert es, bis man die Meere wieder zu guten Meeren machen kann?

Das geht Schritt für Schritt. Jeder Strand, der aufgeräumt, jede Küste, die umweltverträglich bewirtschaftet wird, ist ein Gewinn für den Ozean. Ich denke, dass es trotzdem Jahre und Jahrzehnte dauern wird. Wir können das durchaus mit dem Schutz der Ozonschicht über unseren Köpfen vergleichen, wo der Schutz Ende der 1980er Jahre begonnen hat. Und jetzt wird gesagt, dass die Ozonschicht nahezu repariert ist. Letztlich müssen wir in diesen langen Zeiträumen rechnen. Aber denken wir an unsere Kinder und Kindeskinder. Es lohnt sich.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Raimund Bleischwitz vom Leibniz-Insitut für Marine Tropenforschung (ZMT) können Sie in voller Länge im Podcast Tonspur Wissen von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für leibniz haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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