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Natürlich dürfe man weder Essen noch Getränke mit hineinnehmen. Selbst auf den Gebrauch von Parfüm, Deodorant oder Make-up solle man an Tagen wie diesem besser verzichten. Auch eine Zigarette, die Stunden zuvor geraucht wurde, könne zum Problem werden, weil man womöglich kleinste Partikel des inhalierten Qualms mit dem Atem wieder ausstoße. Deshalb: besser nicht rauchen. Denn: »Wir wollen keine Partikel«, sagt Mamathamba Kalishettyhalli Mahadevaiah und drückt einem in Plastikfolie eingeschweißte Schutzkleidung in die Hand. Sie meint: keinen einzigen Partikel.

Mamathamba forscht am IHP — Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik in Frankfurt an der Oder, durch das sie uns — Fotograf und Autor — heute führt. Sie ist 28 Jahre alt, Doktorandin, und wer sie bei ihrer Arbeit begleiten will, muss sich an die Regeln und die Kleiderordnung ihres besonderen Arbeitsortes halten: des sogenannten Reinraums, in dem Halbleitertechnik entwickelt wird, die Herzstücke von Computern und Smartphones also.

Der Weg dorthin beginnt in einem fensterlosen Raum, zerteilt von Reihen aus Spinden. Mamathamba verabschiedet sich für den Moment und geht ins Nachbarzimmer, den Frauenbereich, weil man sich nun bis auf die Unterhose ausziehen muss. Ihr promovierter Kollege Marco Lisker übernimmt die Führung. In den Spinden hängen glänzende, weil aus Polyester hergestellte Trainingshosen und T-Shirts. »Die Reinraum-Unterwäsche«, erklärt Lisker.

Nachdem wir in sie hineingeschlüpft sind, betreten wir einen weiteren Raum, die nächste Stufe der Partikelbefreiung. Wir ziehen uns Handschuhe aus Kunstfaserstoff an und reißen erst dann die Plastikfolie des Kleiderpaketes auf, das Mamathamba uns zu Beginn überreicht hatte. Der weiße Anzug, den man jetzt in den Händen hält, ein Overall mit Kapuze, solle beim Anziehen besser nicht den Boden berühren, sagt Lisker und demonstriert, wie das geht. Zuletzt wird in die Kapuze ein Stück Stoff eingesetzt, welches das Gesicht bis zu den Augen verdeckt. Dann steigen wir in weiße Lederstiefel und streifen uns ein zweites Paar Handschuhe über, diesmal aus Latex. Ein kurzer Blick in den Spiegel an der Wand: Wir sehen jetzt aus wie die Spurensicherungsexperten aus dem »Tatort«.

An einem Metallständer hängen weiße und blaue Schutzanzüge.
Einzeln in Plastik verpackte Textilien in einer Box.

»Vorsicht!«, sagt Lisker. »Ziehen Sie drinnen niemals die Handschuhe aus, sonst gibt es eine Natriumchloridwolke.« Eine Natriumwas? »Eine Wolke aus Schweiß.«

Später werden wir erfahren, dass die Anzüge aus Ion-Nostat gefertigt sind, einer Mischung aus Polyester (98 Prozent) und Karbon (zwei Prozent) — ein dichtes Gewebe, das keine Partikel durchlässt. Das eingewebte Karbon verhindert in Kombination mit den Stiefeln zudem eine elektrostatische Aufladung, die zu Schäden an der Halbleitertechnik führen könnte.

Nun trennen uns nur noch wenige Meter vom Reinraum. Beim ersten Schritt den Flur entlang bleiben die Sohlen der Lederstiefel auf dem Fußboden haften. Eine Klebefläche soll sie nochmals säubern. Anschließend werden wir mit »Luft geduscht«, wie Lisker das nennt: Aus dutzenden Düsen, die in den Seitenwänden des Flures eingelassen sind, bläst einem Luft entgegen, um die allerallerletzten Partikel wegzupusten. Dann, endlich, öffnet sich eine Tür und wir stehen im Herzen des IHP: Neonlicht, champagnerfarbener Fußboden, weiße Wände, die Decke ist etwa vier Meter hoch. Von langen Fluren zweigen Türen ab. Computerbildschirme hier und da. Vor uns steht Mamathamba.

Vereinfacht gesagt, arbeiten sie und ihre Kollegen hier daran, Computer leistungsfähiger zu machen. Sie wollen damit, zum Beispiel, die Entwicklung Künstlicher Intelligenz voranbringen. Mamathambas Forschungsgebiet ist das sogenannte Neuromorphic Computing, bei dem es darum geht, Computer so komplex rechnen, ja denken zu lassen, wie es das menschliche Gehirn vermag. Die Entwicklung solch Künstlicher Intelligenz sei in sämtlichen Bereichen, in denen es um die Verarbeitung großer Datenmengen geht, sehr gefragt. Von der Spracherkennungssoftware bis zum selbstfahrenden Auto.

Im Reinraum wird die Hardware gefertigt, die mikroelektronischen Bauelemente, die Chips also, die Computer zum Rechnen befähigen. Dafür ist eine staub-, das heißt partikelfreie Umgebung notwendig. Weil es hier um Teile geht, Zwischenschritte auf dem Weg zum Chip, die »ein Haar im Vergleich gigantisch wirken lassen«, sagt Mamathamba, und demnach schon von winzigsten Partikeln beschädigt werden könnten.

Die Luft im Reinraum wird stündlich einmal komplett ausgetauscht.

Digitale Anzeige: »Reinraum frei«

Die Chips entstehen, indem extrem dünne Schichten (zwischen zwei Nanometern und zwei Mikrometern) aus chemischen Verbindungen wie aluminium-dotiertem Hafniumoxid auf eine Siliziumscheibe aufgetragen werden, ein sogenannter Wafer, der wie eine große, glänzende CD aussieht. Eine Maschine übernimmt diese Arbeit, die sogenannte Atomlagenabscheidungsanlage, kurz ALD. Mamathamba programmiert sie im Reinraum über einen Touchscreen, überwacht die Fertigung und probiert immer wieder unterschiedliche »Rezepte« aus, so nennt sie die Vorgaben, nach denen sie die Zusammensetzung und Qualität der Schichten beeinflusst, um deren Eigenschaften — und damit am Ende den Chip — zu verbessern.

Durch ein kleines Fenster in der grauen Außenwand der Maschine kann man nun beobachten, wie ein Greifarm eine Siliziumscheibe nimmt und in eine zweite Kammer transportiert. Die Hafniumoxid-Abscheidung ist einer von 500 Schritten auf dem Weg zum fertigen Chip.

Obwohl wir uns kaum bewegen, wird es im Anzug bald warm. Die Temperatur im Reinraum liegt konstant bei exakt 22,6 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit bei trockenen 40 Prozent. Sieben Tage die Woche wird hier 24 Stunden lang gearbeitet. Immer sind 15 Techniker und Facharbeiter zugegen, in der Tagschicht zudem 25 bis 30 Ingenieure und Wissenschaftler. Mamathamba verbringt jeden Arbeitstag drei bis vier Stunden im Reinraum. Eine schöne Abwechslung zum Büro und dem Schreibtisch sei das, sagt sie. Man glaubt es ihr, weil sie so überzeugt dabei wirkt, aber kann es in dem Anzug, in dem die Luft immer wärmer und stickiger wird, selbst nicht so recht nachfühlen.

Der Reinraum wurde 1999 eröffnet und mit modernster Ausstattung versehen. Seit 2017 werden die Anlagen zum Teil aus Mitteln der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland finanziert, einem Verbund aus elf Fraunhofer-Instituten und zwei Leibniz-Instituten, dem das IHP angehört. Insgesamt ist er 1.000 Quadratmeter groß. Über allem lärmt die Belüftungsanlage, die die Luft im Reinraum stündlich einmal komplett austauscht, um sämtliche Partikel, die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hineingelangt sind, herauszufiltern. Das Dröhnen höre sie gar nicht mehr, sagt Mamathamba. Daran gewöhne man sich. Außerdem komme sie ja aus Indien. »Da ist es überall sehr laut.«

Person in weißem Schutzanzug im Reinraum, der in gelbliches Licht getaucht ist.
Viereckige Teilchen, vergrößert.
Ein Person in weißer Schutzkleidung sitzt vor Bildschirmen im Reinraum.
Okular eines Mikroskops.
Forscherin in Schutzkleidung geht durch eine Tür mit der Aufschrift: Damenschleuse.
Forscher mit weißer Schutzkleidung und einem Transponder in der Hand.
Ein Forscher zieht Schutzkleidung an.
Frau in rotem Kittel, hinter ihr Regale mit weißer Kleidung.
Gerät mit Schläuchen.
Silbrig glänzende runde Scheibe mit quadratischen Strukturen darauf.

Dass Mamathamba Kalishettyhalli Mahadevaiah an einem deutschen Forschungsinstitut arbeitet, war nicht vorgezeichnet. Sie wurde in einem Dorf in Indien geboren, ihr Vater war Techniker in einem Unternehmen, ihre Mutter Lehrerin. Noch als Mamathamba ein Kind war, zog die Familie nach Bangalore, das indische Silicon Valley. Trotzdem sei es ein Glück und der Verdienst harter Anstrengungen gewesen, dass sie als junge Frau studieren konnte, sagt sie. Ihren Bachelor in Ingenieurwissenschaften machte Mamathamba in Bangalore mit 21 Jahren.

Anschließend arbeitete sie dort zwei Jahre lang für ein Elektrotechnikunternehmen, um ihren Studienkredit zurückzuzahlen und »meinen Eltern zu zeigen, dass ich ein verantwortungsbewusster Mensch bin.« Für ihr Masterstudium ging sie an die TU Dresden, weil sie in Indien auf internationalen Konferenzen die Forschung in Deutschland kennen und schätzen gelernt habe. Niemand aus ihrer Familie habe zuvor die Grenzen Indiens überschritten, sagt sie.

Seit September 2017 ist Mamathamba in Frankfurt an der Oder. Sie fühle sich hier wohl, vor allem wegen der netten und hilfsbereiten Kollegen, die sie zum Grillen einladen und mit denen sie joggen geht. Außerdem sei die Stadt im Vergleich zu Bangalore angenehm ruhig. Man sieht nicht, ob sie grinst, während sie das sagt, weil sie noch immer ihren Mundschutz trägt. Nach einer Stunde ist die Führung durch den Reinraum dann vorbei.

Wenig später stehen wir in Straßenkleidung im Flur vor der Umkleidekabine und schmeißen unsere weißen Overalls in eine Plastikwanne, die später zu einer Wäscherei gebracht wird. Mamathamba unterhält sich mit Birgit Schulze, der Chefin der Putzkräfte am IHP. Auch der Reinraum muss gereinigt werden: zweimal am Tag, während des laufenden Betriebs. Das Putzteam von Birgit Schulze trägt die gleichen Schutzanzüge wie die Wissenschaftler im Reinraum. Die Lappen und Wischmopps werden nach jedem Putzgang in einer Waschmaschine gesäubert. Ohne Waschmittel, nur mit destilliertem Wasser.

Ob die Reinlichkeit, die ihren Arbeitsort ausmacht, auf ihr Privatleben abfärbe, will man von Mamathamba noch wissen? Ihre Wohnung putze sie selbst, sagt sie. Und ja, sie möge es, mit dem Finger über die Regale zu wischen und zu sehen, dass kein Staub kleben bleibt.

Zwei Personen in weißer Schutzkleidung stehen hintereinander auf einer Treppe. Die Person vorne senkt die Arme, die hintere hebt sie.

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