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In der zweiten Folge unseres Dreiteilers »Neun Milliarden und Eins« werfen wir einen Blick auf die Gesundheitsversorgung der Zukunft. Urbanisierung, eine alternde Gesellschaft und soziale Ungleichheiten werden die gesundheitspolitischen Herausforderungen von morgen sein. Wie können wir ihnen schon heute begegnen? Wir haben den Sozialepidemiologen Tilman Brand vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie gefragt.

Wie kann man die Gesundheitsversorgung von neun Milliarden Menschen sicherstellen? Ganz einfach: Indem wir für weltweite Verteilungsgerechtigkeit sorgen! Die allermeisten Menschen kommen gesund auf die Welt. Die Frage, wie wir ihnen auch ein gesundes Aufwachsen ermöglichen können, sollte deshalb an erster Stelle stehen. Die Grundbedingung dafür ist, dass wir Armut und Hunger vermeiden und Zugang zu adäquaten sanitären Anlagen und sauberem Wasser schaffen. Die Bereitstellung von medizinischen Innovationen an Länder mit einem geringen oder mittleren Einkommen gehört daher zu den Kernaufgaben. Auch Open Science kann hier einen Beitrag leisten ebenso wie Implementationsforschung, also Forschung für den Aufbau und Erhalt einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung unter widrigen Umständen.

Die Urbanisierung ist ein wichtiges Thema für die Gesundheitsversorgung der Zukunft. Der Verstädterungsgrad ist vielerorts bereits sehr hoch, und für ansteckende Erkrankungen sind dicht besiedelte Städte natürlich eine ideale Umgebung, sich rasch zu verbreiten. Besonders lohnenswert dürfte es dabei sein, sich Städte wie Tokio genauer anzuschauen, wo seit langem Millionen Menschen sehr verdichtet und unter vergleichsweise guten Bedingungen zusammenleben. Daraus könnten wir einiges für die Megacitys der Zukunft lernen.

Die nächste Pandemie, wie auch immer sie aussieht, wird nicht unser größtes Problem sein.

TILMAN BRAND

Neben dem Bevölkerungswachstum gibt es eine zweite demografische Dimension, die in Zukunft immer wichtiger werden wird: das Altern der Gesellschaft. In Deutschland etwa wird 2040 gut jede dritte Person 65 Jahre oder älter sein. Dementsprechend ist zu erwarten, dass altersassoziierte Erkrankungen wie Demenz, Herzkreislauferkrankungen und Krebs einen großen Teil des Krankheitspanoramas ausmachen werden. Eine alternde Gesellschaft birgt aber auch Potenziale: Es wird noch viel zu wenig unternommen, um die Fähigkeiten und das Engagement älterer Menschen produktiv zu nutzen, beispielsweise um dem Fachkräftemangel in der Gesundheitsversorgung zu begegnen. Stattdessen wird die demografische Alterung bei uns meistens sehr einseitig als Belastung für das Gesundheitssystem der Zukunft gesehen – das muss sie aber nicht sein.

Reden wir auch über Pandemien: Natürlich lässt sich nicht jede medizinische Entwicklung vorhersagen. Pandemien mit schwerwiegenden Folgen, etwa die spanische Grippe oder die Corona-Pandemie, lassen sich aus meiner Sicht nicht seriös prognostizieren. Doch wenn eine konstruktive internationale Zusammenarbeit möglich ist und die Gesundheitssysteme gut aufgestellt sind, sollte die nächste Pandemie, wie auch immer sie aussieht, nicht unser größtes Problem sein.

Tilman Brand
Der Sozialepidemiologe Tilman Brand. Foto RASMUS CLOES

Als wesentlich größere Gefahr für unsere Gesundheit erachte ich die Zerstörung und Verschmutzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen; das wird mit Sicherheit nicht ohne Folgen bleiben. Eingeschränkter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Hungersnöte werden viele Menschen das Leben kosten, aber auch massive Migrationsbewegungen auslösen und Konflikte um knapper werdende Ressourcen verschärfen.

Meine größte Sorge bei der Gesundheitsversorgung der Menschen von Morgen ist, dass wir kollektiv zu langsam oder sogar handlungsunfähig sind, um das weitere Voranschreiten des Klimawandels zu verhindern und mit seinen Folgen umzugehen. Der Klimawandel bedroht die gesamte Menschheit – dagegen hilft auch keine medizinische Spitzenforschung. Was mich hingegen motiviert ist, dass ich mit meiner Forschung zu einer gerechteren Verteilung, einem besseren Zugang zu Bildung und einer an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierten Prävention beitragen kann.

TILMAN BRAND ist Sozialepidemiologe am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit sozialen Aspekten in der Gesundheitsversorgung.

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