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Spinnen leisten einen wertvollen Beitrag als Schädlingsbekämpfer. Trotzdem fürchten sich manche Menschen vor ihnen. Der Arachnologe Peter Jäger von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung erklärt, warum das eine kulturell erlernte und meist unbegründete Angst ist, welche Spinne mit ihrem Gift gefährlich für den Menschen sein kann – und wieso er sich gelegentlich mit Absicht beißen lässt.

LEIBNIZ Herr Jäger, wozu braucht die Welt Spinnen?

PETER JÄGER Ganz plakativ gesagt: Möchte man ein Spinnennetz im Zimmer haben oder lieber viele Mückenstiche in der Nacht? An so einem kleinen Beispiel wird vielen Menschen klar, dass Spinnen für irgendetwas gut sind. In der Landwirtschaft haben Spinnen sogar einen wirtschaftlichen Faktor, da sie Gegenspieler von vielen Schadinsekten sind.

Wenn wir keine Spinnen hätten, hätten wir also mehr Mückenstiche?

Auf das Einfachste reduziert, ja.

Was ist denn eine Spinne?

Eine Spinne hat zunächst einmal keine Wirbelsäule wie Säugetiere, Fische, Vögel, Reptilien und Amphibien. Wir befinden uns also im Reich der Wirbellosen. Dort gibt es Tiere, die einen Außenpanzer haben, ein sogenanntes Exoskelett mit gegliederten Beinen. Man nennt sie Gliederfüßer. Dazu gehören Insekten, Tausendfüßer, Krebstiere und eben auch Spinnentiere. Letztere haben dazu noch eine Besonderheit: Sie haben acht Laufbeine und vorne zusätzlich noch kleine, reduzierte Beine, die sich Pedipalpen oder auch Taster nennen. Und schließlich haben sie noch die berühmten Chelizeren, diese kleinen Beißwerkzeuge. Sie sind bei den verschiedenen Ordnungen zwar ganz unterschiedlich ausgestattet und entwickelt, kommen grundsätzlich aber bei allen Spinnentieren vor. Dazu haben Spinnen noch verschiedene andere Eigenschaften, wenn man zum Beispiel auf ihre Gift- und Spinndrüsen schaut. Zudem haben sie in der Regel – passend zu den acht Beinen – auch acht Augen.

Ich habe einmal eine Dornfinger-Spinne in meinen Daumen beißen lassen und anschließend ein Muskelzucken gehabt.

PETER JÄGER

Peter Jäger in der arachnologischen Sammlung
Peter Jäger in der arachnologischen Sammlung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Foto SENCKENBERG

Sind Spinnen immer giftig?

Im Grunde schon, dafür sind ihre Giftdrüsen ja da. Allerdings gibt es einige wenige Ausnahmen. Bei zwei Familien sind die Giftdrüsen reduziert. Das heißt, sie haben keine mehr oder die Drüsen haben sich noch nicht entwickelt. Das sind allerdings nur 200 bis 300 Arten von insgesamt mehr als 50.000. Bevor wir jetzt aber Angst bekommen, muss man wissen, dass die pure Existenz eines Giftes ja nichts Bedrohliches ist. Es müsste über die kleinen Giftklauen der Spinne wie mit einer Injektionsnadel in unsere Haut gelangen.

Und tut es das?

Bei den mehr als tausend Spinnenarten in Deutschland zum Beispiel schaffen das nur die Wenigsten. Zudem ist es bei diesen Arten meist so, dass das Gift nur in winzigen Mengen injiziert wird und auf unseren menschlichen Körper so schwach wirkt, dass wir überhaupt nichts davon merken würden. In ganz wenigen Fällen haben wir tatsächlich auch eine winzige Giftwirkung, die man sich ähnlich einer Berührung mit Brennnesseln vorstellen kann. Die meisten Spinnen wollen uns aber gar nicht beißen.

Was ist mit den wenigen Spinnenarten, deren Gift wirklich schmerzen kann?

Es gibt nicht nur welche, deren Gift uns weh tun kann. Das Gift der schwarzen Witwe, der brasilianischen Wanderspinne oder der australischen Trichternetzspinne kann tatsächlich auch Schäden anrichten, wenn wir gebissen werden. Da reden wir von den eigentlichen Giftspinnen, die man allerdings anhand der Toxine, also der Komponenten ihres Gifts, unterscheiden muss. Ich habe einmal eine Dornfinger-Spinne in meinen Daumen beißen lassen und anschließend ein Muskelzucken gehabt. Dieses Gift hat also irgendeine Wirkung auf meine Muskelzellen gehabt, wodurch diese von selber gezuckt haben. In diesem Gift ist also eine Neuro-Komponente drin.

Sie lassen sich von Spinnen beißen, um herauszufinden, ob es wehtut?

Ja, bedingt. Aber natürlich bin ich nicht so dumm und nehme eine hochgiftige Spinne. Wie so etwas enden kann, hat man bei dem australischen Naturfilmer Steve Irwin gesehen, der am Gift eines Stachelrochens gestorben ist. Das mache ich natürlich nicht. Aber ich habe mich tatsächlich schon von verschiedenen Spinnen beißen lassen. Als kleiner Junge mit 13, 14 Jahren war ich neugierig. Heute mache ich das mit Spinnen wie der nach Deutschland eingewanderten Nosferatu-Spinne…

… die ja ziemlich gefährlich sein soll…

… um zu zeigen, dass sie eben nicht gefährlich ist und sich ihr Gift höchstens wie das Jucken von Brennnesseln anfühlt. Zudem hört es schnell wieder auf.

Wegen der in Deutschland vorkommenden Spinnen muss man sich also keine Sorgen machen?

Das stimmt.

Was ist mit Skorpionen?

Skorpione sind Spinnentiere, aber sie können keine Spinnenfäden produzieren. Inzwischen gibt es auch bei uns einige wenige, eingeschleppte Skorpionarten, zum Beispiel die kleinen Waldskorpione, die früher am südlichen Alpenrand ihre natürliche Verbreitungsgrenze hatten. Über kurz oder lang werden solche Skorpione auch weiter nördlich vorkommen. Aber sie sind vollkommen harmlos. Wir müssen keine Sorge haben, dass hochgiftige Spinnen, Schlangen und Skorpione mit dem Klimawandel auf einmal nach Deutschland hereinströmen. Das ist unmöglich.

Warum sind die Tiere bei uns weniger giftig als woanders?

Da müsste man eher die Frage stellen, ob es einen entscheidenden Grund für das Verbreitungsmuster giftiger Tiere gibt. Ich kann dazu keine Antwort geben. Vermuten würde ich wie bei allen anderen Fragen zur Biodiversität, dass in den tropischen Regionen aufgrund der dort vorhandenen Vielfalt auch die meisten der giftigen Tiere entstanden sind. Hier in Deutschland findet sich nur ein kleiner Teil der auf der Welt lebenden Vielfalt, der sich an die hiesige Klimabedingung anpasst und sich hier wohlfühlt. Durch den Klimawandel bekommen wir aber einige interessante Arten aus dem Mittelmeer hinzu.

Die Spinne Thunberga
Die Spinne der Gattung Thunberga. Foto PETER JÄGER

Noch einmal zurück zu den Spinnen: Spinnen sie denn alle Netze?

Alle Spinnen können Fäden spinnen. Wenn man nun zum Beispiel einen Ei-Kokon als Gewebe oder Netz bezeichnet, lautet die Antwort auf Ihre Frage also: Ja! Es gibt auch Spinnen, die kein Fangnetz bauen, aber ihre Röhre auskleiden. Auch das ist ein Netz. Ein Netz ist ja immer nur ein Konstrukt aus Fäden, welche die Spinne produziert hat. Aber nicht alle Spinnen spinnen eben auch Fangnetze. Genug von ihnen ernähren sich stattdessen jagend, lauern dabei tags oder nachts auf Beute oder streunen wie die Wolfspinnen aktiv herum.

Wie orientieren sie sich dabei, können Spinnen sehen? Immerhin haben sie ja viele Augen.

Im Grundmuster haben Spinnen acht Augen. Darunter gibt es zwei Gruppen: Die zwei vorderen Mittel-Augen bilden eine Gruppe. Die sechs anderen Augen gehören einer zweiten Gruppe an und sind eigentlich aus zerfallenden Facettenaugen entstanden.

Womit die Lichtsensoren gemeint sind, die man auch von Insekten kennt, richtig?

Genau, sie kommen auch bei Insekten und anderen fossilen Tieren wie den Trilobiten vor. Irgendwann im Laufe der Evolution sind diese Facettenaugen zerfallen. Die Spinnen haben drei Paare davon abgekriegt, bei den Skorpionen sind es teilweise noch mehr. Nehmen wir jetzt also mal zum Beispiel die Vogelspinne…

… die Spinne mit den markant haarigen Beinen?

Exakt. Sie hat vorne an ihrem Vorderkörper acht Augen auf einem sogenannten Augenhügel. Was den Gesichtssinn angeht, ist das Tier damit aber sehr schlecht ausgestattet. Sie kann mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nur hell und dunkel unterscheiden. Vielleicht kann sie auch Schatten und bestimmte Umrisse erkennen, aber viel mehr trauen wir ihr nicht zu. Vogelspinnen sind zudem vielfach nachtaktiv, wodurch ihre Augen bei der Beutejagd oder bei der Flucht nicht viel hermachen. Von daher müssen sie sich auf ein ganz anderes Sensorium verlassen, nämlich auf Tasthaare, Spaltsinnesorgane und Hörhaare.

Sind ihre Beine also so haarig, damit sie sich besser orientieren können?

Das kann man so nicht sagen, denn das sind jetzt nicht alles irgendwelche Sinneshaare. Der Pelz ist vielleicht auch ein Schutz gegen Feinde, Verdunstung, stellt Farbmuster zur Tarnung dar oder ähnliches.

Spinnen haben also viele Augen, von denen aber nur zwei wirklich Sehwerkzeuge im engeren Sinne darstellen?

Die restlichen Augen sind auch Augen und sie haben auch ihre Aufgaben. Bei der Springspinne ist das am deutlichsten differenziert. Da sind die vorderen Mittelaugen qualitativ gute Augen. Alle anderen sind im Vergleich eher Bewegungsmelder. Sie können damit ein bisschen was sehen, meist sind sie aber gerade gut genug, um Bewegungen wahrzunehmen. Beim überwiegenden Teil der Spinnen ist es so, dass die sich nicht unbedingt auf den Augensinn verlassen.

pseudopodia virgata
Eine Spinne der Gattung Pseudopodia virgata. Foto PETER JÄGER

Fühlen Spinnen auch mit ihren Spinnennetzen, ob sich da etwas verfangen hat?

In solchen Fällen kann man das Netz sogar als einen verlängerten Teil ihrer Sensorik beschreiben. Solange sie mit dem Netz in Verbindung stehen, ist es sozusagen ein verlängertes Körperteil.

Wie alt werden Spinnen?

Der allergrößte Teil der über 1.000 in Deutschland lebenden Arten wird nur ein Jahr alt. Das Weibchen legt die Eier und die Eier schlüpfen dann meist in der Vegetationsperiode des Jahreszyklus, wenn es wärmer ist. Dann frisst die Spinne, wächst heran, paart sich und der Kreislauf schließt sich mit dem Kokon-Bau und dem Eierlegen. Eine Ausnahme ist unsere Gartenkreuzspinne. Sie wird tatsächlich zwei Jahre alt. Das heißt, sie muss als Subadultus, als Teenager gewissermaßen, einen Winter überstehen. Im nächsten Jahr geht es dann weiter. Dann gibt es bei uns noch ganz wenige Arten, die noch älter werden. Die Tapezierspinnen zum Beispiel, die mit den Vogelspinnen verwandt sind. Vermutlich auch die Zitterspinne und die Hausspinne. Die großen Rekorde findet man aber in den wärmeren Klimaten. In Australien hat die 2019 verstorbene Arachnologin Barbara York Main eine Vogelspinnen-Verwandte über 35 Jahre immer wieder in ihrem Garten markiert. Auch in der Gefangenschaft ist es gelungen, Spinnen über 30 Jahre zu halten.

Man denkt immer, Spinnen kommen im Herbst und Winter ins Haus, um es warm zu haben. Aber wenn sie bald darauf schon sterben, lohnt sich das doch gar nicht mehr?

Spinnen denken nicht ganz so rational. Und man darf sich das auch nicht so vorstellen, dass im kalten Herbst eine Armada von Spinnen mit einem Infrarot-Gerät im Garten sitzt, um dann zu Zehntausenden ins Haus zu stürzen, sobald sie darauf rote, also warme, Fenster erblicken.

Den Eindruck habe ich aber manchmal bei uns.

Dann haben sie vielleicht ein schönes Haus in einer besonders naturnahen Lage. Normalerweise ist es so, dass Spinnen eine Nahentscheidung treffen können, wenn sie vor einem geöffneten Fenster sitzen. Wir würden es da wohl ganz ähnlich machen: Wenn es uns am Adventsmarkt zu kalt wird, gehen wir auch an einen wärmeren Stand oder dorthin, wo ein Feuer brennt. Das machen Spinnen ganz genauso. Wenn ein Fenster offensteht, haben sie eine vor sich liegende Temperaturorgel, an der entlang sie sich ins Warme hineinbegeben. Das dort eine viel zu trockene Luft herrscht, fast keine Beute zu finden ist und auch noch Menschen nach ihrem Leben trachten, können die Spinnen natürlich nicht ahnen.

Man kann nicht sagen, dass jedem Menschen eine Spinnenangst angeboren ist.

Warum sind Spinnen vielen Menschen unheimlich? Ich kenne außer ihnen kaum jemanden, der sagen würde, dass er Spinnen gerne mag.

Ich kenne natürlich ein paar mehr. Alleine die Deutsche Arachnologische Gesellschaft zählt mehr als tausend Mitglieder. Das sind die Menschen, die in Mitteleuropa Vogelspinnen züchten. Aber ihre Frage ist nicht ganz so leicht zu beantworten. In manchen Ländern, in denen ich immer wieder unterwegs bin, lösen Spinnen eher Respekt denn Ekel aus. Die Menschen wissen dort auch mit großen Vogelspinnen umzugehen, ohne gebissen zu werden. In Nord-Kambodscha oder im Amazonas werden sie sogar gegessen. Man kann also nicht unbedingt sagen, dass jedem Menschen eine Spinnenangst angeboren ist. Das habe ich auch bei meinen eigenen Kindern gemerkt, als ich ihnen in jungen Jahren eine Vogelspinne gezeigt habe. Erst als sie älter wurden und in die Schule kamen, haben sie tatsächlich eine Angst entwickelt, vorher nicht. Eine Spinnenangst wird also meistens erlernt.

Zuletzt noch eine Frage, die Sie sicherlich häufiger gestellt bekommen: Jeder Mensch soll im Durchschnitt acht Spinnen jährlich im Schlaf verschlucken, wenn die Tiere über das Bett marschieren und in unsere offenen Münder fallen. Stimmt das?

Ich würde das mit ja beantworten, falls jemand auf dem Fahrrad schlafen oder in der Aussage auf die beiden Wörter „im Schlaf“ verzichten würde. Im Herbst sind viele „balloonende“ Spinnen unterwegs. Also ganz kleine Spinnen, die vom Wind verweht werden wie Ballons. Wenn wir im Herbst also durch die Lande laufen, werden uns die Spinnen natürlich auch aus Versehen in den Mund geweht. Wie kleine Fruchtfliegen, die wir in der Regel gar nicht bemerken. Im Schlaf brauchen wir aber keine Angst vor Spinnen in unseren Mündern haben.

Warum nicht?

Aus einem ganz einfachen Grund: Unsere Betten stehen meist auf vier Füßen, die aus Metall oder Holz sind. An diesen Füßen kommen Spinnen erst einmal ganz schlecht hoch. Von der Decke seilen die sich ebenfalls höchst unwahrscheinlich ab, um dann in unserem Bett zu landen. Und falls doch, müssten sie danach erst einmal unsere REM-Phasen …

… das sind besonders unruhige, durch rasche Augenbewegungen – also Rapid Eye Movement – gekennzeichnete Schlafphasen …

… überstehen, in denen wir uns im Schlaf besonders viel bewegen und aktiv sind. Für eine kleine Spinne fühlt sich das wie ein Erdbeben an; hätte man ein Wasserbett, wäre es ein Tsunami. Das sind also Reize, die Spinnen absolut schnell in die Flucht schlagen. Hätte die Spinne aber auch das überwunden und wäre tatsächlich vor unserem Mund gelandet, müsste sie noch eine weitere Barriere überwinden. Schließlich atmen wir, was aus der Nähe für die Spinne einem Orkan oder Hurrikan gleichkommt. Wir brauchen also keine Angst zu haben, dass wir im Schlaf Spinnen essen.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Peter Jäger von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung können Sie in voller Länge im Podcast Tonspur Wissen von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für leibniz haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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