Kaum ist der Frost vorbei, schniefen, husten und kränkeln wieder viele Menschen und zwar nicht wegen der Grippe, sondern wegen Heuschnupfen. Alles, was wächst, blüht und gedeiht, stellt für einige Menschen eine Gefahr dar. Sie belasten nicht nur die Gesundheit, sondern auch das soziale Leben. Werden Allergien immer schlimmer?
LEIBNIZ Frau Jappe, das Jahr ist noch jung und trotzdem scheinen schon jetzt erstaunlich viele Probleme mit Allergien zu haben.
UTA JAPPE Ja, der Eindruck ist richtig. Immer mehr Menschen entwickeln Allergien und das macht sich immer früher im Jahr bemerkbar. Weil wir oft sehr milde Winter haben, kann die Pollen-Saison tatsächlich schon im Dezember starten. Außerdem gibt es tatsächlich eine starke Zunahme bei den Allergien. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lag der Zuwachs bei nur einem Prozent der Bevölkerung, doch zum Ende des 20. Jahrhunderts war die Zahl der allergischen Menschen bereits um 10 bis 20 Prozent gestiegen.
Woher kommt dieser Anstieg an Allergien?
Es sind verschiedene Faktoren beteiligt. Pollenallergien nehmen beispielsweise zu, weil sich durch den Klimawandel die Vegetationsperioden verlängern, es blüht früher und länger. Zudem bringen Wetterphänomene wie Stürme Pflanzenpollen aus anderen Regionen zu uns. Zum Teil ist es aber auch so, dass sich Pflanzen bei uns durch den Temperaturanstieg ansiedeln, die eher aus dem südlichen Gefilde stammen. Aber auch Umweltverschmutzung und Schadstoffe in der Luft spielen natürlich eine große Rolle. Wenn Kinder an Autobahnen aufwachsen, dann haben sie ein höheres Risiko, Allergien und Asthma zu entwickeln.
Früher, zum Beispiel zu Zeiten der Industrialisierung, war die Luftverschmutzung teils noch schlimmer. Im Nachhinein bildet man sich ein, dass die Menschen nicht so oft allergisch reagiert haben. Wie kommt das?
Ein Großteil der Allergien ist vererbbar. Das sind die sogenannten atopischen Dispositionen. Sie machen etwa 70 Prozent aller Allergien aus, während die anderen 30 Prozent durch Umweltfaktoren entstehen. Zur Atopie gehören Erkrankungen wie Heuschnupfen, allergisches Asthma, aber auch zum Beispiel Neurodermitis. Wenn beide Eltern von einer dieser Erkrankungen betroffen sind, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auch die Kinder betroffen sein werden.
Was löst eine Allergie aus?
Ohne Allergen keine Allergie. Als Allergen bezeichnen wir bestimmte Proteine, die in Allergenquellen vorkommen. Zu diesen Quellen zählen zum Beispiel Hausstaubmilben, Baumpollen, Gräserpollen, Insektengifte oder auch Nahrungsmittel wie die Erdnuss. Von letzterer kennen wir bereits 17 einzelne Eiweiße. Dieses Wissen hilft uns, eine Erdnussallergie zu diagnostizieren.

Spielt es eine Rolle, wo mir dieses eine fiese Protein begegnet, auf das ich allergisch reagiere? Ob es also zum Beispiel in einer Erdnuss oder Polle lauert?
Bestimmte allergene Proteine in Pollen haben sogenannte Homologe. Das sind strukturverwandte Proteine in Nahrungsmitteln, die dafür sorgen, dass Patienten bei Pollenallergie auch auf diese Nahrungsmittel reagieren können. Dann sprechen wir von einer Kreuzreaktion. Eine Kreuzreaktion ist die Reaktion von Antikörpern im Menschen auf Proteine oder Kohlenhydratstrukturen, die ähnlich oder sogar identisch in verschiedenen Allergenquellen sind. Das beste Beispiel ist die Allergie von Birkenpollenallergikern auf Kern- und Steinobst. Sie reagieren auf den Genuss von Äpfeln mit einer Reaktion an der Mundschleimhaut. Das ist die klassische Symptomatik einer Kreuzreaktion.
Wenn man das Eiweiß in der Erdnuss genau identifizieren kann, auf das Menschen allergisch reagieren, könnte man dann nicht einfach die Erdnusspflanze gentechnisch so verändern, dass das Eiweiß nicht mitwächst?
Die Eiweiße, über die wir sprechen, betrachten wir unter dem Aspekt ihrer Allergenität. Für uns wäre das natürlich eine einfache Lösung, aber für die Pflanze sind das alles Proteine, die sie für ihr Wachstum und auch für ihren eigenen Schutz brauchen. So sind einige dieser Proteine auch durchaus im Sinne der Pflanze antimikrobiell wirksam. Bei anderen Allergenquellen hat es aber tatsächlich Versuche dieser Art gegeben, zum Beispiel bei Soja oder Senf. Das Ergebnis ist dann aber natürlich ein gentechnisch manipuliertes Nahrungsmittel, was nicht alle Patienten wertschätzen. Bei der Erdnuss gibt es aber noch einen weiteren Aspekt: Sie enthält, wie viele andere Pflanzen auch, mehrere Allergenfamilien. Das heißt, wenn Sie ein Allergen ausknocken, gibt es immer noch andere Allergene, die bei den Patienten schwere Reaktionen hervorrufen können. Also wird auch die Genschere, wie man das ja gern bezeichnet, das Problem nicht lösen.
Was ist der Unterschied zwischen einer allergischen Reaktion und einer Unverträglichkeit?
Tatsächlich ist die Allergie erst einmal eine Unterform der Unverträglichkeit. Dann kommt es bei der Unterscheidung darauf an, auf welcher Ebene im Körper die Symptomatik auftritt. Entsteht sie aufgrund immunologischer Prozesse, also zum Beispiel durch Antikörper, dann haben wir es mit einer Allergie zu tun. Liegt die Ursache bei einem Defekt oder Mangel der Enzyme, dann entsteht so etwas wie eine Laktoseintoleranz, also eine Unverträglichkeit.
Unterscheiden sich die Therapien gegen das eine und das andere fundamental voneinander?
Ja, durchaus. Zum einen können wir bei der Laktoseintoleranz beispielsweise das fehlende Enzym substituieren. Aber das geht nicht bei jeder Unverträglichkeit. Dann geht es darum, das Nahrungsmittel zu meiden. Das ist übrigens auch die Devise bei Allergien. Wir versuchen immer, das Allergen zu meiden. Bei Nahrungsmittelallergien geht das natürlich besser als bei Inhalationsallergien während der Pollensaison.


Ich dachte immer, man müsste die Allergie einfach trainieren und dann schaffe ich es schon, damit irgendwann zurecht zu kommen.
In einigen Fällen ist das tatsächlich eine Therapiemöglichkeit: Der Organismus wird mit steigenden Dosen der Allergenquelle konfrontiert und auf diese Weise tolerant gemacht. Das macht man, wenn man davon ausgeht, dass man einem Allergen nicht aus dem Weg gehen kann. Das ist zum Beispiel sehr wirksam bei Insektengiftallergien. Wichtig ist, dass man bei Patienten mit Inhalationsallergie möglichst früh hyposensibilisiert.
Warum ist das so?
Der Heuschnupfen, der vielleicht zunächst erstmal lästig ist, kann sich in ein allergisches Asthma umwandeln. Wir sprechen hier von dem sogenannten Etagenwechsel. Diesen gilt es unbedingt zu verhindern. Wir haben ja bei den Inhalationsallergien nicht nur die Pollen, sondern zum Beispiel auch die Haustaubmilben, denen wir nur sehr schwer ausweichen können. Und es spricht vieles dafür, dass die Allergie gegen Haustaubmilben häufiger mit diesem Etagenwechsel, also mit der Entwicklung von Asthma assoziiert ist, als das bei Pollenallergien der Fall ist.
Warum gibt es denn noch keine Pille, die ich schlucken kann und dann macht mir das alles weniger aus?
Ich denke, solch eine Pille wünschen sich viele, aber so weit sind wir noch nicht. Das hat auch damit zu tut, dass die individuelle Situation einzelner Patienten sich stark unterscheidet. Deswegen ist die Diagnostik so wichtig. Ich bin ja auch Ärztin, und im Labor haben wir die einzelnen Allergene – zum Beispiel der Erdnuss oder der Hausstaubmilben – vorrätig, um sie diagnostisch einzusetzen. Es geht dabei darum, die individuellen Allergenprofile der jeweiligen Patienten festzustellen. Wir sind dabei, die Diagnostik immer weiter zu verfeinern, damit die Patienten von der für sie genau richtigen Therapie profitieren.
Ist es immer noch so, dass allergisch reagierende Menschen im Notfall Adrenalin spritzen sollten?
Ja, Menschen, die wirklich schwere Reaktionen auf eine Allergenquelle haben, sollten immer ein Notfallset mit sich führen. Sie sollten vor allen Dingen exakt darüber aufgeklärt werden, wie es verwendet wird. Das ist ganz wichtig und passiert leider nicht immer.
TONSPUR WISSEN
Uta Jappe ist Leiterin der Forschungsgruppe Klinische und Molekulare Allergologie
am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum und Oberärztin und Leiterin der Interdisziplinären Allergie-Ambulanz der Medizinischen Klinik III am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck und Universität zu Lübeck. Das Gespräch können Sie in voller Länge im Podcast Tonspur Wissen
von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für leibniz
haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.