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Lässt sich aus Scheiße wirklich Geld machen?

Behutsam kämpft sich Jan-Ole Boness durch ein dichtes Maisfeld. Immer wieder biegt er Pflanzen zur Seite und schaut in alle Richtungen. Dschungel-Feeling à la Brandenburg. Irgendwo müssen diese Dinger doch sein, sagt Boness und wirft noch mal einen Blick auf das Satellitenfoto, das er in sein Versuchstagebuch geklebt hat. Seit drei Jahren notiert er in der roten Kladde fast alles, was seine Forschung betrifft. Jetzt aber hilft das Buch nicht weiter. Hm, seufzt er, halb verzweifelt, halb verwundert.

Der 35-jährige Öko-Agrarmanager sucht fingerdicke Markierungsstangen. Erst wenige Monate zuvor steckte er die hier selbst in den trockenen Ackerboden, um einen weltweit einzigartigen Feldversuch vorzubereiten. Doch so sehr er sich auch umsieht und den Hals immer wieder in den zu heißen Septembermorgen reckt, Boness kann die weißen Stangen nicht finden. Na dann eben ab auf den Hochstand, sagt er, dreht ab und stapft weiter durch das sattgrüne Dickicht.

Boness forscht seit mehreren Jahren zum Einsatz von Fäkaldüngern in der Landwirtschaft. Der Boden, über den er gerade läuft, wurde mit etwa 35 Tonnen kompostiertem Kot und 273 Litern aufbereitetem Urin aus Trockentoiletten gedüngt. Er und seine Kolleginnen und Kollegen wollen herausfinden, ob dieser Recyclingdünger aus menschlichen Ausscheidungen die Saat besser oder mindestens genauso gut wachsen lässt wie synthetische Dünger.

Es geht aber auch um die Lösung globaler ökologischer Probleme, um alternative Sanitärsysteme und die Überwindung gesellschaftlicher Tabus sowie politischer Widerstände. Um Versorgungssicherheit mit Düngern und damit um Ernährungssicherheit, um Klimaschutz mit Wertschöpfung – und um die Frage: Lässt sich aus Scheiße wirklich Geld machen?

Vom Hochstand aus kann Boness das gesamte Maisfeld überblicken. Der Acker liegt mitten in einem Kiefernwald in der Schorfheide, etwa eine Autostunde nordöstlich von Berlin. Außer dem Surren und Zirpen von Insekten und dem gelegentlichen Ruf eines Kranichs ist kaum etwas zu hören. Boness will heute erste Proben aus verschiedenen Messparzellen nehmen. Manche Flurstücke wurden gar nicht gedüngt, andere mit konventionell synthetischem Dünger, wiederum andere mit den Produkten aus der Trockentoilette. Analysen der Pflanzen im Labor sollen zeigen: Wo wird mehr Biomasse produziert? Wie hoch ist der Stickstoffgehalt im Boden und in der Pflanze? Gibt es überhaupt Unterschiede? Welche pharmazeutischen Rückstände lassen sich finden? Nach der Auswertung, so hofft Boness, werde man wissen, wie Dünger aus menschlichen Fäkalien unter Realbedingungen auf deutschen Feldern performt.

Am Anfang dieser Frage, die Forschende in Deutschland, der Schweiz und Schweden, in Spanien, Ungarn und Italien umtreibt, stehen drei Elemente: Stickstoff, Phosphor, Kalium. Ohne sie würde die Welt verhungern. Denn ohne sie wächst keine Pflanze. Deswegen enthalten die meisten Düngemittel dieses Trio. Um den Hunger der stetig wachsenden Weltbevölkerung zu stillen, bringt die Agrarindustrie jedes Jahr mehr Dünger auf die Felder. Doch die Ressourcen sind endlich. Daher hat die Wissenschaft Methoden entwickelt, um Stickstoff, Phosphor und Kalium anderweitig zu gewinnen. Eines der bekanntesten Verfahren stammt von den deutschen Chemikern Fritz Haber und Carl Bosch. Bei der nach ihnen benannten Methode werden Stickstoffgas und Wasserstoffgas unter dem Druck von 300 bar und bei Temperaturen bis zu 450 Grad Celsius aus der Luft extrahiert und zu synthetischem, stickstoffhaltigem Ammoniak verarbeitet. Der Energieaufwand ist gewaltig. Eine klimaschonendere Alternative soll her.

An genau dieser forscht Boness mit Ariane Krause. Die 41-Jährige arbeitet am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) in Großbeeren bei Berlin und koordiniert das Projekt mit dem Namen »zirkulierBAR«, an dem auch Boness beteiligt ist. Mitte 2021 gründete sich dieses rund 30-köpfige Team aus Forschenden, Kommunen und Privatwirtschaft aus Brandenburg, Berlin und Sachsen. Wir arbeiten für eine Sanitär- und Nährstoffwende und wollen Nährstoffe aus verdauten Nahrungsmitteln zurückgewinnen. Dazu entwickeln wir einen neuen Ansatz für Sanitärversorgung, der an den Klimawandel angepasst ist und eine regionale Kreislaufwirtschaft ermöglicht, sagt Krause.

Boness und Krause sind fest überzeugt: Menschliche Fäkalien können Großes leisten im Kampf gegen den Klimawandel. Gegen den Verlust der Artenvielfalt und die Düngemittelkrise – und für den Schutz von Ressourcen. Unsere Hinterlassenschaften nämlich sind besonders reich an Phosphor und Stickstoff. Urin enthält fast alle Nährstoffe, die eine Pflanze zum Wachsen benötigt. Kot kann, zu qualitätsgesichertem Humus verwertet, dem Boden helfen, Starkregen und Dürre besser zu verkraften.

Bei jedem Toilettengang produzieren wir Ausgangsstoffe für hochwertigen Dünger. Momentan aber spülen wir diese Schätze in die Kanalisation – und zwar mit Trinkwasser, sagt IGZ-Expertin Krause. Dort werden sie mit schadstoffhaltigen Abwässern vermengt und landen in den Kläranlagen, wo alles wieder aufwendig gefiltert wird. Der gewonnene Klärschlamm darf in Deutschland derzeit noch – anders als Recyclingdünger aus Komposttoiletten – auf den Feldern ausgebracht werden. Nährstoffe aus verdauten Nahrungsmitteln werden also bereits als Dünger eingesetzt, gehen jedoch vorher einen energieintensiven Umweg.

Krause und ihre Kolleginnen und Kollegen wollen diesen Prozess abkürzen, ein zirkuläres Sanitärsystem etablieren, das Energie und Wasser spart und Nährstoffe recycelt. Die wasserbasierte Kanalisation, die wir in den Industrienationen gewohnt sind, ist weder eine globale noch eine zukunftsorientierte Technologie. Nicht in Zeiten des Klimawandels und nicht in der Welt, in der wir leben, sagt IGZ-Forscherin Krause. Mit anderen Worten: Trocken- statt Wassertoilette und Stoffstromtrennung statt Mischkanalisation.

Wer mit der Nase direkt rangeht, riecht: Humus. Erdig, waldig, irgendwie gesund.

Kaum ein Ort kann Krauses Forderung symbolhafter untermauern als Deutschlands erste Pilotanlage für die Aufbereitung menschlicher Fäkalien. Krause steht unweit von Berlin auf dem Gelände der Kreiswerke Barnim am Stadtrand von Eberswalde, unmittelbar vor einer riesigen, inzwischen grasbewachsenen und mit Solarpaneelen bestückten Müllhalde. Das kommt raus, wenn man alles auf einen Haufen wirft, sagt Krause und deutet auf den Hügel. Aus einem solchen Müllberg einzelne Rohstoffe zu extrahieren, ist, wenn überhaupt, nur unter sehr hohem Ressourcenaufwand möglich. Als der Mensch aber begonnen hat, Plastik von Papier, Glas und Restmüll direkt bei der Entsorgung zu trennen, wurde Recycling überhaupt erst möglich.

Neben Krause steht Florian Augustin, studierter Forstwirt und Gründer des Eberswalder Sanitärunternehmens »finizio«. Er will aus dem Geschäft ein Geschäft machen. Der 34-Jährige hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich menschliche Fäkalien aus Komposttoiletten in wenigen Wochen zu hochwertigem und qualitätsgesichertem Dünger veredeln lassen. Dafür werden die Ausscheidungen zunächst mehrere Tage in einem 30 Kubikmeter großen Hygienisierungscontainer – dem »HyCo« – gelagert. Oben eine Lasagne aus Scheiße und Stroh, unten sickert der Urin durch und wird separat aufgefangen.

Eine konstante Belüftung im Container regt Abermillionen Mikroorganismen in den Ausscheidungen und im Stroh an. Deren Aktivität sorgt von ganz allein für Temperaturen bis 75 Grad Celsius. Die ist notwendig, um Krankheitserreger abzutöten. Anschließend folgt die Humifizierung: Das Kot-Stroh-Gemisch wird mit frischem Grünschnitt, Tonerde, Stroh oder Wiesenmahd vermengt und zu langen Haufen, sogenannten Kompostmieten, aufgeschichtet. Diese werden in den anschließenden sechs bis acht Wochen häufig – zu Beginn sogar täglich – gewendet, um den Mieten Sauerstoff zuzuführen. Der ist essenziell für den Humifizierungsprozess.

Kein Gestank, keine Fliegen. Nichts erinnert an menschliche Fäkalien. Wer mit der Nase direkt rangeht, riecht: Humus. Erdig, waldig, irgendwie gesund. Unsere Art der Kompostierung ist in der Branche verpönt, sagt Augustin, denn sie ist betriebswirtschaftlicher Unsinn. Er ist trotzdem überzeugt und sucht noch nach der perfekten Balance zwischen Qualität und Quantität.

Inzwischen werden die Kompostmieten in einem speziellen Schienenregal aufgesetzt und automatisiert gewendet, bis sie zu Humusdünger werden. Hochregal statt Spargelbeet. Stellen Sie sich ein Schaufelrad vor, das der Erde keine Rohstoffe entreißt, sondern fruchtbare Erde zurückgibt, sagt Augustin zur feierlichen Eröffnung der Anlage Ende Oktober 2023. Seine Idee kommt an. Bei den angereisten Vertreterinnen und Vertretern benachbarter Kommunen und der Wissenschaft sowieso, aber auch bei der Landes- und Bundespolitik, die extra für diesen Termin nach Eberswalde kam. Mit dem Humusregal werden wir im industriellen Maßstab Ton-Humus-Komplexe produzieren, die CO2 aus der Atmosphäre im Boden speichern und gleichzeitig dessen Wasser- und Nährstoffspeicherfähigkeit wiederherstellen, sagt Augustin.

Studien und Forschungsprojekte aus Deutschland, Schweden und der Schweiz wiesen nach, wie wirksam, umweltverträglich und ressourcenschonend Recyclingdünger aus menschlichen Fäkalien sein kann. Dennoch gibt es ein gewaltiges Problem: Noch ist der Dünger, den Augustin herstellt, illegal. Die gut 315 Tonnen Frischmasse, die er bislang produziert hat, dürfen derzeit nur im Rahmen forschungsbedingter und befristeter Sondergenehmigungen verwendet werden. Der Grund: Weder die Düngemittel- noch die Bioabfallverordnung kennt sauber getrennt und trocken gesammelte menschliche Fäkalien. So etwas existiert in unseren Gesetzen nicht. Doch niemand weiß, woran die Genehmigungen scheitern. Ist es die Angst vor Krankheiten und Seuchen? Die behäbige Innovationsstruktur? Die mächtige, milliardenschwere Abwasserlobby? Vermutlich ist es wie in einer Kläranlage: eine undefinierbare Mischung aus allem.

Verstehen kann Augustin das nicht. Durch die Hitzebehandlung wird der Recyclingdünger gesundheitlich ungefährlich: Unsere Labortests haben bewiesen, dass das Produkt seuchenhygienisch vollkommen unbedenklich ist. Wir finden kaum Arzneimittelrückstände, und die Schadstoffwerte liegen unter denen von Klärschlamm. Und der darf aktuell ja noch auf die Felder gebracht werden, sagt Augustin. Mehrjährige Labor- und Feldversuche des zirkulier-BAR-Teams haben außerdem gezeigt, dass der Recyclingdünger nicht nur Pflanzenwachstum und Humusgehalt im Boden fördert, er erzielt obendrein vergleichbare Erträge wie die synthetische Mineraldüngung, sagt Krause. Am besten sei die Düngewirkung, wenn die zunächst getrennt erfassten und behandelten Fäkalien auf dem Feld als Humusdünger und Recyclingmineraldünger aus Urin wieder kombiniert werden.

Dass Inhalte aus Komposttoiletten endlich aus dem rechtlichen Graubereich herauskommen, dürfte nicht nur Augustin, Krause und Boness am Herzen liegen. Immer mehr deutsche Kommunen stellen öffentliche Trockentoiletten auf. Berlin, Bonn, Leipzig. Wo sollen sie hin mit den Fäkalien, wenn das Endprodukt der Weiterverarbeitung illegal ist? In der Schweiz, in Schweden und – Ende Juli – auch in Frankreich wurde diese Hürde bereits genommen. Seit 2018 darf in der Eidgenossenschaft der weltweit erste zugelassene Urindünger auch für die Nahrungsmittelproduktion eingesetzt werden – und kann so zumindest mancherorts synthetische Mineraldünger ersetzen. Ende Juli erhielt »Aurin« auch die Marktzulassung von der französischen Agentur für Lebensmittel, Umwelt und Arbeitsschutz. Aurin ist der erste Mineraldünger aus Urin, der von den französischen Behörden ohne Nutzungsbeschränkungen zertifiziert wurde.

Die Genehmigung allein ist jedoch nur ein Baustein. Mindestens genauso wichtig sei ein gesellschaftliches Umdenken, sagt IGZ-Forscherin Ariane Krause. Menschliche Ausscheidungen und was mit ihnen passiert, dürfe nicht länger ein Tabuthema sein. Flush and forget, das sei vielleicht vor 150 Jahren notwendig gewesen, um mit dem rasanten Städtewachstum in Europa klarzukommen. Um die Gewässer zu schützen, sind inzwischen aber immer größere Kläranlagen nötig, die schon jetzt an ihre Leistungsgrenzen stoßen, insbesondere unter Berücksichtigung aktueller Umweltstandards. Das derzeit vorherrschende Grundprinzip sei doch längst überholt: Wir nutzen extrem viel Wasser, verdünnen die Fäkalien, schwemmen sie weg und holen uns einen Bruchteil der Nährstoffe aus diesem Gemisch aufwendig zurück. Oder aber sie werden nur im Klärschlamm gebunden und verbrannt statt wiederverwertet.

In Eberswalde wollen Ariane Krause, Jan-Ole Boness und Florian Augustin nun die Politik stärker in die Pflicht nehmen. Sie fordern so schnell wie möglich eine Reform der Bioabfall- und Düngemittelverordnungen: Die Toiletten, die Verwertungstechnologien, die Akzeptanz in der Landwirtschaft – alles ist da. Nun müssen Recyclingdünger aus wasserlos gesammelten menschlichen Ausscheidungen in das Abfallrecht und in die Düngemittelverordnung aufgenommen werden, sagt Krause. Außerdem fordert sie die Genehmigung und die finanzielle Förderung von Reallaboren, um Innovationen voranzutreiben, statt sie in der Bürokratie zu ersticken. Solange diese Änderungen nicht verbindlich aufgenommen werden, komme dies einem Bestandschutz der Fossilindustrie gleich, so Krause.

Auf der Eröffnungsfeier in Anwesenheit der Bundesregierung zeigen sich die drei indes optimistisch, dass sich bald etwas tut – und die gesamtgesellschaftliche Transformation vom energiezehrenden Klärwerk zum ressourcenaufbauenden Humuswerk beginnt.

Niemand weiß, woran die Genehmigungen scheitern.

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