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Auch unser Planet führt Buch, notiert und schreibt nieder: Die Bücher der Erde (natürlich nicht intentional verfasst) sind die Sedimente. Die teils Abermillionen Jahre alten Gesteinsschichten und Ablagerungen erzählen packende Geschichten, geben Geheimnisse preis und liefern Einblicke in das Innenleben der Autorin. Man muss nur die Sprache verstehen, in der sie geschrieben sind. Wir haben Leibniz-Forschende gebeten, für uns zu übersetzen.

Das Wetter vor 500 Jahren

Bitterkalt ist es hier in der Arktis, hoch im Norden, im Reich der Robben und Eisbären. In dieser unwirtlichen Umgebung liegen, tief im Eis verborgen: Datenträger. Die Daten, die die Forscherinnen und Forscher vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung auswerten, sind allerdings nicht auf Festplatten oder DVDs gespeichert, sondern in Hunderte von Jahren alten Eisbohrkernen. Das Eis in den Bohrkernen liefert Aufschluss über die Konzentration sogenannter Eiskeime in der arktischen Bewölkung, was Rückschlüsse darauf erlaubt, wie sich die Wolkenformationen vor 500 Jahren zusammensetzten — in einer Zeit, in der an Wetteraufzeichnungen, wie wir sie heute kennen, nicht zu denken war. Mit den gesammelten Daten können die Forschenden ein umfassenderes Bild der einstigen klimatischen Verhältnisse auf der Nordhalbkugel erstellen. Und das ist natürlich auch für heutige Klimamodelle relevant.

Illustration von Dinosauriern als Blätter. Im Hintergrund ein Asteroid

Im Ur-Wald

Paradiesvögel, Jaguare, Mahagoni-Bäume und Abertausende Ameisenarten: Der tropische Regenwald strotzt nur so vor Leben. Wann dieses einzigartige Ökosystem entstanden ist, ist eine der großen Fragen der Paläontologie. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass sich tropische Regenwälder bereits vor 100 Millionen Jahren gebildet haben könnten, aber einschlägige Fossilfunde, die diese These belegen, sind rar gesät. Abhilfe schaffen Sedimente, die ein Team der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Freien Universität Berlin auf fossile tropische Blätter hin untersucht hat. Die immerhin 80 Millionen Jahre alten Funde stammen — ganz untropisch — aus der Wüste Ägyptens und des Sudans und belegen, dass es bereits in der Kreidezeit, als noch die Dinosaurier die Welt beherrschten, tropische Regenwälder gab.

Illustration von Höhlenforschern; Die Lichtkegel bilden eine Maya-Pyramide

Eine Zivilisation verschwindet

Sie hatten präzise Kalender, entwickelten eine Schrift und bauten riesige Pyramiden: Nein, die Rede ist nicht von den alten Ägyptern, sondern von den Maya, der präkolumbischen Hochkultur auf der mittelamerikanischen Halbinsel Yukatan. Doch als die ersten Europäer in Amerika landeten, waren von den einstigen Megacitys Tikal oder Calakmul nur noch Ruinen übrig. Was ist mit den Maya geschehen? Eine mögliche Erklärung für den Kollaps der Maya-Reiche sind klimatische Veränderungen. Belege für diese These sucht der Höhlenforscher Norbert Marwan vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in den Tropfsteinhöhlen Belizes. Denn die Sedimente in Form von Stalagmiten geben Aufschluss über die klimatischen Verhältnisse zur Maya-Zeit. Sollten sich die Belege zum Untergang der Maya erhärten, ist das auch für uns relevant, zeigt es doch, dass ein Wandel des Klimas in der Lage sein kann, Gesellschaften und Gesellschaftsstrukturen dramatisch zu verändern.

Illustration eines Tagebaus und eines Flusses

Wer andern eine Grube gräbt

Seit fast 300 Jahren wird in der Lausitz gebaggert, was das Zeug hält. Denn hier, im sächsisch-brandenburgischen Grenzgebiet, befindet sich Deutschlands zweitgrößtes Braunkohlerevier. Der Tagebau ist allgegenwärtig, er bestimmt das Landschaftsbild, versorgt die Region mit Strom. Auch in der Spree, der Lebensader des südlichen Brandenburgs, hat die Förderung über die Zeit ihre Spuren hinterlassen; Nebenprodukte wie Eisen, Nickel, Kobalt und Schwefel lagern sich im Flussbett ab und geben so Auskunft über den Einfluss des Tagebaus auf das Wasser. Die Sedimentproben, die das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei untersucht, berichten Alarmierendes: Noch 90 Kilometer flussabwärts weisen die Sedimente auf den Bergbau hin, mit Folgen für das Ökosystem Spree. Das abgelagerte Eisen etwa wirkt sich auf die Stoffkreisläufe des Flusses aus, es verändert die Verfügbarkeit des lebenswichtigen Phosphors und stört Umsatzprozesse des organischen Kohlenstoffs. Eine weitere Folge des Tagebaus ist die hohe Konzentration des abführend wirkenden Schwefelsalzes Sulfat im Wasser der Spree. Das spürt man auch in Berlin: Hier liegt die Sulfatkonzentration im Trinkwasser seit Jahren nur knapp unter der gesetzlich vorgeschriebenen Höchstgrenze.

Illustration eines Laptops mit kleinen Sternen

Der Griff nach den Sternen

Im Boden der chilenischen Atacama-Wüste, einer der trockensten Regionen der Erde, schlummern die zehn Millionen Jahre alten Sedimentproben, auf die es Leibniz-Forscherin Jenny Feige abgesehen hat. Ihr Inhalt: Sternenstaub. Denn die Astrophysikerin vom Museum für Naturkunde in Berlin ist Spezialistin für die Analyse kosmischer Spurenelemente. Feige untersucht den Wüstenstaub auf seltene Isotope, die bei Supernovae, gewaltigen Explosionen sterbender Riesensterne, durchs Weltall geschleudert werden — und auch bei uns auf der Erde landen. Und obwohl sich die meisten Supernovae viele Tausend Lichtjahre entfernt ereignen, haben sie immensen Einfluss auf unseren Planeten: Ohne Supernovae gäbe es keine schweren Metalle. Und ohne schwere Metalle gäbe es kein Leben.

Ein Zeitungsleser legt Kot ins Meer

Stuhlgang und Seetang

Wo andere die Nase rümpfen, gehen sie den Dingen auf den Grund: Denn Fäkallipide, die sich aus menschlichen Fäkalien speisen und über die Flüsse ins Meer gelangen, sind für das Team von Jérôme Kaiser vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde Gold wert. Anhand der in Sedimenten der Ostsee nachgewiesenen Hinterlassenschaften rekonstruieren sie nämlich die Besiedelungsgeschichte der Herzkammer Nordeuropas. Ein Zwischenergebnis: Eine im Gotlandbecken in der Zentralostsee vorgenommene Bohrung deckt sich hinsichtlich der Messwerte von Fäkallipiden mit den tatsächlichen demografischen Daten der vergangenen 135 Jahre. Im weiteren Verlauf der Studie wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in unerschlossene Gefilde vorstoßen: Mit Hilfe der Fäkallipid-Konzentration in älteren Sedimentschichten wollen sie mehr über das Leben im Ostseeraum des Mittelalters erfahren — denn bislang ist nur sehr wenig darüber bekannt, wie sich die dortige Bevölkerung von 800 bis 1300 n. Chr. entwickelte.

Illustration von Magroven in einem Sieb

Versandende Senken

CO2 einzusparen ist das Gebot der Stunde — wäre es da nicht schön, wenn es Anlagen gäbe, die das für uns übernehmen könnten? Die gibt es bereits; sie nennen sich Kohlenstoffsenken und sind sogar ganz natürlich: Wälder, Moore und die Ozeane binden seit jeher Treibhausgase aller Art. Seit neuestem rücken auch Lagunen als natürliche CO2-Speicher in den Fokus der Wissenschaft. An der Küste Javas untersuchen Forschende des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung 400 Jahre alte Bohrkerne auf Pollen- und Kohlenstoffgehalt und dokumentieren die Speicherfähigkeiten des Lagunensediments im Wandel der Zeit. Ihre Erkenntnis: Landwirtschaftliche Nutzung im Hinterland und die dadurch fortschreitende Versandung der Lagune wirken sich negativ auf das Ökosystem aus — und damit auch auf die Speicherkapazität der Kohlenstoffsenke.

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