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Im Epilog verkehren wir den Schwerpunkt »Hoffnung« in sein Gegenteil. Weitere Epiloge finden Sie hier.

Sehnsucht nach einem frischen Wind, der das Alte wegbläst und Raum für Neues schafft – das war die Gefühlslage, in der die Politik von Perestroika und Glasnost, von Umgestaltung und Offenheit, ihre Dynamik entfalten konnte. Morgen wird sich der Wind drehen sang die gleichnamige Protagonistin schon 1984 in der sowjetischen Interpretation von Mary Poppins. Er wird freundlich und sanft sein.

Die Hoffnung auf Wandel war so stark wie unbestimmt. Frei sein wie im Kapitalismus – sich sicher fühlen wie im Sozialismus – so ließen sich die idealistischen Vorstellungen der späten 1980er Jahre zusammenfassen. Michail Gorbatschow, der letzte Generalsekretär der Sowjetunion, verstärkte diese Erwartungen. Mit Reformen und vorsichtiger Privatisierung wollte er die Wirtschaft in Gang bringen. Öffentliche Debatten sollten das gesellschaftliche Engagement für den Sozialismus stärken.

Die politischen Folgen sind bekannt: 1991 gab es die Sowjetunion nicht mehr. Eine Zeit der Umbrüche begann. Wie sie im Nachgang betrachtet wurde und wird, bestimmt noch heute die Politik. Während in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken der schwere, aber richtige Weg zu staatlicher Souveränität und persönlicher Freiheit betont wird, nutzt man in Russland das Narrativ von Chaos und Niedergang, um die autokratische Herrschaft Putins zu legitimieren – als angebliche Voraussetzung für Sicherheit. Im Ergebnis sehen wir das Gegenteil: Unfreiheit in Russland, Krieg und Tod in der Ukraine, den Verlust jeglicher Hoffnung auf ein einiges Europa.

Musste es zwangsläufig dazu kommen? Meine Kolleginnen und ich ergründen es in unserem ERC-Projekt Perestroika from Below. Unser Fokus liegt auf den Menschen, auch fernab der Zentren der Macht. Was bedeuteten ihnen die Reformen und Umbrüche? Wie passten sie sich an die neuen Realitäten an? Viele nutzten die Freiheit, um gegen Missstände auf die Straße zu gehen. Andere fühlten sich überwältigt und machtlos angesichts der rasenden Veränderungen und neuer Alltagsprobleme. Warum konnte Hoffnungslosigkeit an die Stelle von Hoffnung treten? Die Geschichte war offen und sie bleibt es in vielen Regionen, die einmal zum sowjetischen Machtbereich gehörten.

Die Hoffnung stirbt erst, wenn denen geglaubt wird, die es behaupten. Umso wichtiger ist deshalb, daran zu erinnern, dass der Wind von Zeit zu Zeit dreht und die Segel neu gesetzt werden können.

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