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Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? In der Rubrik »Frag Leibniz« können Sie – die Leserinnen und Leser unseres Magazins – aktiv werden. Stellen Sie den Forschenden der Leibniz-Institute Ihre Frage. Wir machen uns für Sie auf die Suche nach einer Antwort.

Die Frage dieser Folge lautet: Wie passt sich das menschliche Gehirn an immer komplexere technische Geräte an?

Die Antwort stammt von Gerhard Rinkenauer, Professor an der Fakultät für Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie der TU Dortmund und Leiter des Zukunftslabors »Mensch-Technik-Interaktion« am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung.

Bei Kleinkindern gibt es berechtigte Gründe, sich Sorgen über die übermäßige Nutzung digitaler Medien zu machen.

GERHARD RINKENAUER

Porträt on Gerhard Rinkenauer.
Gerhard Rinkenauer vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung. Foto IFADO

Aktuell forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt zu der Frage, wie sich moderne digitale Geräte auf unser Gehirn und Verhalten auswirken. Im Fokus steht dabei weniger die Komplexität, sondern eher der Umfang und die Art der Nutzung digitaler Medien. Die Komplexität wird wahrscheinlich weniger berücksichtigt, da dieses Maß zwar grundsätzlich die Eigenschaften von Systemen beschreibt – jedoch auch stark davon abhängt, wer sie gerade nutzt. Für den ungeübten Nutzer kann beispielsweise der Umgang mit einem Smartphone unverständlich und schwierig sein, während die geübte Nutzerin mit solch einem »komplexen System« ohne jede Anstrengung interagiert.

Grundsätzlich wissen wir noch wenig darüber, wie digitale Medien unser Gehirn und seine Funktionsweise verändern. Allerdings deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass die häufige Nutzung digitaler Technologien erhebliche Auswirkungen – negative wie positive – auf die Gehirnfunktion und unser Verhalten haben kann. Und das in jeder Alters- und Entwicklungsstufe.

Zu den potenziell schädlichen Auswirkungen einer ausgiebigen Nutzung digitaler Medien zählen neben Technologiesucht, sozialer Isolation und Schlafstörungen insbesondere Aufmerksamkeitsstörungen und eine Beeinträchtigung der emotionalen und sozialen Intelligenz sowie der Entwicklung des Gehirns. Studien haben so zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen intensiver Bildschirmarbeit und Symptomen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – besser bekannt als ADHS – hergestellt. Obwohl die meisten dieser Untersuchungen Kinder und Jugendliche in den Blick nahmen, wurde das Phänomen bei Menschen jeden Alters beobachtet.

Der Grund für den Zusammenhang ist noch unklar, könnte aber darauf zurückzuführen sein, dass unsere Aufmerksamkeit und die Fähigkeit zum Multitasking sehr stark gefordert sind, wenn wir digitale Medien nutzen. Man geht davon aus, dass diese Anforderungen die sogenannten exekutiven Funktionen beeinträchtigen können. Das sind Hirnprozesse, die für die Steuerung eines zielgerichteten Verhaltens relevant sind und auch eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Emotionen, Kognition und Verhalten spielen. Neben der direkten Beeinträchtigung dieser wichtigen Hirnfunktionen haben Menschen, die ständig mit digitalen Medien arbeiten, schlicht auch weniger Möglichkeiten, offline mit ihrer Umwelt zu interagieren und ihrem Gehirn auch einmal eine Ruhepause in seinem Standardmodus zu erlauben.

Auch bei Kleinkindern gibt es berechtigte Gründe, sich Sorgen über die übermäßige Nutzung digitaler Medien zu machen. In diesem Alter ist das Gehirn nämlich besonders formbar. So stellte man in einer kürzlich durchgeführten Untersuchung fest, dass Kinder unter zwei Jahren durchschnittlich mehr als eine Stunde am Tag vor dem Bildschirm verbringen; im Alter von drei Jahren waren es sogar mehr als drei Stunden. Eine längere Bildschirmzeit wurde mit einer schlechteren Sprachentwicklung und schlechteren exekutiven Funktionen in Verbindung gebracht. Bei Säuglingen war eine erhöhte Bildschirmzeit einer von mehreren Faktoren, die Verhaltensprobleme vorhersagten und mit einer schlechteren frühen Sprachentwicklung in Verbindung gebracht wurden. Vergleichbares war bei Kindern im Alter zwischen acht und zwölf Jahren zu beobachten: Hier kann sich eine erhöhte Bildschirmzeit negativ auf die Worterkennung und das Leseverständnis auswirken.

Modell eines menschlichen Kopfes dessen Gehirn frei liegt. Er ist mit Hinweisen auf bestimmte Regionen des Gehirns beschriftet, wie etwa "Sprache" oder "Umfang".
Wie beeinflussen digitale Technologien unser Gehirn? Viele Funktionsweisen des Gehirns in Bezug auf Technologienutzung sind weitestgehend unerforscht. Foto DAVID MATOS/UNSPLASH

Jüngste Studien deuten darauf hin, dass die Bildschirmnutzung auch unseren Schlaf stört, was wiederum Kognition und Verhalten beeinträchtigen kann. Wer täglich Touchscreens nutzt, schläft nachweislich kürzer und weniger tief – in allen Altersklassen. Forschende vermuten, dass die schlechte Schlafqualität mit Veränderungen des Gehirns zusammenhängt, die beispielsweise zu einer verringerten »funktionellen Konnektivität« (dieser Begriff beschreibt die Kommunikation zwischen verschiedenen Regionen des Gehirns), einem verringerten Volumen der grauen Substanz (die zum Beispiel für Leistungen wie die Erinnerung an Vergangenes oder das Planen der Zukunft zentral ist) sowie einem erhöhten Risiko für altersbedingte Beeinträchtigungen kognitiver Fähigkeiten (etwa für Gedächtnis und Sprache) führen.

Trotz dieser schädlichen Auswirkungen digitaler Technologien auf die Entwicklung und Gesundheit des Gehirns deuten neuere Erkenntnisse auch auf Vorteile hin, insbesondere für das alternde Gehirn. Bestimmte Computerprogramme und Videospiele etwa können sich positiv auf das Gedächtnis und unsere Fähigkeit zum Multitasking auswirken. Außerdem können sie jene Intelligenzfähigkeiten verbessern, die sich aufs Problemlösen und Denken sowie auf schnelles Handeln und die Kodierung neuer Erfahrungen stützen. Gehirnscans zeigen zum Beispiel, dass ältere Erwachsene mit wenig Interneterfahrung beim Lernen im Umgang mit Suchmaschinen eine deutliche Zunahme der neuronalen Aktivität im Gehirn aufweisen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Onlinesuche eine Art neuronales Training für das Gehirn darstellen kann und das Gehirn mit entsprechenden neuronalen Anpassungen reagiert.

Computerspiele können darüber hinaus auch die Multitasking-Fähigkeiten älterer Menschen verbessern, die im Laufe des Lebens stetig abnehmen. In einer Studie wurden Probanden im Alter von 60 bis 85 Jahren vier Wochen lang mit einem Videospiel namens »NeuroRacer« trainiert, bei dem die Spielerinnen und Spieler ein Auto auf einer kurvenreichen Straße steuern. Nach dem absolvierten Training zeigten sie eine bemerkenswerte Verbesserung ihrer Leistungen: Die Ergebnisse übertrafen nicht nur die der Kontrollgruppe der untrainierten Zwanzig- bis Dreißigjährigen, sondern wurden auch sechs Monate lang ohne zusätzliches Training beibehalten. Darüber hinaus verbesserte das Training auch andere kognitive Fähigkeiten, die zum Beispiel das Arbeitsgedächtnis und die Aufmerksamkeit betrafen. Wenn wir über einen Zeitraum von sechs Monaten an mehr als vier Tagen in der Woche (mindestens eine Stunde am Tag) solche Action-Videospiele spielen, kann das Studien zufolge außerdem die visuelle und räumliche Aufmerksamkeit und unsere motorischen Fähigkeiten verbessern, was beispielsweise bei Chirurgen die Fehlerquote im Operationssaal senken würde.

Die Nutzung digitaler Technologien kann unser Gehirn also in jedem Lebensalter sowohl fördern als auch schädigen. Die künftige Forschung muss die zugrundeliegenden Mechanismen und kausalen Zusammenhänge zwischen der Nutzung von Technologien und der Anpassung des Gehirns weiter aufklären, wobei der Schwerpunkt nicht nur auf den negativen, sondern auch auf den positiven Auswirkungen der Nutzung digitaler Technologien liegen sollte.

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Wie groß ist der Weltraum? Kann man Dinosaurier zum Leben erwecken? Und wie funktioniert eigentlich unser Denken? Wohl jede und jeder von uns hat schon einmmal die kleineren und größeren Fragen des Lebens gewälzt. In unserer Rubrik »Frag Leibniz« können Sie die Forscherinnen und Forscher der Leibniz-Institute um Antwort bitten. Sie wollen es wissen? Stellen Sie hier Ihre Frage – wir leiten Sie direkt an das passende Institut weiter.

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