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DIE AUTOREN
arbeiten und forschen am Berliner Leibniz-Zentrum für Literatur und Kulturforschung. In unserem Schwerpunkt »Universum« führen sie uns in das Sammelgebiet der Astrophilatelie ein – und haben eine Auswahl kosmischer Marken zusammengestellt.

Bis heute unterstehen Briefmarken als amtliche Wertzeichen staatlicher Hoheit und erfüllen entsprechende Repräsentationsaufgaben. Andererseits sind sie ein geradezu idealtypisches Objekt (klein-)bürgerlicher Sammelleidenschaft. Schon früh haben Postverwaltungen in aller Welt das visuelle und ökonomische Potenzial dieser kleinformatigen, bunt bedruckten Klebebilder erkannt. Über die Jahre wurden so in aller Welt Abermillionen Marken gedruckt. Während es in der Frühzeit der Philatelie vor allem darum ging, die Marken eines bestimmten Landes vollständig zu besitzen, entwickelten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts neue populäre Sammelgebiete wie die Motiv- oder auch Themenphilatelie. Auch die Astronomie und die Weltraumfahrt gehören dazu – zusammen firmieren sie als Astrophilatelie.

Speziell die Sowjetunion und ihre »Bruderstaaten« begleiteten den Fortschritt ihrer jeweiligen Raumfahrtprogramme und der dazugehörigen Grundlagenforschung regelmäßig mit Briefmarken und machten damit Propaganda – für die USA und ihre westlichen Verbündeten galt dies nur in abgeschwächter Form. Daneben produzierten die Länder des Ostblocks, vor allem aber die Länder des globalen Südens unzählige Billigdrucke, die gar nicht zur Frankatur vorgesehen waren, sondern ausschließlich dem Verkauf an Sammler dienten.

Schon 1928 prognostizierte Walter Benjamin: Bald wird es keine Marken mehr geben. Sie waren eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts. Doch erst heute wird aus dieser Prophezeiung Realität. In unserer digitalen Welt reicht paradoxerweise ein handschriftlich gekritzelter Nummerncode, um eine Postsendung zu verschicken. Und in dem Maße, wie der Wettkampf der politischen Systeme im All an Bedeutung eingebüßt hat, hat auch die Astrophilatelie an Attraktivität verloren. Doch auch wenn die Briefmarke praktisch ausgedient hat, lohnt sich ein kulturwissenschaftlicher Blick zurück. Denn in mehr als 100 Jahren hat sich unter dem Dach der Astrophilatelie ein vielgestaltiger Mikrokosmos ausgebildet, in dem die Rätsel des Universums, menschliche Ängste und Wünsche und ein nicht enden wollender Forscherdrang zu faszinierenden Miniaturbildern komprimiert wurden.

1889, Brasilien: »Kreuz des Südens«

In der Frühzeit der Philatelie war die Motivauswahl noch sehr beschränkt: Es dominierten Herrscherporträts (die erste Briefmarke der Welt, die britische »One Penny Black« von 1840, zeigte bekanntlich Queen Victoria), Staatswappen oder nationale Allegorien sowie Zahlenwerte, die ohne bildliche Beigaben den Frankaturwert angaben. Zu den frühesten Marken gehören hier die sogenannten Ochsenaugen zu 30, 60 und 90 Reís, die 1843 in Brasilien ausgegeben wurden.

Auf brasilianischen Briefmarken findet sich auch die wohl früheste Darstellung eines Sternbilds in der Welt der Philatelie. Die Marken, die zwischen 1889 bis 1894 erschienen sind, zeigen das »Kreuz des Südens«. Das Sternbild verwies damals jedoch noch nicht auf die Erforschung des Weltraums, sondern auf die »Entdeckung« der Welt durch europäische Kolonisatoren. Sternbilder waren nämlich unverzichtbar für die Orientierung der Seefahrer.

Das Kreuz des Südens, dessen auffällige Konstellation aus vier hell leuchtenden Sternen nur in den Nächten der südlichen Hemisphäre zu sehen ist, ist ein wichtiger Bestandteil der brasilianischen Flagge, die 1889 mit dem Ende des Kaisertums und der Sklaverei etabliert wurde. Zur neuen nationalen Ikonographie trugen auch die Briefmarken bei. Denn mit der alleinigen Darstellung von Zahlenwerten, das haben die Postverwaltungen früh erkannt, vergibt man sich die Möglichkeit, dem Land ein Bild zu geben.

(Bidquelle: Big Blue 1840–1940 Blog)

USA, 1958: »Internationales Geophysikalisches Jahr, 1957/58«

In der Nachkriegszeit befanden sich die ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkriegs in einem sich verschärfenden Kalten Krieg, der unter anderem im Koreakrieg mündete. Zugleich gab es Entspannungsbemühungen wie das Internationale Geophysikalische Jahr (IGJ), an dem sich von Juli 1957 bis Ende 1958 mit Ausnahme Chinas alle Länder der Welt beteiligten; etwa 15, hauptsächlich osteuropäische, Postverwaltungen gaben aus diesem Anlass Briefmarken zum Thema heraus.

Im Zentrum des IGJ stand die gemeinsame Erforschung der Erdatmosphäre und des erdnahen Weltraums, von Wetterphänomenen, kosmischer Strahlung und des antarktischen Eises. Die Sowjetunion und die USA starteten in diesem Zusammenhang ihre Satellitenprogramme »Sputnik 1« und »Sputnik 2« beziehungsweise »Explorer 1«. Das politische Ziel: die wissenschaftliche Kooperation über die Grenzen des Systemkonflikts hinweg fördern.

Auf der US-amerikanischen Briefmarke wird die globale Annäherung unter Rückgriff auf Michelangelos ikonisches Deckenfresko »Die Erschaffung Adams« dargestellt (das gleiche Motiv diente 1982 in Steven Spielbergs Blockbuster E.T. als Bild der Begegnung der Menschen mit außerirdischen Lebewesen.). Über der abstrahierten Sonne und der als Flammenmeer dargestellten Sonnenaktivität nähern sich zwei Hände einander behutsam an. Der Grafiker Ervine Metzl, von dem der Entwurf stammt, wollte damit das Staunen des Menschen über das Unbekannte darstellen, zusammen mit seiner Entschlossenheit, es zu verstehen, und dem spirituellen Bedürfnis nach Erweiterung seines Wissens.

(Foto: National Postal Museum, Smithsonian Institution)

Tschechoslowakei, 1961: »Der gestohlene Mond«

Von der besonderen Faszination des Weltraums gerade auch für Kinder erzählt diese tschechoslowakische Briefmarke, die zu einer fünfteiligen Serie mit berühmten Puppenspiel-Figuren gehört. Sie zeigt die beiden Helden aus »Der gestohlene Mond« (1956), einer Geschichte von Ludvík Aškenazy für Erwachsene und Kinder. Darin entführen zwei Jungen den Mond, den sie zuvor beim Baden im Teich mit einem Netz eingefangen haben, und sperren ihn in eine Höhle. Doch als die Welt ohne Mond am Himmelszelt immer schlechter zurechtkommt, wird ihnen mulmig und sie sind am Ende sogar froh, als ihn jemand befreit. Diese Räuberpistole wurde weltweit in unzähligen Adaptionen als Puppenspiel, Theaterstück, Zeichentrickfilm oder Radiohörspiel popularisiert, mal als subversive Parabel, mal als lyrische Komödie. Schulbücher nutzten den Stoff, um Kindern die Bedeutung astrophysikalischen Wissens zu vermitteln.

Tschechische Briefmarken gelten allgemein als sehr hochwertig, da sie oft im klassischen Stahlstich produziert werden. Es handelt sich dabei also um Druckgrafiken im Miniaturformat. Die am unteren Rand stehenden Namen machen Zeichner (Vojtěch Cinybulk) und Graveur (Jiří Švengsbír) und damit den künstlerisch-handwerklichen Prozess kenntlich, aus dem die Marke hervorgegangen ist. Indem Cinybulk die Jungen vor einer Mondrakete platziert – die Aufschrift »ULD Praha 1960« erlaubt die Lokalisierung des Bildgeschehens auf dem Gelände des Prager Instituts für Luftverkehr – verbindet er das anarchische Potential der Geschichte mit der zeitgenössischen Raumfahrt und deutet die Erzählung zu einer sozialistischen Pioniergeschichte um: Statt den Mond zu entführen, fliegen wir demnächst selber hin.

(Bildquelle: www.filaso.cz)

Bulgarien, 1961: »Weltraumhunde«

Während die USA für ihre Testflüge zur menschlichen Raumfahrt Schimpansen einsetzten, schickte die Sowjetunion obdachlose Straßenhunde ins Weltall. Weltweit am bekanntesten ist heute die Hündin Laika, die im November 1957 mit Sputnik 2 als erstes irdisches Lebewesen an Bord einer Weltraumrakete in den erdnahen Kosmos geschickt wurde und die Erde umkreiste. Aufgrund technischer Pannen starb sie in ihrer Kapsel schon nach wenigen Stunden einen qualvollen Hitzetod, was damals allerdings strengster Geheimhaltung unterlag. In der sozialistischen Raumfahrtikonographie spielte die Hunde-Kosmonautin ursprünglich allerdings eine eher untergeordnete Rolle.

Davon zeugt auch diese Luftpost-Briefmarke der Volksrepublik Bulgarien vom Juni 1961, die wie alle Staaten des Warschauer Pakts den Fortschritt der sowjetischen Raumfahrt fleißig philatelistisch begleitete. Als Vorlage dieser Heliogravüre, einem frühen Druckverfahren zur hochwertigen Reproduktion von Fotografien, diente eine legendäre Aufnahme, die die »vierbeinigen Kosmonauten« auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in Moskau am 28. März 1961 zeigt. Aufmerksam schauen die namentlich gekennzeichneten Hunde in Richtung Kamera. Von links nach rechts: Strelka (ihr Name bedeutet so viel wie »Pfeilchen« oder »Wegweiser«), Tschernuschka (»Schwarzchen«), Swjozdotschka (»Sternchen«) und Belka (»Weißchen« oder »Eichhörnchen«). Auf den ersten Blick verweist nichts auf ihre Raumfahrtabenteuer. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass Swjozdotschka und Tschernuschka, der erst drei Tage zuvor aus dem All zurückgekehrt war, noch ihre tiefroten Raumanzüge tragen (der Farbton wird auf der Briefmarke als Schriftfarbe verwendet). Als die wahren Pioniere galten jedoch Belka und Strelka, die als erste irdische Lebewesen am 19. August 1960 nach 17-maliger Erdumkreisung in einer »neuen Arche Noah des 20. Jahrhunderts« zusammen mit zwei Ratten, 28 Mäusen, Fliegen und anderem Kleingetier lebendig aus dem erdnahen Weltraum zurückgekehrt waren.

(Foto: FUEL Publishing; aus dem Buch: »Soviet space Dogs«)

DDR, 1967: »2-Meter-Universalspiegelteleskop«

Zweimal im Jahr erschienen in der DDR Briefmarken zur Leipziger Messe. Sie wurden vor allem genutzt, um Handelsgüter zu propagieren, die den technischen Fortschritt verdeutlichten. Anfang der 1960er Jahre waren die sozialistischen Länder nicht nur in der bemannten Raumfahrt, sondern auch in der astronomischen Erkundung des Universums weltweit führend. Im Oktober 1960 wurde in der Thüringer Landessternwarte Tautenburg das von Alfred Jensch für Carl Zeiss in Jena gebaute 2-Meter-Universalspiegelteleskop eingeweiht, das bis 2012 das größte seiner Art in ganz Deutschland bleiben sollte. Auf dieser von Dietrich Dorfstecher gestalteten Briefmarke zeigt sich in der funktionalistischen Formgebung des Teleskops exemplarisch, wie sich Weltraumtechnik und modernistische Ästhetik verbinden: Alle Technik ist unter der runden, weiß strahlenden Oberfläche verborgen, deren zylinderförmige Komponenten eine organische Einheit bilden.

Zur astrophysikalischen Erforschung des darüber abgebildeten Andromedanebels trug das Teleskop zwar kaum neue Erkenntnisse bei, doch die Zusammenstellung signalisiert, womit die Astronomie gemeinhin assoziiert wurde: der Suche nach menschenähnlichem Leben im Universum. So verband sich mit der Entdeckung des Andromedanebels zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Hoffnung, in dieser der irdischen Milchstraße am nächsten gelegenen Galaxie auf außerirdisches intelligentes Leben zu stoßen: Nicht nur »Superman« hat dort seit 1938 seinen Geburtsort, auch »Perry Rhodan« und »Raumschiff Enterprise« verorten in der Galaxie humanoide Zivilisationen. In der sozialistischen Welt war es insbesondere Iwan Jefremows Roman »Andromedanebel«, der 1957 zeitgleich mit den ersten Sputnikflügen erschien und zum größten Science-Fiction-Bestseller des Ostblocks wurde.

(Bildquelle: Wikimedia Commons)

USA, 1971: »Apollo 15«

Am 20. Juli 1969 betrat im Rahmen der Apollo 11-Mission der erste Mensch den Mond. Dieses Ereignis wurde postwendend mit der bis dahin größten US-amerikanischen Briefmarke aller Zeiten gewürdigt. In über 150 Millionen Exemplaren gedruckt, ist sie nahezu wertlos. Von besonderem Wert hingegen sind Belegstücke wie dieser Brief, der Ausdruck einer kuriosen Verbindung von Weltraumfahrt, Philatelie und nicht ganz legaler Machenschaften ist. Im Jahr 1971 wurde er von den Astronauten der Apollo 15-Mission mit auf den Mond und wieder zurück transportiert und enthält neben einem farbigen Stempelaufdruck mit den Namen der Astronauten deren Unterschriften und eine handschriftliche Zusatzinformation, wann und wo die Landung bei der Rückkehr auf die Erde stattfand.

Der Umschlag ist doppelt frankiert: Einmal mit der »First Man on the Moon«-Marke, die am Tag des Abflugs im Kennedy Space Center abgestempelt wurde. Die beiden anderen Marken – sie zeigen die Mondoberfläche, die Mondlandefähre und das erste Mondauto, das mit der Apollo 15 zum Erdtrabanten gebracht wurde – hatten die Astronauten nach ihrer Rückkehr auf die Erde auf den Brief geklebt und an Bord der USS Okinawa abgestempelt, dem Bergungsschiff der Mission. Das Kuvert war Teil eines Konvoluts von 400 Briefen, die auf Initiative des deutschen Briefmarkenhändlers Hermann Walter Sieger an Bord gelangt waren. Sieger, dessen Verlag auch einen mehrfach aktualisierten Spezialkatalog zum Thema Weltraumfahrt herausgab, hatte die Astronauten zu dieser nicht offiziell angemeldeten Aktion angestiftet und erhielt nach deren Rückkehr 100 Exemplare (die restlichen verblieben bei den Astronauten). Nachdem der Deal – entgegen der Absprache – durch den öffentlich gemachten Verkauf der Umschläge in Europa bekannt wurde, wurden alle drei Astronauten von der NASA disziplinarrechtlich verfolgt und von weiteren Raumflügen ausgeschlossen. Immer wieder gelangen Exemplare noch heute in den Auktionshandel. Zuletzt wurden in den USA Summen um die 10.000 US-Dollar für einen Umschlag bezahlt.

(Bildquelle: Wikimedia Commons)

USA/UdSSR, 1975: »Apollo-Sojus-Mission«

Nachdem die USA den Wettlauf zum Mond mit der Landung von Apollo 11 am 20. Juli 1969 gewonnen hatten, setzte eine Ära der Entspannung ein: Im März 1970 trat der Atomwaffensperrvertrag in Kraft, es folgten die Ostverträge, internationale Rüstungskontrollabkommen und Bemühungen zur Stärkung der Menschenrechte. Ein Sinnbild für die Hinwendung zur friedlichen Kooperation von Ost und West war das Apollo-Sojus-Test-Projekt, in dessen Rahmen am 17. Juli 1975 ein US-amerikanisches und ein sowjetisches Raumschiff im erdnahen Weltraum aneinander ankoppelten. Zwei Tage lang besuchten sich die sowjetischen Kosmonauten und die amerikanischen Astronauten gegenseitig und führten einige Tests zusammen durch, bevor sie getrennt wieder zur Erde zurückkehrten. Dieser sogenannte »Handschlag im Weltraum« war seit 1970 von Wissenschaftlern und den Weltraumbehörden beider Länder vorbereitet worden und diente als Grundlage einer längerfristigen Zusammenarbeit. Anlässlich der Mission wurden in der ganzen Welt unzählige Briefmarken herausgegeben, die sich vor allem an die Motivsammler richteten. Die Sowjetunion und die USA entschlossen sich zu einer Gemeinschaftsausgabe: Dabei handelt es sich um motivgleiche Briefmarken, die von zwei oder mehreren Postverwaltungen gleichzeitig zum selben Anlass verausgabt werden. Der Entwurf des russischen Künstlers Anatolij Aksamit zeigt die beiden Raumfähren vor der Verkupplung, der des US-Amerikaners Robert McCall, der für seine Weltraumdarstellungen selbst in der Sowjetunion ausgezeichnet wurde, währenddessen. In dem ungewöhnlichen extremen Querformat treffen sich zwei Raumfähren vor dem tiefblauen All und einer hellblau leuchtenden Erde: menschenleere Bilder von (wie wir heute wissen: vorübergehender) technisch-wissenschaftlicher Harmonie.

(Foto: National Postal Museum, Smithsonian Institution)

UdSSR, 1991: »Sowjetischer Lenin-Kinderfonds/W. Lukjanez: Universum«

1991, im letzten Jahr ihres Bestehens, druckte die UdSSR unter anderem Briefmarken zur sowjetisch-britischen, zur sowjetisch-österreichischen und zur sowjetisch-japanischen Raumfahrt und einen Viererblock zum 30. Jahrestag der ersten Menschen im Weltall. Das Universum selbst ist zum letzten Mal auf einer Wohlfahrtsmarke zu sehen, die ein Gemälde vonWitali Lukjanez nutzt, um für die 1987 gegründete Sowjetische Lenin-Kinderstiftung zu werben. 15 Kopeken mussten für diese Marke gezahlt werden, die einen Frankaturwert von 10 Kopeken aufweist; 5 Kopeken gingen an die Stiftung. Diese war bereits eine Verfallserscheinung des kommunistischen Gesellschaftsprojekts, durfte es doch hilfsbedürftige Kinder nach dem Selbstverständnis seines Gründers Lenin im Sozialismus eigentlich gar nicht geben.

Genauso ist Lukjanez’ Gemälde mit dem Titel „Universum“ (mirosdanie, wörtlich »Weltenbau« oder »Weltgebäude«) aus dem Jahr 1973 ein Abgesang auf das sowjetische Weltraumprojekt. Statt wissenschaftlich-technischem Fortschritt und anhaltender Eroberung des »Weltalls« (wselennaja, ebenfalls als »Universum« übersetzbar) wird hier ein technikfreier Kosmos dargestellt. Bestehend aus bunten Planeten und Sternbildern erscheint er als verheißungsvolles, farbenfrohes Paradies, in das eine Nymphe in wehendem Gewand mit einem nackten Kind gleichsam zu schweben scheint. Lukjanez begeisterte sich für kosmische Bioenergien, Ufo-Geschichten und Jenseitserfahrungen, sammelte im ganzen Land entsprechende Geschichten und verarbeitete sie in seinem malerischen und schriftstellerischen Werk. Das Abdriften des wissenschaftlichen Kommunismus in esoterische Mystik verkörpert er wie kaum ein anderer.

(Bildquelle: Wikimedia Commons)

Dschibuti, 2019: »85. Geburtstag von Juri Gagarin«

Die farbenfrohen Briefmarken der ostafrikanischen, islamischen Republik Dschibuti – meist auf Blöcken präsentiert, zu Themen wie Natur, Sport, Transportwesen oder eben Raumfahrt – werden in der Regel nicht zum Zwecke der Frankatur von Poststücken produziert. Stattdessen kommen sie ausschließlich in den direkten Verkauf an internationale Hobbybriefmarkensammler; für ernsthafte Philatelisten haben derartige Marken keinen Wert. Obwohl die Marken keinem staatlichen Repräsentationsdenken mehr verpflichtet sind, lässt sich diese Serie zum 85. Geburtstag von Juri Gagarin aber doch auch als postkoloniale Wunscherfüllung lesen: In ihrer gestalterischen Naivität entspricht sie nur noch ansatzweise der offiziellen Ikonographie und den ideologischen Narrativen über die sowjetische Raumfahrt und erzählt vielmehr von Statussymbolen und Ruhm.

Gagarin wird hier als Weltstar präsentiert (ihm nachfolgend werden im gleichen Stil der Schauspielerin Grace Kelly und dem Rennfahrer Niki Lauda Blockausgaben gewidmet), aber nicht einmal das Jahr seines Weltraumflugs wird genannt. Die Marke oben links zeigt ihn mit einem Sportwagen, der ihm 1965 von der französischen Regierung bei einem Paris-Besuch geschenkt wurde, vor dem Moskauer Denkmal für die Helden der Erstürmung des Weltraums; das Bild durfte in der UdSSR nicht gezeigt werden und wurde erst nach deren Zusammenbruch in den Archiven entdeckt. Die Briefmarkenserie deutet an, womit sich Gagarins Weltraumflug von 1961 im Globalen Süden verbinden lässt: den Wohlstands- und Fortschrittsversprechen des Westens, zu dem aus dieser Perspektive auch die Sowjetunion zählt, inklusive Luxusautos, militärischen Ehren und bürgerlicher Kleinfamilie. Dass die Sowjetunion einst eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen Gift des kolonialen Imperialismus sein sollte, spielt hier keine Rolle mehr.

(Bildquelle: www.stampworld.com)

Deutschland, 2017–2019: »Astrophysik«

Auch nach dem Ende des politisch aufgeladenen Space Race ist das Universum ein nahezu unerschöpfliches Forschungsgebiet. Die Astrophysik, zu deren aufsehenerregendsten Entwicklungen in Deutschland von 2017 bis 2019 eine Serie von insgesamt sechs Werten herausgegeben wurde, beschäftigt sich mit der physikalischen Beschaffenheit von Himmelskörpern. Dass sie als beobachtende Wissenschaft ganz wesentlich auf Theoriebildung basiert, illustrieren die drei Briefmarkenpaare: Eine Marke bildet jeweils eine Neuerung ab, die eine bessere Beobachtung astronomischer Phänomene ermöglicht (die Rosetta-Raumsonde zur Kometenerforschung, die Radioteleskope des Alma-Observatoriums zur Beobachtung der kalten interstellaren Materie, die Hochleistungskamera des Gaia-Satelliten); die andere Marke veranschaulicht Ergebnisse von Computersimulationen beziehungsweise -animationen (das Schwarze Loch, die unter dem Namen Illustris visualisierten Prozesse der Entstehung der Galaxis, Gravitationswellen).

Die von Andrea Voss-Acker gestalteten Marken bilden einen Gegensatz zum Fotorealismus, der in der deutschen Briefmarkenästhetik seit zwei Jahrzehnten verbreitet ist. Mit Ausnahme der Fotografie vom Alma-Observatorium handelt es sich hier nämlich entweder um technische Bilder, die zeigen, was kein menschliches Auge zu sehen vermag, oder um Bildmontagen: So sehen wir den Gaia-Satelliten vor dem Hintergrund seiner eigenen Aufnahme eines Kometen, die Rosetta-Raumsonde vor der des Sternenhimmels. Dem staatlichen Repräsentationsbedürfnis wird hier mittels der Darstellung überstaatlicher Erfolgsgeschichten Rechnung getragen: Das Gros der Bildvorlagen stammt von der European Space Agency beziehungsweise dem European Southern Observatory, was die kollaborative Komponente der kostenintensiven Forschungen unterstreicht.

(Copyrights: ESA-Mission Rosetta: ESA/ATG medialab and Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA; Schwarzes Loch/Quasar: ESO/M.Kommesser; Illustris: Illustris Collaboration; ALMA-Observatorium: ESO/C.Malin; Gaia-Satellit: ESA/ATGmedialab/ESO/S.Brunier; Gravitationswellen: S.Ossokine, A.Buonanno/AEI, SXS, W. Benger/AHM)

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