LEIBNIZ Frau Kübler, Sie erforschen Märkte, auf denen wir alle schon mal gehandelt haben, obwohl sich die wenigsten Menschen bewusst sind, dass es diese Märkte überhaupt gibt. Die Rede ist von sogenannten Matching-Märkten. Was versteht man darunter?
DOROTHEA KÜBLER Bei Matching-Märkten geht es darum, dass Marktteilnehmer so einander zugeordnet werden, dass die Bedürfnisse und Wünsche beider Seiten möglichst gut erfüllt werden. Es sollen also passende Zuordnungen oder Partner gefunden werden. Dabei ist zentral, dass Preise für die Zuordnung keine Rolle spielen.
Wie bei einer Dating-App?
Genau, Dating ist auch ein Matching-Markt. Nutzerinnen und Nutzer der App stehen hier potenziellen Partnerinnen und Partnern gegenüber, die sich gegenseitig nach bestimmten Kriterien und Präferenzen auswählen. Ziel des Algorithmus solcher Dating-Apps sollte es sein, möglichst viele erfolgreiche Matches zu erzielen, also die »richtigen« zwei Personen einander vorzuschlagen. Dass gewinnorientierte Dating-Apps manchmal andere Ziele verfolgen, etwa die NutzerInnen möglichst lange auf der App zu halten, steht auf einem anderen Blatt.
Matching-Märkte finden wir überall, wo knappe Güter sinnvoll und passgenau verteilt werden sollen, ohne dass Geld entscheidet.
Dorothea Kübler
Woran erkennt man denn, dass sich die »richtigen« Personen gefunden haben?
In der Wissenschaft sprechen wir von einer »stabilen Zuordnung«, wenn zum Beispiel zwei Menschen auf Partnersuche so zusammengebracht werden, dass keiner von beiden einen Tausch bevorzugen würde und der gefundene Partner oder die gefundene Partnerin damit auch zufriedener wäre als mit dem bisherigen Partner beziehungsweise Partnerin. Beide Seiten haben dann also das bestmögliche Ergebnis erzielt.
Alvin Roth und Lloyd Shapley wurden 2012 für ihre Forschung zu Matching-Märkten sogar mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Weil sie herausgefunden haben, wie man Singles am besten verkuppelt?
Das ist nur ein Anwendungsbeispiel. Alvin Roth hat die theoretischen Erkenntnisse zu Matching-Märkten zunächst auf die Verteilung von Medizinstudenten auf Ausbildungsstellen an Krankenhäusern in den USA angewendet. Die Verteilung wurde schon lange mit Hilfe eines zentralisierten Mechanismus organisiert, hatte aber mit Problemen zu kämpfen. Roth hat das sogenannte National Resident Matching Program untersucht und verbessert. Hinter solchen Vergabeverfahren stecken Algorithmen, wie der von Lloyd Shapley und David Gale entwickelte Deferred Acceptance Algorithmus. In der Praxis finden wir Matching-Märkte überall dort, wo es darum geht, knappe Güter möglichst sinnvoll und passgenau zu verteilen, ohne dass Geld entscheiden soll, wer was bekommt. Die Verteilung von Kita-Plätzen, Schulplätzen, Studienplätzen, Arbeitsplätzen, Terminen beim Bürgeramt und sogar Spenderorganen sind Matching-Märkte.
Wie sind Sie zu diesem Forschungsthema gekommen?
Während meiner Zeit als Post Doc war ich in Harvard und habe dort eher durch Zufall einen Doktoranden-Kurs bei Al Roth zu Matching-Märkten belegt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nie etwas davon gehört. Solche Märkte und Vergabeverfahren funktionieren nicht von selbst, sondern müssen gestaltet werden. Sie haben Einfluss auf einige unserer wichtigsten Lebensbereiche. Das hat mich interessiert. Als ich um die Jahrtausendwende nach Deutschland zurückkam, gab es hier noch kaum Forschung zu diesem Thema. In unserem ersten Forschungsprojekt haben wir dann das Auswahlverfahren der damaligen Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) untersucht.
Das Beispiel Studienplatzvergabe zeigt, dass es bei Matching-Märkten um viel gehen kann. Die Wahl der Universität ist eine Entscheidung für viele Jahre und bedeutet häufig auch einen Wohnortwechsel. Liegt es da nicht nahe, beim Auswahlverfahren zu schummeln und nicht ehrlich zu antworten, sondern so, wie es vermutlich erwünscht ist?
Schummeln würde ich das nicht nennen. Bei vielen Zuteilungsmechanismen müssen die BewerberInnen sich strategisch verhalten, damit sie keine Nachteile haben.
Es gibt Auswahlverfahren, die nur funktionieren, wenn die Bewerberinnen und Bewerber tricksen?
Tatsächlich sind viele Auswahlverfahren so konstruiert, dass sie strategische Bewerbungen erforderlich machen. Häufig gehen Vergabeverfahren für Plätze an Schulen so vor, dass es sehr riskant ist, die wahre Lieblingsschule auf den ersten Platz der Wunschliste zu setzen. Denn wenn man dort keinen Platz bekommt, sind auch die Chancen gering, bei der Schule auf Rang zwei oder drei einen Platz zu bekommen, da diese Schulen häufig schon nach der ersten Runde, also nach der Erfüllung der Erstwünsche anderer BewerberInnen, voll sind. Häufig ist es bei solchen Verfahren sinnvoll, eine Schule als Erstwunsch anzugeben, bei der man eine realistische Chance hat. Aber das Problem ist, dass man das oft nicht genau weiß, weil es ja davon abhängt, wie viele Schülerinnen sich in diesem Jahr an der Schule bewerben.
Tricksen führt also auch bei falsch konstruierten Matching-Märkten nicht unbedingt zum gewünschten Ergebnis?
Genau. Es kann ja sein, dass man doch einen Platz an der Wunschschule bekommen hätte, weil es weniger BewerberInnen gab als in den Vorjahren. Schlecht konzipierte Auswahlverfahren haben auch gesellschaftliche Auswirkungen: Sie können die soziale Ungleichheit verstärken.
Wie das?
Damit Bewerber strategisch handeln können, müssen sie verstehen, wie das Vergabeverfahren funktioniert. Und sie brauchen viele Informationen, etwa darüber, wie stark nachgefragt eine Schule in den vergangenen Jahren war. Wer nicht so gut vernetzt ist, sich wegen Sprachbarrieren oder einem geringeren Bildungsniveau nur schwer Informationen beschaffen kann, ist benachteiligt. Möglicherweise wird er in dem Vergabeverfahren ehrliche Angaben über die Wunschschulen machen und deshalb einen Nachteil haben.
Wer profitiert, wenn Vergabeverfahren gut funktionieren?
Gute Vergabeverfahren tragen zu Chancengleichheit aber auch zu mehr Effizienz bei. In Deutschland können aus gutem Grund begehrte Schulplätze oder Spenderorgane nicht gekauft werden. Sie werden nach anderen Kriterien vergeben, wie etwa nach Leistung oder nach Bedürftigkeit. Das sorgt für gesellschaftliche Teilhabe, weil Menschen nicht aufgrund ihrer finanziellen Situation ausgeschlossen werden. Gleichzeitig sind Schulplätze und Spenderorgane enorm wichtige Güter. Ihre Vergabe muss deshalb sehr sorgfältig durchgeführt werden.
Was müsste sich ändern, damit alle Berliner Schulen die richtigen Schüler finden und alle Berliner Schüler die richtige Schule?
Matching-Märkte funktionieren gut, wenn die Teilnehmenden sich darauf verlassen können, dass sich ehrliche Wunschlisten auszahlen. Um Vertrauen zu schaffen, ist es notwendig, Mechanismen zu wählen, bei denen es sich nicht lohnt, die Wunschlisten zu manipulieren. Und das muss natürlich auch transparent gemacht werden. Das ist leider beim bestehenden Berliner Vergabeverfahren für Plätze an Sekundarschulen nicht der Fall. Ein Positivbeispiel ist dagegen die Stiftung für Hochschulzulassung, die frühere ZVS. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei diesem Verfahren nur ganz geringe Spielräume für strategisches Verhalten existieren, wenn überhaupt, und dass es häufig zu stabilen und für beide Seiten guten Zuordnungen führt.