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Die Maskenpflicht ist entfallen, Schutzmaßnahmen laufen aus: Für viele ist die Corona-Pandemie vorbei. Dennoch gibt es nicht wenige, für die sie bis zum heutigen Tag andauert – in Form von Long-Covid etwa, aber auch durch Impfschäden. Carsten Watzl, Leiter der Abteilung Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung Dortmund, hat sich in unserem Pocast »Tonspur-Wissen« mit Ursula Weidenfeld über die Folgen der Pandemie unterhalten.

LEIBNIZ Herr Watzl, wir groß sind die Schäden, die durch die Corona-Impfung entstanden sind?

CARSTEN WATZL Bei Covid muss man ersteinmal berücksichtigen, dass wir eine Ausnahmesituation hatten; wir haben in einer sehr kurzen Zeit sehr viele Menschen geimpft, und zwar erwachsene Menschen, die wir sonst so in diesem Maße gar nicht impfen. Wir machen sehr viele Impfungen bei Kindern, dann wieder ab 60 Jahren. Aber jetzt haben wir fast die gesamte Bevölkerung geimpft. Allein 2021 in Deutschland waren das über 60 Millionen Menschen, die geimpft wurden. Und es können, wenn man fast die gesamte Bevölkerung impft, nach der Impfung seltene Erkrankungen auftreten. Die große Herausforderung ist es, sicherzustellen ob sie nicht nur zeitlich, sondern auch ursächlich mit der Impfung zusammenhängen. Und ich glaube, das bestimmt die Diskussion.

Haben die Impfungen Nebenwirkungen?

Natürlich haben Impfungen auch Nebenwirkungen. Im Fall der Corona-Impfungen sind sie auch sehr schnell erkannt worden, einfach aufgrund der Tatsache, dass wir sehr viel geimpft haben. Das betrifft auch sehr seltene Nebenwirkungen, die vielleicht nur bei einem in 100.000 oder 200.000 Fällen auftreten. Jetzt gilt es aufzupassen, dass nicht alles, was im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten ist, auch einen ursächlichen Zusammenhang hat.

Was meinen Sie damit?

Ich erwähne da immer gerne, dass wir jedes Jahr ungefähr 10.000 neue Diagnosen von Multiple Sklerose haben, also einer Autoimmunerkrankung, die durch das Immunsystem vermittelt ist. Wenn das bei einem Patienten drei Wochen vor der Impfung auftritt stellt natürlich niemand einen ursächlichen Zusammenhang her. Wenn es aber drei Wochen nach der Impfung passiert, schon. Doch wenn die Impfung wirklich Multiple Sklerose auslösen würde, hätten wir im Jahr 2021 mehr als diese 10.000 Neudiagnosen MS haben müssen. Die gab es aber nicht; statistisch gesehen löst die Impfung also keine MS aus. In dieser Diskussion muss man ein bisschen aufpassen: Nicht alles, was jetzt im Zusammenhang mit der Impfung auftritt, hängt auch ursächlich mit der Impfung zusammen. Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass Impfschäden in manchen Fällen vorgekommen sind.

Carsten Watzl
Der Immunologe Carsten Watzl. Foto IFADO

Was sind die häufigsten Schäden, die im Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung auftauchen?

Tatsächlich genau die, die wir auch schon relativ schnell nach der Impfung erkannt haben. Bei den mRNA-Impfstoffen, können zum Beispiel allergische Reaktion oder Herzmuskel-Entzündungen auftreten. Nach Impfungen mit Vektor-Impfstoffen wie jenen von AstraZeneca und Johnson & Johnson traten vereinzelt Thrombosen auf. Es gibt also Unterschiede, je nachdem, welcher Impfstoff verwendet wurde.

Viele Corona-Folgebeschwerden ähneln Impfnebenwirkungen wie etwa Herzmuskelentzündungen, die auch relativ viele Covid-Patienten erlitten. Kann man sagen, was im Vergleich schwerwiegender ist oder häufiger vorkam?

Nach der gegenwärtigen Studienlage traten einzig Lymphknotenschwellungen und Herpes nach der Impfung häufiger auf als nach der Infektion. Alle anderen gesundheitlichen Folgen waren nach einer Infektion viel schlimmer als nach einer Impfung. Und das ist letztendlich das, was man auch bei den Zulassungsstudien beurteilt hat: Was ist der Kosten-Nutzen-Faktor? Eine Impfung ist nunmal auch keine Zuckerpille. Sie hat Nebenwirkungen, es ist ja ein Eingriff in den Körper; aber diese Nebenwirkungen müssen in einem Verhältnis stehen zu dem Risiko, das von der Infektion ausgeht. Und diese Risiko-Nutzen-Abwägung wurde frühzeitig sowohl von den Zulassungsbehörden als auch von der STIKO immer wieder beurteilt. Und manchmal hat das auch dazu geführt, dass die STIKO Impf-Empfehlungen dann gegebenenfalls abgewandelt hat. In dieser Abwägung ist man heute vonseiten der Immunologie sehr sicher, dass man mit den Impfempfehlungen im Großen und Ganzen richtig gelegen hat

Bisher sind 7.000 Anträge gestellt worden von Menschen, die unter Impfschäden und -folgen leiden. 300 Fälle sind anerkannt…

…was verglichen mit der Anzahl der Impfungen, die wir durchgeführt haben, eher wenig ist. Wir haben mittlerweile fast 200 Millionen Impfdosen in Deutschland verabreicht und über 60 Millionen Menschen geimpft. Die Anzahl der Impfschäden ist im Vergleich dazu immer noch sehr gering. Auf der anderen Seite stehen in Deutschland über 100.000 Tote durch die Corona-Infektion. Und es gab ja auch den Bericht der WHO, dass alleine in Europa eine Million Menschenleben durch die Impfung gerettet worden sind. Das heißt: Wenn wir als Gesellschaft möchten, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen, dann müssen wir auch als Gesellschaft für mögliche negative Folgen von so einer Impfung aufkommen.

Anfangs wurden die Betroffenen in die Psychosomatik-Schiene geschoben.

CARSTEN WATZL

Sprechen wir über Long-Covid: Wie viel Prozent der Long-Covid-Patienten sind richtig ernsthaft krank, also nicht nur beeinträchtigt, sondern so, dass sie das Haus nicht gut verlassen können, nicht aufstehen können?

Genaue Zahlen kann ich Ihnen gar nicht nennen. Das liegt daran, dass wir zu wenig über Long-Covid wissen. Was ist da wirklich kaputt, was ist fehlgeleitet? Hat etwa das Immunsystem während der Virusinfektion so viel Schaden in der Lunge angerichtet oder war es das Virus selber? Von solchen Fragen hängt natürlich auch die Behandlung der Patienten ab.

Heißt das, Long-Covid könnte eine Art Autoiummunerkrankung sein?

In etwa. In diesem Fall könnten die Patienten zum Beispiel von einer Blutwäsche profitieren, bei der erstmal alle Antikörper aus dem Blut rausgewaschen werden – und damit auch die »bösen« Antikörper. Das ist nicht von Dauer, da diese bösen Antikörper immer nachproduziert werden. Aber bei einigen Patienten kann man damit eine Linderung der Symptomatik herbeiführen. Bei vielen anderen Patienten ist die Lage allerdings schwieriger.  

Wir haben jetzt drei Jahre das Corona-Virus im Blickfeld der Wissenschaft. Wir haben Menschen, die seit drei Jahren an Long-Covid leiden. Kann man ihnen eine Perspektive geben, ihnen Hoffnungen auf wirksame Therapien machen?

Da wird mehrgleisig gefahren. Auf der einen Seite versucht man schon zugelassene Medikamente, von denen man glaubt, dass sie vielleicht Linderung verschaffen könnten, in klinischen Studien auszuprobieren. Da die Medikamente somit bereits zugelassen wären, könnte das sehr schnell gehen. Das einzige, was man sagen kann, ist, dass  auf diesem Feld sehr viel Forschungsaktivität erfolgt. Man kann dann nur hoffen, dass es auch deshalb ein bisschen schneller geht.

Wie sieht es denn mit Post-Covid-Fatigue aus, dem chronischen Erschöpfungssyndrom, über das sich manche Post-Covid-Patienten beklagen?

Allgemein sind Erschöpfungssyndrome nach einer viralen Infektion ja nicht neu. Das heißt, wir hatten auch schon vor Corona Menschen, die unter der Erschöpfungssyndromen gelitten haben. Diese Leute hatten nie eine Therapie. Am Anfang wurden sie ein bisschen in die Psychosomatik-Schiene geschoben, das war für die Betroffenen sehr schwer. Und ich glaube, sie können vielleicht davon profitieren, dass es nun viel mehr Menschen betrifft. Davon, dass die Problematik in der breiteren Bevölkerung angekommen ist und auch die Wissenschaft sich nun viel mehr damit beschäftigt.

Und davon, dass sie endlich ernst genommen werden…

Genau. Das richtet sich insbesondere auch an Arbeitgeber: Nehmt Long-Covid ernst, das ist eine Krankheit!

Frau mit Maske
Die Maske als Symbol der Pandemie ist aus unserem Alltag weitestgehend verschwunden. Nicht verschwunden hingegen sind die Leiden, mit denen Long-Covid-Patienten zu kämpfen haben. Foto VIKI MOHAMAD

Die Debatte über Corona, die Impfung und Folgeschäden wird emotional geführt. Was bedeutet das denn eigentlich für die Immunologie und für Ihre Arbeit?

Wir haben es bei Impfungen mit der größten Erfolgsgeschichte der Immunologie, vermutlich sogar der gesamten Medizin, zu tun. Aber das Problem ist, dass man ja gesunde Menschen impfen muss, um eine Krankheit zu verhindern. Und weil Impfungen nicht frei von Nebenwirkungen sind, können auch einige Menschen negative Folgen davon tragen. Die allermeisten haben aber keine negativen Folgen, sondern wir alle haben diese positive Folge, dass die Krankheit verhindert wird. Und im allerbesten Fall, und das ist uns bei den Pocken gelungen, hat man dann auch einen Erreger komplett ausgerottet, weil sich Viren eben nur in unseren Zellen vermehren können. Und wenn wir den Virus den Wirt wegnehmen, kann es sich auch nicht mehr vermehren, …

…weil Viren im Gegensatz zu Bakterien alleine nicht überleben können.

Richtig, ein Bakterium, das kann auch irgendwo rumliegen und sich selber vermehren. Durch Impfungen werde ich es nicht ausrotten. Aber bei Viren habe ich diese Möglichkeit. Bei einer sehr erfolgreichen Impfung reden wir häufig über Kinderkrankheiten. Sie sind so ansteckend, dass es schon die kleinen Kinder kurz nach der Geburt oder im ersten Lebensjahr irgendwann erwischt. Früher haben die Kinder die Infektion entweder überlebt – oder nicht. Und die, die es überlebt haben, waren dann immun. Diesen Infekt können wir mit Impfungen replizieren. Ich denke da an Polio…

…Weitere Beispiele sind Masern und Röteln.

Genau, all die Infektionen, die von vielen Menschen als Kinderkrankheiten abgetan werden. Aber Kinderkrankheiten sind keinesfalls auf die leichte Schulter zu nehmen, sie können häufig tödlich enden. Nur haben wir sie mittlerweile vergessen; ich kenne zum Beispiel keinen Polio-Fall persönlich. Einfach weil die Impfung sehr erfolgreich war.

Polio ist Kinderlähmung und ist eine Krankheit gewesen, die früher schwere Behinderungen oder gar den Tod zur Folge hatte.

Ja, und das ist der Erfolg der Impfungen: dass man solche Krankheiten fast komplett zurückgedrängt hat. Polio wäre die nächste Krankheit, die sie ausrotten könnten.

Vielerorts wird für Impfungen geworben, zum Beispiel gegen Gürtelrose. Machen die Leute das oder haben sie die Nase voll vom Impfen?

Teils, teils. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir mit der jetzigen Diskussion über die Impfschäden bei der Bevölkerung nicht den Eindruck erzeugen, dass das mit den Impfungen doch keine so gute Idee gewesen wäre. Wir brauche wirklich eine Aufklärungskampagne, was Impfungen leisten können – auch alterspezifisch. Nehmen wir die Grippe: Für uns ist sie etwas blöd, weil wir ein paar Tage mit Fieber im Bett liegen. Bei den Älteren kann sie bis zum Krankenhausaufenthalt oder Tod führen. Deshalb wird die Grippeimpfung ja gerade für die über 60-Jährigen empfohlen.

Und wenn sie jetzt einen Strich drunter machen – hat die Corona-Zeit die Menschen eher freundlicher gestimmt gegenüber der Immunologie oder sind sie skeptischer geworden?

Zum einen muss man sagen, dass viele Leute tatsächlich erst mitgekriegt haben, dass es den Begriff und das Forschungsfeld überhaupt gibt; davon hat die Immunologie sicherlich profitiert. Außerdem haben sich viel mehr Menschen mit Impfungen auseinandergesetzt. Aber wie das mit der Bekanntheit so ist, es gibt auch negative Aspekte: Das Lager der Impfgegner ist in der Corona-Pandemie vermutlich größer geworden. Das ist zwar eine Minderheit, aber eine sehr laute. Und da muss man aufpassen, dass man jetzt nicht die Stimmung in der Bevölkerung ins Negative kippen lässt.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Carsten Watzl vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund können Sie in voller Länge im Podcast Tonspur Wissen von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für leibniz haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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