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Eine lohnende Investition

Integrationsinvestitionen sind machbar und gut angelegt.

MARCEL FRATZSCHER

Mit der abnehmenden Zahl von Geflüchteten, die im Augenblick nach Deutschland kommen, scheint sich auch die Debatte zu beruhigen. Dabei steht die größte Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch bevor: die Frage, wie Flüchtlinge erfolgreich integriert werden können. Gerade in dieser Frage hat die Wissenschaft eine besondere Verantwortung. Unsere Zahlen und Analysen sollten eine ganz entscheidende Grundlage für die Integrationspolitik Deutschlands schaffen.

Gerade wir Wirtschaftswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen haben eine Bringschuld an Wirtschaft und Gesellschaft — mit unseren Analysen Wege für eine erfolgreiche Integration aufzuzeigen. Leider sind viele jedoch destruktiv. Sie betonen die Kosten der Flüchtlinge für den Staat, anstatt auch die Chancen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Sie unterscheiden zwischen Deutschen und Geflüchteten und betonen einen Verteilungskampf zwischen beiden Gruppen. Es sollte viel eher aufgezeigt werden, wie die gesamte Gesellschaft, inklusive Flüchtlinge, profitiert.

Erfolgreiche Integration erfordert erhebliche Investitionen. Um die erforderlichen öffentlichen und privaten Investitionen im erforderlichen Umfang zu ermöglichen, brauchen wir Klarheit über die politischen Ziele und Rechtssicherheit. Solche Ziele sollten quantifizierbar und nachprüfbar sein — Integration und der Integrationserfolg sollten messbar gemacht werden.

Zusammen mit Herbert Brücker und Jakob von Weizsäcker habe ich in der Süddeutschen Zeitung ein konkretes Integrationsprogramm mit sechs Zielen vorgeschlagen.

Ziel sollte es erstens sein, spätestens nach vier Monaten Sicherheit über den rechtlichen Status zu haben, auch in Hinblick auf den Familiennachzug.

Zweitens sollten ein Jahr nach dem Zuzug 50 Prozent und drei Jahre danach alle Geflüchteten über deutsche Sprachkenntnisse verfügen, mit denen sie sich im Alltag verständigen können.

Drittens sollten möglichst viele Flüchtlinge in Regelschulen integriert und zwei Jahre nach dem Zuzug mindestens 75 Prozent im Alter von 18 bis 25 Jahren über einen Schulabschluss verfügen.

Viertens sollten fünf Jahre nach dem Zuzug mindestens die Hälfte der Flüchtlinge im Alter von 20 bis 30 Jahren über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen. Langfristig sollte dieser Anteil auf mindestens zwei Drittel gesteigert werden.

Fünftens sollten fünf Jahre nach ihrer Einreise 60 Prozent der betroffenen Flüchtlinge und zehn Jahre danach 70 Prozent erwerbstätig sein. Die Erwerbstätigenquote läge dann nur noch geringfügig unter dem deutschen Durchschnitt von 74 Prozent.

Und sechstens kann die Arbeitsmarktintegration nur gelingen, wenn Geflüchtete sich dort ansiedeln, wo die Arbeitsmarktperspektiven am günstigsten sind. Die Arbeitsmobilität von anerkannten Geflüchteten ist deshalb zu fördern und nicht durch Wohnortzuweisungen oder eine Residenzpflicht zu beschränken. In den kommenden Jahren sollten 400.000 zusätzliche Wohnungen in den wirtschaftlich dynamischen Ballungszentren entstehen, bis zu 150.000 davon für Geflüchtete.

Eine erfolgreiche Integrationspolitik braucht eine Zukunftsvision auf Basis klarer, ambitionierter und gleichzeitig realistischer Ziele. Wenn diese Rahmenbedingungen stimmen, dann sind diese Integrationsinvestitionen machbar und gut angelegt. Denn von einer erfolgreichen Integration hängt nicht nur das Wohl der geflüchteten Menschen, sondern auch unser Wohlstand ab.

MARCEL FRATZSCHER ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Ein Verlustgeschäft

Jedes Jahr, um das die Integration verzögert wird, erhöht die Kosten.

CLEMENS FUEST

Rund anderthalb Millionen Menschen sind 2015 nach Deutschland zugewandert, darunter viele aus Syrien, die vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat fliehen. 2016 werden voraussichtlich deutlich weniger Menschen kommen, weil andere Staaten in Europa die Grenzen geschlossen haben und die Balkanroute versperrt ist. Die deutsche Bevölkerung hat angesichts der Zuwanderungswelle eine große Bereitschaft gezeigt, Menschen zu helfen, die vor Krieg und politischer Verfolgung fliehen. Das ist beeindruckend. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen.

Anfänglich gab es in Deutschland euphorische Stimmen, die behaupteten, die Flüchtlingswelle verspreche einen ökonomischen Gewinn, eine Entlastung, weil die Bevölkerung in Deutschland altere und Fachkräfte fehlten. Außerdem wurde argumentiert, die Ausgaben für die Versorgung der Zuwanderer seien ein willkommenes Konjunkturprogramm. Kritikern der Zuwanderung wurde entgegengehalten, Kontrollen an den deutschen Grenzen zur Eindämmung der Zuwanderung seien technisch unmöglich oder schlicht zu teuer, weil damit der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr beeinträchtigt werde.

Mittlerweile hat die Debatte deutlich gemacht, dass diese Sicht der Dinge irreführend ist. Ein staatliches Konjunkturprogramm braucht Deutschland derzeit nicht, die Wirtschaft ist voll ausgelastet und der Beschäftigungsstand hoch. Natürlich wäre es besser, Kontrollen an den deutschen Grenzen zu vermeiden, aber selbstverständlich sind sie technisch umsetzbar. Die Kosten einschließlich der Behinderung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs wären nach ifo-Berechnungen lästig, aber überschaubar.

Die Hoffnung, dass diese Immigration demografiebedingte Lasten in den öffentlichen Kassen mindert, könnte sich nur dann erfüllen, wenn die Zuwanderer gut ausgebildet wären und mehr an Steuern und Abgaben zahlten als sie an öffentlichen Leistungen in Anspruch nehmen. Zuwanderer, die keine oder unterdurchschnittliche  Einkommen erzielen, sind Netto-Transferempfänger. Sie belasten die öffentlichen Kassen und damit die vorhandene Bevölkerung. Dass niedrig qualifizierte Beschäftigte trotzdem durchaus sehr wertvolle Arbeit leisten, ist dabei bereits eingerechnet.

Über die beruflichen Qualifikationen der Zuwanderer gibt es nur sehr unvollständige Informationen. Die vorliegenden Erkenntnisse sprechen aber leider dafür, dass die meisten Zuwanderer eher niedrig qualifiziert sind. Vorteilhaft ist, dass viele jung sind. Allerdings weisen die Schulsysteme in Herkunftsländern wie Syrien, Irak oder Afghanistan große Mängel auf. Studien des ifo-Bildungsforschers Ludger Wößmann zeigen, dass Schüler aus Ländern wie Syrien und Afghanistan Rückstände gegenüber Schülern aus OECD-Ländern wie Deutschland aufweisen, die bis zu fünf Schuljahren entsprechen. Versäumnisse in der Schulausbildung in jungen Jahren können später nur noch begrenzt kompensiert werden. Deshalb ist das Ausbildungspotential leider begrenzt.

All dies ändert nichts daran, dass die Aus- und Weiterbildung der Zuwanderer, die in Deutschland bleiben werden, mit hoher Priorität vorangetrieben werden sollten. Zu den Voraussetzungen einer zügigen Integration gehört auch, dass die Unsicherheit darüber, wer in Deutschland bleiben darf, möglichst schnell ausgeräumt werden muss. Simulationsstudien des Migrationsexperten Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung kommen zu dem Ergebnis, dass jedes Jahr, um das die Integration in den Arbeitsmarkt verzögert wird, die Kosten der Zuwanderungswelle für den deutschen Staatshaushalt um rund 10 Milliarden Euro in die Höhe treibt. Wir sollten also nicht zögern. Und uns zugleich mit dem Gedanken arrangieren, dass wir finanziell ein Verlustgeschäft machen.

CLEMENS FUEST ist Präsident des ifo Instituts, des Münchner Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung.

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