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LEIBNIZ Herr Mulch, wie beeinflusst tektonische Aktivität das Leben auf der Erde?

ANDREAS MULCH Plattentektonik ist ein Kohlenstoffregulator für unsere Erde. Gehen wir in die Zeit vor der großen Explosion des Lebens zurück: Vor etwa 700 Millionen war die Erde nahezu komplett in einem Eispanzer eingeschlossen, selbst Gebiete am Äquator waren vereist. Nur durch Vulkane, die – angetrieben durch tektonische Prozesse im Erdinnern – Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre abgaben, konnte sich die Erde nach und nach wieder erwärmen. Zugleich verdanken wir der Plattentektonik eine natürliche CO2-Senke: Durch chemische Verwitterung von Gesteinen wird CO2 aus der Atmosphäre entnommen, in die Ozeane transportiert, am Meeresboden als Karbonat gelagert und dort über lange Zeiträume gespeichert. Dieses Wechselspiel von CO2-Freisetzung und CO2-Speicherung hat dafür gesorgt, dass wir auf der Erde seit Millionen Jahren lebensfreundliche Temperaturen haben.

Hilft uns dieser natürliche Mechanismus bei der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels weiter?

Leider nein. Zwar wird die Erde langfristig die zusätzliche CO2-Menge, die der Mensch etwa durch die Nutzung fossiler Brennstoffe verursacht, regulieren können. Aber das geschieht über Zeitintervalle, die für uns Menschen zu lange dauern. Wir können nicht Hunderttausende bis Millionen Jahre warten, bis die Erde ihr Gleichgewicht wiedergefunden hat.

Welche Rolle spielt die Plattentektonik noch für das Leben auf der Erde?

Plattentektonik ist ein Motor der Evolution. Durch die Bewegung der Lithosphärenplatten, also der großen Bauelemente der Erde, entstehen Tiefseegräben, Gebirge und mittelozeanische Rücken. Diese Strukturen erzeugen individuelle Lebensräume. In diesem Spannungsfeld entstehen neue Pflanzen- und Tierarten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir die Anden: Am Fuß der Gebirgskette breitet sich tropischer Regenwald aus, gefolgt von verschiedenen Vegetationszonen, bis hoch in Eis und Schnee der Andengipfel. Auf kurzen räumlichen Distanzen verändert sich der Lebensraum also stark. Das ist für die Evolution sehr wichtig, denn sie braucht unterschiedliche Biotope und Nischen, damit sich neue Pflanzen- und Tierarten bilden können. Ganz ähnliche Vorgänge passieren auch im Ozean: Wo tektonische Platten durch Kollision in die Tiefe gezwungen werden, tun sich Tiefseegräben auf. Viele Arten, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute entdecken, haben wir noch nie zuvor gesehen. Diese spektakuläre Vielfalt des Lebens verdanken wir der Plattentektonik.

Blick aus der Vogelperspektive auf felsige, gefurchte Landschaft.

Sie beschreiben sehr lange Zeiträume. Welche kurzfristig spürbaren Auswirkungen hat die Plattentektonik für uns heute?

Die Lithosphärenplatten bewegen sich zwar langsam, aber sie bewegen sich stetig. Wenn sie kollidieren, können die Folgen verheerend sein – denken wir an die großen Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis, die in der Vergangenheit Tausende Opfer forderten und große Schäden verursachten. Über die unmittelbaren Auswirkungen hinaus können solche Ereignisse auch indirekte Folgen für Gesellschaften haben. Wir erinnern uns, es war ein Tsunami in Japan, der die Atomdebatte in Deutschland neu entfacht und letzten Endes zur Energiewende geführt hat. Auch in Zukunft werden uns gewaltige Ereignisse heimsuchen. Zum Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es im Silicon Valley – nach 1906 – wieder ein großes Erdbeben geben wird.

Werden die Erdplatten eines Tages zum Stillstand kommen?

Dazu müssen wir verstehen, wie die Plattentektonik überhaupt funktioniert. Die antreibende Kraft sind die Temperaturunterschiede in Erdmantel und Erdkern. Im heißen Teil des Erdmantels steigen die Gesteine aufgrund der geringeren Dichte zur Oberfläche. An anderen Stellen kühlen die Gesteine ab, verdichten sich und sinken. Diese ständigen Rotationsbewegungen, auch Konvektionsströme genannt, sorgen dafür, dass sich die Lithosphärenplatten mitbewegen. Kühlt der Erdmantel irgendwann vollständig ab, kommt es zum Stillstand der Erdplatten.

Welche Folgen hätte das?

Gebirge würden nicht mehr wachsen, Kontinente abflachen, der CO2-Kreislauf nicht mehr funktionieren. Wenn das System Erde statisch würde, wäre das nicht mehr die Erde, die wir kennen. Im Erdkern gäbe es keine Bewegungen mehr – und dementsprechend auch kein Erdmagnetfeld. Unsere Erde würde ihren Schutzschild verlieren und wäre den Strahlungen aus dem All schutzlos ausgesetzt. Kurz gesagt: Ein statischer Planet ist kein Planet, auf dem wir gerne leben möchten.

Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?

In dieser Hinsicht kann ich Sie beruhigen: Zu einem Stillstand der Plattentektonik kommt es erst in mehreren Milliarden Jahren. Die Plattentektonik und das Zusammenspiel von belebter und unbelebter Welt werden für uns und für das Leben insgesamt auf der Erde noch sehr lange fortbestehen. Umso wichtiger ist es, dass wir die Arbeitsweise unseres Planeten verstehen und uns bewusst machen, dass wir mit diesem Planeten zusammen- und nicht nur auf seine Kosten leben dürfen.

ANDREAS MULCH

forscht am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt am Main. An dem Leibniz-Institut leitet er die Arbeitsgruppe Paleoclimate and Paleoenvironmental Dynamics. (Foto: Michael Frank)

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