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»You have to flow with them«

Meine Feldforschung führte mich im Herbst 2021 und noch einmal länger im Frühjahr 2022 nach Gambia. Ziel war es, lokale Wahrnehmungen regionaler Interventionen zu erfassen. Wie nehmen Betroffene Interventionen wahr? Wie bewerten sie diese und welche Erwartungen haben sie? Ich forsche nicht alleine: Von der Planung des Feldforschungsprojekts über die Auswertung der Daten bis hin zur Veröffentlichung der Ergebnisse arbeitete ich eng mit meinen Kollegen Sait Matty Jaw und Omar M Bah sowie mehreren Forschungsassistenten zusammen. In Gambia führten mein Team und ich Interviews und hielten Fokusgruppen mit Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft, aber auch zum Beispiel mit Jugendlichen und Marktfrauen. Um vielfältige Wahrnehmungen zu erheben, bereisten wir weite Teile des eher kleinen Landes. Diese Tage waren dynamisch, interaktiv, abwechslungsreich – und häufig kaum planbar. Sich mehrmals ändernde oder kurzfristig zu Stande kommende Interviewtermine oder Verzögerungen durch Stau erforderten maximale Flexibilität. Einer meiner Kollegen gab mir bereits am Anfang den Rat: »You have to flow with them« und meinte damit Interviewpartner:innen und Teilnehmende von Fokusgruppen. Es brauchte ein wenig Zeit, bis ich mich darauf einlassen konnte. Als Folge gab es zahlreiche »Büros« (rental, rolling, open), in denen ich gearbeitet habe. Als »rental office« für Meetings nutzten wir den Co-Working Space des Centers for Research and Policy Developments (CRPD) meines Ko-Forschers Sait Matty Jaw. Ungewöhnlicher war mein »rolling office«. Nicht nur, weil es klein, golden und in die Jahre gekommen war, es weder Stuhl, Tisch noch Bildschirm oder Stromversorgung gab. Sondern auch, weil ich es als Frau selbst steuerte, was in Gambia aktuell sehr selten vorkommt. Die Rede ist von einem kleinen, aber feinen Mietauto. In diesem Auto habe ich Interviews geführt, Aufnahmen an Forschungsassistenten übergeben und Rechnungen bezahlt. Mit meinem Kollegen Omar M Bah habe ich mich dort vor und nach Interviews ausgetauscht und Beobachtungen geteilt. Im Stau sind spannende Gespräche zur Interviewmethodik entstanden. Nicht zuletzt habe ich in diesem Auto zahlreiche neue Interviewkontakte geknüpft, indem ich Menschen für eine gewisse Strecke mitnahm, sozusagen als privates kostenloses Taxi, eine gängige Praxis in Gambia. Die abwechslungsreichste Form des Büros ist immer spontan entstanden. Mal richtete ich mein Büro im Baumschatten oder am Kiosk neben der nächsten Interviewstation ein. An anderen Tagen nahm ich bei Vollsperrung der Straße oder Stau die nächstbeste Abzweigung und arbeitete ein paar Stunden am Strand. Auch die Holzbank vor der örtlichen Polizeistation und der am Sonntag leerstehende Markt wurden zu Orten, an denen wir den Laptop aufklappten, Fokusgruppen abhielten und Interviews führten, oder uns im Team besprachen. Nächstes Jahr werde ich meine Kolleginnen und Kollegen noch einmal in Gambia besuchen. Denn dann wollen wir unsere Forschungsergebnisse präsentieren und somit in die gambische Debatte zurückspielen. Und auch die Teilnehmenden können sehen, inwiefern sich ihre Wahrnehmungen in den Ergebnissen wiederfinden, den Äußerungen anderer ähneln oder eben auch nicht.

SOPHIA BIRCHINGER ist Friedens- und Konfliktforscherin am Leibniz-Institut »Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung«. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit afrikanischer Friedens- und Sicherheitsarchitektur.Die Feldforschung fand im Rahmen des von der DFG finanzierten Projekts »Lokale Wahrnehmungen regionaler Interventionen: AU und ECOWAS in Burkina Faso und Gambia« statt.

Birchinger mit drei gambischen Kollegen
Ohne Forschungsassistenten kann Feldforschung nicht funktionieren. Dieses Foto wurde nach dem Kick-off-Meeting während der ersten Feldphase aufgenommen. Foto KARAMBA JALLOW
Gebäudeteil
Omar M Bah führt ein Interview in Basse am anderen Ende Gambias vor einem Schulgebäude, wo gleichzeitig eine Fokusgruppendiskussion stattfindet. Baboucarr Fatty, Forschungsassistent, hilft bei der Übersetzung und dem Wechsel zwischen mehreren lokale Sprachen. Foto SOPHIA BIRCHINGER
Blick aus dem Büro
Der Blick vom CRPD-Büro, in dem wir unsere Teamsitzungen abhielten, auf "Turntable" – eines der neuen Zentren des Großraums Banjul, tatsächlich aber nur ein kleiner Kreisverkehr, an dem der gesamte Verkehr des Großraums zirkuliert. Auch ein strategisch wichtiger Ort, um schnell von einem Interview zum nächsten zu kommen. Foto SOPHIA BIRCHINGER
Strandcafe
Strände in Gambia: Treffpunkt mit Interviewpartnern, spontaner Zufluchtsort bei Stau, Erholungsort für die Pause zwischendurch. Foto SOPHIA BIRCHINGER
Sophia Birchinger mit vier Forschungsassistenten vor einem Gebäude.
Forschungsassistenten werden nicht nur für logistische Unterstützung eingestellt, sondern sie transkribieren auch stundenlange Aufnahmen von Interviews und Fokusgruppen und tragen zur vorläufigen Analysen des Datenmaterials bei. Foto KARAMBA JALLOW
Das Team im Auto.
Ein Teil des Teams im Auto auf der Reise durchs Land; Fokusgruppen und Interviews fanden nicht nur in der Hauptstadt, sondern an mehreren Orten im Land statt; während der Fahrt zum nächsten Ort wird reflektiert, diskutiert, analysiert, geschlafen und gelacht. Foto OMAR M BAH

»Atmosphäre kennt kein Wochenende«

Seit 2014 habe ich die »Station Polygon« in Duschanbe ungefähr 15-mal besucht, jeweils für eine oder zwei Wochen. Tadschikistan befindet sich im »Staubgürtel« der Erde, der sich von der Westsahara bis zur Wüste Gobi im Osten hinzieht – ideale Bedingungen für unser Vorhaben. Mit Hilfe unserer selbstgebauten (vertikal auflösenden) Messgeräte untersuchen wir die atmosphärischen Partikel und dabei die vorkommenden natürlichen und menschengemachten Aerosoltypen. Wir möchten verstehen, wie sie sich auf die Umwelt auswirken, beispielsweise auf die Wolkenbildung und den Klimawandel. Tagsüber halten wir uns auf der Station auf, bauen Geräte, messen und werten Daten aus. Auch »capacity building« ist ein wichtiger Bestandteil unserer Mission. Oft sind wir erst nach Einbruch der Dunkelheit im Hotel, und da man in Duschanbe abends nicht viel machen kann, verbringen wir die Zeit meist am Rechner, beantworten E-Mails und planen die nächsten Schritte. Private Momente gibt es kaum. So ein Forschungsaufenthalt ist eine vollgepackte, mitunter recht angespannte Zeit, die genutzt werden muss – auch, weil sich im persönlichen Kontakt mit den Tadschiken vieles besser regeln lässt als aus der Ferne. Zudem sind atmosphärische Messungen wetterabhängig, so dass wir hier immer einen Puffer einplanen müssen. Trotzdem versuchen wir, jede Woche einen freien Tag einzuschieben, um uns etwas anzuschauen, einen Berg, einen Ort oder eine Sehenswürdigkeit. Bei diesen Fahrten sind wir sehr auf unsere tadschikischen Partner angewiesen, da sich durch die Nähe zu Afghanistan schon mal Probleme ergeben können. Tadschikistan ist sehr arm, viel erinnert hier noch an die sowjetische Vergangenheit. Aktuell jedoch entwickelt sich es sich zu einem islamisch geprägten Land, was sicher auch mit einem gewünschten Abstand zu Russland verbunden ist. Vieles an Tadschikistan ist mir nach wie vor rätselhaft. So sehe ich hier zum Beispiel nur selten Bäume und auch keinen großangelegten Kohleabbau und frage mich: Womit heizt man hier im Winter? Die Einwohnerinnen und Einwohner erlebe ich durchgehend als überaus freundlich, unterstützend und mitdenkend, so dass es immer wieder eine große Freude ist, Gast in ihrem Land sein zu dürfen.

DIETRICH ALTHAUSEN beschäftigt sich mit der Erforschung der Troposphäre, speziell mit der Wechselwirkung von Partikeln und Wolken. Er ist am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung tätig.

Althausen vor einer Landschaft
Dietrich Althausen während einer Fahrt ins Tal des Serafschan Flusses bis zur Dekhavs meteo station. Foto DIETRICH ALTHAUSEN
Das Lidar-Gerät, ein hellgrauer Kasten auf Rollen, vor einem Gebäude mit Garten.
Lidar-Gerät (Light Detection and Ranging) zur Messung von vertikalen Profilen atmosphärischer Partikel. Foto DIETRICH ALTHAUSEN
Gruppenfoto mit Althausen in traditioneller Tadschikischer Tracht
Gruppenfoto vor einer meteorologischen Messstation in 3000 m Höhe, wobei wir vom TROPOS mal tadschikische Nationaltracht tragen durften. Foto DIETRICH ALTHAUSEN
Gruppenfoto vor dem Container.
TeilnehmerInnen am ASA-Projekt zur Ausbildung von StudentInnen bzgl. der Auswertung von Staubdaten, die mit einem Aerosollidar gemessen wurden. Hintergrund: Container mit dem am 26.06.19 in Betrieb genommenen Lidar-Gerät (aktives Messgerät). Foto DIETRICH ALTHAUSEN
Fünf Männer legen im Container ihre Hände aufeinander.
Gemeinsames Einschalten des neuen PollyNet-Messgeräts in Duschanbe am 26.06.2019 (v.l.n.r.): Dr. Jochen Elberskirch (DLR Projektträger), Deutscher Botschafter Neithart Höfer-Wissing, Prof. Farhod Rahimi (President of the National Academy of Sciences of Tajikistan), Prof. Khikmat Muminov (Deputy President of the National Academy of Sciences of Tajikistan), Prof. Farhod Shokir (Director of the Physical-Technical Institute “S. U. Umarov” of the National Academy of Sciences of Tajikistan). Foto DIETRICH ALTHAUSEN
Ein Laser strahlt in den Nachthimmel
Das Lidar-Gerät emittiert (als aktives Messgerät) 20 kurze Laserpulse pro Sekunde und misst die rückgestreute Strahlung. Unsere Augen sehen einen grünen Strahl. Foto DIETRICH ALTHAUSEN

 »Erfreulicherweise kommt man ganz gut herum«

Sie hat das Fernweh gepackt? Uns haben noch weitere Forschende von ihren Reisen erzählt. Hier lesen Sie Teil 1 und Teil 2 unserer Reihe.

Für meine Forschung zu den Ursachen von Migration war ich insgesamt vier Monate unterwegs, zwei in Uganda und zwei im Senegal. Gemeinsam mit unseren Partnern vor Ort haben wir 2.700 junge Menschen zu ihren Migrationsentscheidungen befragt. Ziel des noch andauernden Projekts ist es, Lösungen für die Asyl- und Einwanderungspolitik der EU-Staaten zu entwickeln. Primärdatenerhebungen sind in der Volkswirtschaftslehre nicht unüblich, jedoch keinesfalls selbstverständlich. Deshalb waren meine Reisen definitiv ein Highlight für mich. Da unsere Partner selbst viel Erfahrung mitbringen, musste ich nicht bei jedem Interview dabei sein. Trotzdem ist es hilfreich, das eine oder andere Gespräch zu begleiten und mitzuerleben, wie die Menschen auf die Fragen reagieren. An solchen Tagen geht es morgens um 6 Uhr mit dem Team los, und unser Fahrer bringt uns zum nächsten Ort, in dem Interviews durchgeführt werden sollen. Das kann ein Stadtviertel um die Ecke sein, aber auch ein zwei Stunden entferntes Dorf in den Bergen. Abends im Hotel gehe ich die tagsüber gesammelten Daten durch und schaue, ob die Antworten Sinn ergeben. Falls nötig, setze ich mich nochmals mit dem Team zusammen, um den Fragebogen entsprechend anzupassen. Andernfalls lassen wir den Arbeitstag einfach mit einem gemeinsamen Abendessen ausklingen. Wann immer möglich, versuche ich, etwas von Land und Leuten mitzukriegen. Da die Datenerhebung in verschiedenen Landesteilen durchgeführt wird, kommt man erfreulicherweise ganz gut rum. Besonders eindrücklich war für mich das Finale des Afrika-Cups 2022. Während meines Aufenthalts in Dakar hat Senegal zum ersten Mal den Afrika-Cup gewonnen. In der ganzen Stadt herrschte Ausnahmezustand, und der Folgetag wurde vom Präsidenten kurzerhand zum Feiertag erklärt... Nach ein bis zwei Wochen im Feld geht es für mich dann zurück nach Kiel. Von da an begleite ich die Datenerhebung nur noch vom Schreibtisch aus. Leider sind aktuell keine neuen Erhebungen geplant, doch am liebsten würde ich direkt wieder los. Da bin ich auch gar nicht wählerisch!

MALTE BECKER ist Doktorand am Institut für Weltwirtschaft Kiel im Forschungszentrum »Internationale Entwicklung«. Dort forscht er zu den Themen Entwicklung und Migration.

Malte Becker beim Essen
Thieboudienne ist das senegalesische Nationalgericht. Foto DOROTHEE SEYBOLD
Ein senegalesischer Bahnhof
Der Arbeitsalltag in Dakar, Senegal, begann meistens am Bahnhof der Stadt. Foto MALTE BECKER
Senegalesischer Strand
Die auffällig bemalten Pirogen sind die landestypischen Boote. Hier ein Pirogenrennen bei Dakars Fischmarkt. Foto MALTE BECKER
Drohnenaufnahme eines Dorfes
Früher Start in den Tag in Mbala, Uganda. Foto MALTE BECKER
Interviewsituation in Gulu, Uganda
Interviewsituation in Gulu, Uganda. Foto MALTE BECKER
Interviewer-Training in Dakar
Interviewer-Training mit unserem Partner in Dakar. Foto MALTE BECKER

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