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Unser Titelbild zeigt die erste Miss Europa, Elizabeth »Böske« Simon, und Miss America, Ella von Heuson, 1929 im französischen Kurort Deauville.

LEIBNIZ Frau Schattauer, Sie haben sich mit Schönheitskonkurrenzen im frühen 20. Jahrhundert beschäftigt. Woher kommt Ihr Interesse für dieses Thema – haben Sie selbst schon einmal einen Wettbewerb gewonnen oder saßen Sie in einer Jury?

CORINNA SCHATTAUER Privat habe ich null Berührungspunkte mit diesem Thema. Ich bin zufällig darauf gestoßen. Als ich auf der Suche nach einem Forschungsgegenstand für meine Promotion war, zeigte mir meine Professorin Sammelbildchen von Schönheitsköniginnen aus den 1920er Jahren. Manche Fragen drängten sich mir geradezu auf: Was ist Schönheit? Was versteht man als weiblich? Welchen Vorstellungen mussten die Frauen gerecht werden? Gleichzeitig hatte sich in Deutschland noch niemand richtig mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Schönheitskonkurrenzen wirken wie ein sehr neues historisches Thema. Seit wann gibt es sie überhaupt?

Die ersten kommerziellen Konkurrenzen gab es in den 1880er Jahren in den USA. Damals hießen sie Badeanzugwettbewerbe, weil sich die Teilnehmerinnen in Badeanzügen präsentierten. Bald schwappte das nach Europa: Schon kurz nach der Jahrhundertwende gab es auch in deutschen Zeitungen die ersten vereinzelten Meldungen. Die erste besser dokumentierte Schönheitskonkurrenz fand 1909 in Hamburg statt. Sehr populär wurden die Wettbewerbe aber erst in den 1920er Jahren.

Wie kam es dazu?

Das Thema Schönheit bekam in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit. Man sprach nun darüber, wie wichtig Schönheit auch für das alltägliche Leben sei. Etwa, um einen Job zu bekommen. Der Arbeitsmarkt war in den 1920ern nach dem Krieg völlig überschwemmt. Und gerade die weiblichen Angestellten wurden oft auch nach Schönheit ausgewählt. Dazu kam, dass in den Massenmedien zunehmend Fotos abgedruckt werden konnten. Auf einmal zeigten Zeitschriften im ganzen Land Bilder schöner Frauen.

Kandidatinnen eines Schönheitswettbewerbs in Berlin 1925 1925 in einer Reihe. Ihre Startnummern sind zu sehen.
Wahl der Modekönigin in Berlin 1925

Beruflicher Erfolg dank Schönheit – ist das heute denn anders?

Studien haben nachgewiesen, dass auch heute als schön wahrgenommene Menschen mehr verdienen und schneller eingestellt werden. Damals kam diese Diskussion aber zum ersten Mal auf. Dass sich Frauen überhaupt in der Öffentlichkeit präsentierten, und noch dazu so leicht bekleidet, war ein ganz neues Phänomen. Im 19. Jahrhundert war das Haus die Sphäre der Frau. Ging sie auf die Straße, trug sie in aller Regel lange Kleider. Erst um die Jahrhundertwende verloren diese strengen Vorstellungen ihre Verbindlichkeit. Und erst im Rahmen des Ersten Weltkriegs, als viele Männer im Krieg waren, traten Frauen dann auch tatsächlich mehr in die Öffentlichkeit. All das war also noch sehr neu.

Benötigten die Frauen vor diesem Hintergrund Mut, sich um den Titel einer Schönheitskönigin zu bewerben?

Frauen, die nie zuvor im Rampenlicht gestanden hatten, brauchten sicherlich Mut. Viele Bewerberinnen waren allerdings Schauspielerinnen und Mannequins. Sie hatten also schon Bühnenerfahrung, was ihnen sicherlich geholfen hat. Das gilt übrigens auch für Gertrud Dopieralski, die Gewinnerin der ersten deutschen Konkurrenz von 1909. Sie hat im Theater als Soubrette gearbeitet, also als Schauspielerin und Sängerin.

Wodurch zeichnete sich der von Ihnen angesprochene Höhepunkt der Schönheitskonkurrenzen in den 1920ern aus?

Zum einen durch die schiere Menge der Wettbewerbe. Mitte der 1920er gab es viel mehr Schönheitskonkurrenzen als zuvor. Nicht nur in Badeorten oder Großstädten, sondern auch auf dem Land. Einige, etwa der Wettbewerb um die Miss Germany, waren riesige und professionell organisierte Veranstaltungen. Es gab lokale Vorauswahlen, bevor dann in Berlin die deutsche Schönheitskönigin gekrönt wurde. All das bedeutet: Es entstanden nach und nach auch Konventionen, wie eine Schönheitskonkurrenz auszusehen habe. Mit einem Laufsteg, auf dem sich die Frauen präsentieren, und einer Jury, die sie dabei bewertet. Anfangs gab es das nicht immer. Manchmal wurden in der Frühzeit zum Beispiel nur Fotos eingesandt.

Die Historikerin Corinna Schattauer

CORINNA SCHATTAUER
promovierte mit einem Stipendium des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz über »Weibliche Handlungsmacht und Mobilität. Kommerzielle Schönheitskonkurrenzen in Deutschland, 1909-1933«. Ihr Buch ist im Open Access erschienen.

Welche Voraussetzungen mussten die Teilnehmerinnen mitbringen, wenn sie Erfolg haben wollten?

Sie mussten natürlich den Schönheitsidealen der Zeit entsprechen. Es gab damals eine extreme Fixierung auf die Jugend – viel stärker noch als heute. Viele Teilnehmerinnen waren unter 20 Jahre alt. Schon mit Mitte 20 galt man als alt. Das Ideal war außerdem eine sehr schlanke Frau. Für alle, die diesen Maßen nicht entsprachen, wurde es schwierig. Und bevorzugt wurden blonde, blauäugige und weißhäutige Frauen. Dunkelhäutige Frauen hatten keine Aussicht auf Erfolg.

Warum traten die Teilnehmerinnen an?

Die Siegerinnen erhielten oft Geldpreise. Manchmal gab es auch wertvolle Sachpreise zu gewinnen, etwa ein Auto. Das war damals ein enormes Statussymbol – und ein Mobilitätsgewinn. Mobilität war ein starker Antrieb: Für manche Kandidatinnen war es bereits ein Abenteuer, wenn sie zu den Konkurrenzen in große Städte fuhren. Einige deutsche Schönheitsköniginnen kamen noch viel weiter: Sie nahmen an internationalen Wettbewerben in Südamerika teil und konkurrierten dort um den Titel der Miss Universe. Ein Sieg ging oft auch mit sozialer Mobilität einher, also sozialem Aufstieg. Die Frauen kamen in Kontakt mit gesellschaftlichen Kreisen, zu denen sie ansonsten keinen Zugang gehabt hätten. Und eine erfolgreiche Teilnahme konnte etwa bei Schauspielerinnen die Bühnenkarriere fördern.

Die Nationalsozialisten behaupteten, Juden hätten die Konkurrenzen erfunden, um sich an der deutschen Frau zu bereichern.

Gab es Schönheitswettbewerbe auch für Männer?

Ich habe in den Quellen nur sehr wenige Hinweise auf Schönheitskonkurrenzen für Männer gefunden. Wenn, fanden sie meist in der Schwulenszene statt, die besonders in Berlin florierte. Für heterosexuelle Männer war es ungewöhnlich, ihre Schönheit bewerten zu lassen, wenn das im Sinne von Anmut und Eleganz gemeint war, so wie bei den Frauen. Sie hatten aber andere Formate, in denen sie ihre Körper präsentierten: die Muskelschönheitskonkurrenzen, die zur Jahrhundertwende aufkamen. Sie waren ein Vorläufer des heutigen Bodybuildings.

Wie ging es dann nach den 1920er Jahren weiter?

Ich habe den Eindruck, dass bereits in den frühen 1930er Jahren das öffentliche Interesse abnahm. Einerseits waren die Konkurrenzen nicht mehr ganz neu. Andererseits hatten die Menschen aufgrund der Weltwirtschaftskrise andere Sorgen. Auch die nationalsozialistische Propaganda verteufelte die Konkurrenzen. Oft mit dem Hinweis auf die vielen jüdischen Unternehmer in der Modeindustrie, die einige bekannte Wettbewerbe organisiert hatten. Die Nationalsozialisten behaupteten, die Konkurrenzen seien von Juden erfunden worden, um sich an der deutschen Frau zu bereichern. Nach 1933 fanden in Deutschland erst einmal keine Konkurrenzen mehr statt.

Ruth Ingrid Richard, Miss Germany 1931
Ruth Ingrid Richard, Miss Germany 1931

War es eigentlich schwierig, dieses Thema zu erforschen?

Schwierig war, dass es nur wenige erschlossene Quellen gab. Ich musste mich also auf Spurensuche begeben und nach Medienberichten suchen. Leider finden sich in den Quellen nur sehr wenige Äußerungen der Teilnehmerinnen selbst. Oft wurde mehr über sie berichtet, als dass sie selbst berichtet haben.

Hat die Arbeit Ihren Blick auf Schönheitskonkurrenzen verändert?

Wahrscheinlich bin ich am Anfang selbst auch mit Vorurteilen an das Thema herangegangen. Schließlich werden Schönheitskonkurrenzen bis heute vielfach als antifeministisch und frauenfeindlich dargestellt. Diese Kritik findet sich bereits in den Quellen: Manchmal werden die Teilnehmerinnen als arme Kinder bezeichnet, die nicht wissen, was die Männer mit ihnen machen. Oder – im Gegenteil – als ruchlose Karrierefrauen, die alles tun, um Geld zu verdienen. Der italienische Faschistenführer Benito Mussolini kritisierte, die Konkurrenzen machten die Frauen zur Ware, zum Konsumobjekt. Aber so einfach ist es dann eben doch nicht. Viele Teilnehmerinnen haben bewusst ihren Körper als Kapital genutzt. Darin kann man durchaus einen emanzipatorischen Schritt erkennen.

Die Teilnahme an Schönheitskonkurrenzen war ein emanzipatorischer Akt?

Naja, die Zeiten waren patriarchal, und die Teilnahme sicher nicht nur emanzipatorisch motiviert. Aber man sollte die Frauen, die teilgenommen haben, ernst nehmen. Sie haben als Akteurinnen Entscheidungen im eigenen Interesse getroffen und waren nicht einfach nur Spielbälle anderer. Nachdem ich mich jahrelang intensiv mit diesen Konkurrenzen beschäftigt habe, fällt es mir schwer, sie pauschal abzulehnen oder zu bejubeln. Wie so oft ist die Realität komplex und voller Nuancen.

Viele Teilnehmerinnen nutzten ihren Körper ganz bewusst als Kapital.

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