leibniz

Leichtfüßig tänzelt Matthias Beller über die Bühne. In der rechten Hand die Bedienung für den Beamer, hinter sich an der Wand seine Präsentation, sprudeln die Sätze nur so aus ihm heraus. Dabei ist es eigentlich ein schweres Thema, das er seinen Zuhörern in der Berliner »Urania« bei sommerlichen Temperaturen nahebringen will: »Katalysatoren im 21. Jahrhundert.« Der Direktor des Rostocker Leibniz-Instituts für Katalyse (LIKAT) versucht es mit Vergleichen: »Es geht um Stoffumwandlung wie in der Alchemie.«

Beller ist unprätentiös, stets am inhaltlichen Austausch interessiert. Dafür nimmt er sich Zeit, die er eigentlich nicht hat. Zwölf Stunden zählt sein Arbeitstag am Institut. Hinzu kommen die vielen weiteren Tätigkeiten: gestern ein Vortrag auf einem Symposium in Mexiko, heute ein Gutachten in Finnland, morgen das Nobelpreisträgertreffen in Lindau. Zwischendrin ist Beller Vizepräsident der Leibniz-Gemeinschaft. »Von 255 Arbeitstagen im vergangenen Jahr war ich 166 Tage unterwegs, häufig in China«, sagt er. Ein echter Forscher ist eben auch Kosmopolit.

Wie sich jede Minute für die Wissenschaft nutzen lässt, hat Matthias Beller im Laufe seines Berufslebens gelernt: mit 27 Jahren Promotion und Postdoc in den USA. Dann sechs Jahre Wissenschaftler und Gruppenleiter in der chemischen Industrie in Frankfurt. Wie es der Zufall will, verbringt dort der Münchner Chemieprofessor Wolfgang A. Herrmann ein Industrie-Sabbatical; er holt den jungen Mann 1996 für eine Professur an seinen Lehrstuhl an die TU München, als er selbst deren Präsident wird. Bereits zwei Jahre später, 1998, kommt der Ruf nach Rostock an das heutige LIKAT. Beller bleibt — allen Avancen renommierter Forschungseinrichtungen zum Trotz.

Beller fühlte sich als »junger Besserwisser aus dem Westen« wahrgenommen.

Als er in Rostock anfing, zählte das Institut weniger als 70 Mitarbeiter. Heute sind es 300. Es ist eines der forschungsstärksten der Leibniz-Gemeinschaft. Gut 7 Millionen Euro Drittmittel, knapp die Hälfte des Jahresetats. Der Direktor selbst erhielt 2006 den begehrten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Inzwischen, so Beller, spüre er »großen Druck«, das Institut auf diesem Niveau am Laufen zu halten.

Der Beginn war schwierig. Beller fühlte sich als »junger Besserwisser aus dem Westen« wahrgenommen, als er am LIKAT anfing. Die Politik versprach mehr Geld und ein neues Instituts-Gebäude. Sobald er sein Büro bezogen hatte, wollte das Finanzministerium das Institut schließen. Inzwischen steht das neue Gebäude. Und ein Anbau obendrein. In Erinnerung bleibt ihm aus dieser turbulenten Zeit der Satz eines Kollegen: »Mit der Schlinge um den Hals denkt es sich schneller.«

Beller ist ein Getriebener, stets dem Neuen auf der Spur. Keiner weiß, wann er schläft. Er brennt für sein Fach. Die Chemie ist sein Element. Sie eint zentrale Bedürfnisse des Grundlagenforschers: die Entdeckung neuer Moleküle, handwerkliche Fähigkeiten, sogar künstlerischen Impetus. »Ich bewundere die ästhetischen Aspekte von bestimmten Molekülen und Synthesen«, sagt Beller. Die Katalyse ist sein Spezialgebiet: die Umwandlung einfacher Rohstoffe in komplexe, neue Moleküle. Und die können einiges in Bewegung bringen. »Es gibt keine Wissenschaft, die so viele Innovationen hervorbringt wie die Chemie.« Ob das nun die Tinte seines Füllfederhalters sei oder das Papier, auf dem er schreibe; der moderne Fussboden, auf dem er stehe — oder sogar die Nylonstrümpfe der Frauen.

Nylon, eine besondere Art von Polymeren. Viele bahnbrechende, heute allgegenwärtige Materialien seien durch Zufall entdeckt worden, erzählt Beller. Beim Polyethylen und -propylen, verwendet in Verpackungen und im Automobilbau, war schlicht eine Apparatur verunreinigt. Dieser Zufall brachte dem Chemiker Karl Ziegler 1963 den Nobelpreis.

Wir müssen der Gesellschaft etwas zurückgeben.

MATTHIAS BELLER

Mit Unbehagen beobachtet Beller daher die Tendenz zur Programmforschung, die Themen vorgibt und die Freiheit wissenschaftlichen Arbeitens einschränkt. Wer als Forscher gezeigt habe, dass er gute Leistungen erbringe, dem müsse auch mal ein Vertrauensvorschuss gewährt werden, so sein Credo. Immer nur alles auf quantitative Datenabfrage und Impact zu richten, sei problematisch. So entstehe keine Innovation. Essentiell ist für ihn der Austausch mit Seinesgleichen, aber auch der Rückzug in die Familie. Jeden Morgen, den er in Rostock verbringt, fährt er seine beiden Jungs zur Schule.

Beller ist der älteste von drei Brüdern. Sein Vater hatte ein kleines Installations-Unternehmen. Sohn Matthias half regelmäßig aus. Doch er hasste den Staub auf dem Bau so sehr, dass er Handschuhe trug. Statt den Betrieb zu übernehmen, studierte er Chemie »auf Lehramt«. Als Beller 1987 abschloss, war seine Neugier entfacht. »Ich wollte mehr wissen und verstehen.«

Heute will er einen Traum wahr machen: aus erschwinglichen und nicht giftigen Stoffen auf Basis von Eisen neue Katalysatoren bauen. »So kann eine Vielzahl chemischer Reaktionen effizienter und nachhaltiger ablaufen und auch der Autokatalysator billiger werden«, erklärt er dem Publikum in der Urania.

Im Erklären und Aufklären sieht der Wissenschaftler einen wichtigen Teil seiner Aufgabe: »Wir müssen der Gesellschaft etwas zurückgeben.« Nicht nur, weil Forschung öffentlich gefördert werde. Auch, weil die Dinge nicht so einfach seien, wie gemeinhin gerne angenommen werde. »Einfache Schwarz-Weiß-Muster gibt es nicht«, sagt Beller. Er wird nicht müde, bis an diesem Abend auch die letzte Frage beantwortet ist.

Vielleicht auch interessant?