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Die Leibniz-Gemeinschaft wird 30 Jahre alt, doch zum Jubiläum blicken wir nicht zurück, sondern  befragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen. Was für ein Lebensgefühl haben sie, welche Erfahrungen machen sie als junge Forschende – und wie könnten ihre Erkenntnisse die Welt in 30 Jahren ein Stück verbessert haben? In Folge 3 antwortet die Biotechnologin Lisa Budzinski. Sie hat am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum promoviert.

Weitere Beiträge aus der Rubrik »30 um die 30« gibt es hier.

LEIBNIZ Frau Budzinski, wie würden Sie Ihr Forschungsthema jemandem auf einer Party erklären?

LISA BUDZINSKI Oft komme ich gar nicht so schnell dazu, meine eigentliche Forschung zu erklären, denn beim Thema »Darmbakterien« horchen viele sofort auf. Fast alle haben schon mal etwas darüber gehört oder gelesen und wollen nun einen Rat von mir, wie sie ihre Darmbakterien optimieren können. Ich muss dann immer etwas zurückrudern und versuche, über die Analogie »Darmbakterien sind wie ein Sportteam im Darm« zu erklären, was wir wirklich über Darmbakterien wissen. Und dass es am besten ist, dieses Team durch gute Bedingungen und vielfältiges Training fitzuhalten.

Und was würden Sie zu einem Kollegen oder einer Kollegin sagen?

Ich glaube, eine Zeit lang haben sich meine Kolleg*innen eher um Gespräche mit mir gedrückt, da sie Angst hatten, dass ich sie um eine Stuhlprobe zur Analyse bitten könnte … Meine Methode basiert auf Durchflusszytometrie, das heißt, wir vermessen Zellen, während sie einzeln an einem Laser vorbeifließen, um mehr über ihre Eigenschaften zu erfahren. Da viele meiner Kolleg*innen auch mit Durchflusszytometrie arbeiten, versuche ich meistens, die Besonderheiten meiner Arbeit darzulegen: Bakterien sind nicht so einfach zu erkennen, anders als etwa Immunzellen. Sie sind sehr variabel und individuell und an den Lebensstil jedes Menschen angepasst. Sie verändern ihre zellulären Eigenschaften permanent, und diese Dynamik und Vielfalt kann ich mit meiner Methode der multi-parametrischen Mikrobiota-Durchflusszytometrie darstellen. Hierbei entstehen ganz individuelle Muster für die Darmflora jedes einzelnen Menschen und seinen jeweiligen Gesundheitszustand – und so begeistere ich meine Kolleg*innen dann doch noch regelmäßig. Was ich spannend finde: Die Visionen rund um das Mikrobiom sind so vielversprechend, dass selbst Wissenschaftler*innen zu großen Erwartungen neigen – und dann vom realen Stand der Forschung etwas enttäuscht sind. Bisher heilen wir keine Krankheiten mit Darmbakterien. Wir wissen auch immer noch nicht, ob sie schuld an Krankheiten sind oder ob es eher eine Folge dieser Krankheiten ist, wenn sie sich verändern. Es bleibt also viel zu tun – und besonders viel zu erklären!

Was war bisher der schönste Moment in Ihrem Leben als Forscherin?

Ich erinnere mich noch, wie ich das erste Mal Darmbakterien verschiedener Personen mit dem Durchflusszytometer angeschaut habe und absolut fasziniert war von der Vielfalt und Individualität der aufgenommenen Muster. Ich bin damals zu meinem Gruppenleiter ins Büro gestürmt (relativ typisch für mich) und habe gesagt: »Wow, das sieht so cool aus!«. Spätestens an diesem Punkt war ich Feuer und Flamme für mein Forschungsthema.

Foto SCHWIETE LABOR FÜR MIKROBIOTA UND ENTZÜNDUNGEN, DRFZ BERLIN

Wenn es losgeht mit dem Messen, vergesse ich alles um mich herum.

LISA BUDZINSKI

Wie könnte Ihre Forschung die Welt in 30 Jahren ein Stückchen verbessert haben? Sie dürfen träumen.

Ich hoffe, mit meiner Forschung dazu beizutragen, dass wir die Gesundheit von Menschen mithilfe von Darmbakterien beeinflussen können. Das kann bedeuten, mit ihrer Hilfe Vorhersagen zu treffen, die Therapieentscheidungen verbessern. Noch viel cooler wäre es, wenn wir auch verstehen könnten, wie wir Darmbakterien als einen positiven Faktor für die Gesundheit einsetzen. Dabei denke ich weniger daran, die Bakterien auszutauschen, sondern ihre Eigenschaften so zu beeinflussen, dass jeder seine individuelle Darmflora behalten kann.

In welcher Epoche wären Sie gerne Wissenschaftlerin gewesen? Oder ist heute die beste Zeit?

Manchmal finde ich den Gedanken spannend, in einer Zeit Wissenschaftlerin gewesen zu sein, wo man noch grundlegende Dinge wie Genetik oder Anatomie aufklären und damit ein komplettes Themenfeld gestalten konnte. Jetzt kommt mir manchmal alles sehr kleinteilig vor. Aber als Biotechnologin begeistert es mich auch, grundlegende Erkenntnisse in Anwendungen und neue Ansätze zu übertragen. Daher bin ich wohl doch zur richtigen Zeit im richtigen Forschungsbereich gelandet. Auf jeden Fall habe ich auch heute das Gefühl, in diesem Bereich noch etwas gestalten zu können – und das motiviert mich sehr. 

»Ein Leben für die Wissenschaft« – könnte dies einst der Untertitel für Ihre Biografie sein? Wenn nicht: Welchen Untertitel fänden Sie passend?

Wahrscheinlich passt »Über den Tellerrand der Wissenschaft hinaus« besser zu mir. Meine wissenschaftliche Neugier und Denkweise ist zentral bei vielen Projekten, ja. Aber es gibt halt auch vieles, was mich außerhalb der Wissenschaft interessiert und bewegt.

Wenn Sie sich mit Menschen Ihres Alters treffen, die nicht in der Wissenschaft arbeiten: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?

Ich sehe nicht allzu viele Unterschiede, außer vielleicht im Umgang mit Wissen: Für Wissenschaftler*innen scheint es paradoxerweise einfacher zu sein, etwas nicht zu wissen und sich danach zu erkundigen. Ansonsten sind Wissenschaftler*innen, egal wie alt sie sind, oft mehr mit ihrer Arbeit verbunden und identifizieren sich stärker damit als andere.

Wenn Sie sich mit älteren Forschenden Ihrer Disziplin treffen: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?

Vielleicht, dass ich eine andere Perspektive auf Darmbakterien habe als viele Forschende in dem Feld – wobei das weitgehend altersunabhängig ist. Ich mag es, neue Ansätze auszuprobieren und hinterfrage gern den Status quo. Einige etablierte Forschende finden das vielleicht nervig oder unangebracht, aber ich komme aus einem Forschungsumfeld, wo man direkt und offen seine Gedanken oder Kritik teilt. Mir ist das sehr wichtig. Für mich sind Darmbakterien nicht einfach nur eine DNA-Sequenz, ein Name und eine zugeordnete Funktion. Sie sind ein komplexes und dynamisches Ökosystem, das wir noch nicht ausreichend charakterisiert haben.

Welche Eigenschaft halten Sie für die wichtigste, um Karriere in der Wissenschaft zu machen?

Flexibilität. In der Wissenschaft gibt es viele Hürden, sowohl, was die Forschungsarbeit angeht als auch die Strukturen. Das kann schon sehr frustrierend sein, vor allem, wenn man es nicht selbst in der Hand hat. Mir hat es geholfen, mich nicht zu sehr festzufahren, immer mal meine Perspektive zu wechseln und Dinge öfter so zu nehmen, wie sie kommen.

Wie werden Sie als Wissenschaflerin in der Gesellschaft wahrgenommen?

Ganz verschieden. Manchmal wird mir beinahe unendliche Kompetenz zugeschrieben, dann bin ich wieder die Nischen-Nerdin. Manche finden es cool, andere langweilig oder sogar abgehoben. Es hängt sehr davon ab, in welchem Kreis man sich befindet.

Und wie würden Sie gerne wahrgenommen werden?

Als interessierte Person. Ich liebe es, zu diskutieren und Menschen kennenzulernen, ihre Ansichten und Ideen zu verstehen. Ich bin neugierig und erforsche sozusagen ständig auch mein Umfeld.

Ein Stillleben auf Ihrem Schreibtisch?

Bitte ergänzen Sie die folgenden Sätze. Sie können realistische Wünsche äußern oder Ihre Fantasie spielen lassen. Satz Nummer 1: Meine Arbeit wäre so viel einfacher, wenn

... die Strukturen in der Wissenschaft keine beständigen Unsicherheiten erzeugen würden, zum Beispiel, ob man schnell genug ausreichend Publikationen erreicht. Das erzeugt unnötigen Leistungsdruck.

Davon hätte ich gern mehr:

Strukturelle Sicherheit, offene Kommunikation und Kooperation.

Wenn ich etwas sofort abstellen könnte, wäre das ...

... die geringe Wertschätzung von Wissenschaftler*innen aller Stufen als Arbeitskräfte. Es werden Millionen in Technologien investiert, aber keine Technischen Assistent*innen angestellt, die diese Geräte dann bedienen und nutzen. PhD-Kandidat*innen werden nicht voll bezahlt und sie bekommen wenig Zukunftsperspektiven. Technologie braucht auch Ideen und Anwender*innen.

Jede/r sollte wissen, dass ...

... Wissenschaft auch harte Arbeit ist und viele engagierte Menschen braucht, um zu funktionieren – gerade deshalb sollten Strukturen verändert und Diskriminierungen konsequenter abgeschafft werden.

Um das ein für alle Mal richtig zu stellen:

Wissenschaft ist ein Prozess und Wissen immer im Wandel!

Was ist Ihre größte Unsicherheit, bezogen auf Ihre Karriere?

Ich kann mir nie sicher sein, ob meine Arbeit, meine Ideen und meine finanzielle Absicherung ausreichen werden, um eine wissenschaftliche Karriere im klassischen Sinn zu machen. So sehr ich mich selbst immer daran erinnere, flexibel zu bleiben und zu versuchen, meine Zukunft nach meinen Möglichkeiten zu gestalten – manchmal wünschte ich, es gäbe etwas mehr Sicherheit, vor allem finanziell.

Wie schaffen Sie es, trotzdem gelassen zu bleiben?

Ich habe ein tolles, offenes Umfeld und Netzwerk in der Forschung, aber auch außerhalb. Das hilft mir, schwierige Phasen und Entscheidungen besser einzuordnen. Außerdem habe ich in der (Wissenschafts-) Kommunikation eine weitere große Leidenschaft entdeckt und mir damit mehr Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen. Ich liebe die Wissenschaft, aber eben nicht nur und nicht um jeden Preis.

Ich liebe die Wissenschaft – aber nicht nur und nicht um jeden Preis.

Foto MARKUS MIELEK

Träumen Sie manchmal von der Arbeit? Wenn ja: Sind es angenehme Träume?

Zu Beginn eines neuen Projekts träume ich oft vom Labor und davon, dass Proben verloren gehen. Aber das legt sich mit der Zeit. Manchmal hält mich aber auch die Arbeit vom Träumen oder sogar ganz vom Schlafen ab. Dann versuche ich, Distanz zu meinen Projekten aufzubauen, was nicht immer gelingt.

Ihr liebster Arbeitsplatz?

Ich mag es sehr, im Labor am Durchflusszytometer zu stehen, aber am liebsten ist mir mein Schreibplatz am Fenster. Da wuseln immer Kolleg*innen herum, man kann kurz oder lang plauschen, Ideen und Frust austauschen. Und ich habe einen tollen Blick auf den Sonnenuntergang am Berliner Hauptbahnhof.

Eine Kritzelei während eines Meetings?

Ein Meeting ohne Snacks und ohne Kaffee – das geht gar nicht.

Nach dem Aufwachen: Wie fängt Ihr Tag gut an?

Mit Sonne und einem Hafermilch-Flat White.

Worauf freuen Sie sich an einem ganz normalen Arbeitstag?

Auf das Team! Es gibt nichts Schöneres, als gemeinsam zu lachen, auch wenn einem vielleicht zuerst gar nicht nach Lachen zumute war. Oder auch etwas zusammen zu erreichen, von dem man erst dachte, man schafft es nicht.

Worauf freuen Sie sich, wenn Ihr Arbeitstag zu Ende geht?

Auf das Durchatmen außerhalb der Labor- und Büroluft. Auf die kleine Gedankenpause auf dem Rad, beim Kochen oder Volleyball.

Ein hilfreicher Snack für zwischendurch?

Eine sehr passende Frage, denn ich belustige meine Kolleg*innen immer mit meinem Snackverhalten. Ein Meeting ohne Snacks und ohne Kaffee – das geht gar nicht. Meistens habe ich Nussmischungen dabei oder Gummitiere. Wenn ich mehr Snack-Support brauche, gibt es auch mal ein Croissant oder einen Donut.

Eine kleine Flucht aus dem (Arbeits)Alltag, die Ihnen hilft, schnell wieder aufzutanken?

In den letzten Jahren gelingt es mir immer besser, die sogenannte Work-Life-Balance zu finden und mich vor allem beim Sport und mit meinen Freund*innen auszugleichen. Ich empfinde aber auch Konferenzen als eine Art Energiequelle, weil es da um den interaktiven und kooperativen Teil der Forschung geht – den mag ich besonders.

Was hilft Ihnen, Ideen zu finden?

Dialog. Gerade wenn man fachfremden Personen etwas erklärt, bekommt man oft unerwarteten Input und selbst eine neue Perspektive auf die eigene Forschung.

Was hilft Ihnen, Ihren Fokus zu behalten?

Ich bin in der glücklichen Position, meine Forschungsarbeit sehr zu mögen. Wenn ich abschweife, dann eher in großen Ideen oder Experimenten. Dann wieder zur »Realität« und zu den kleinen Schritten zurückzukommen, gelingt mir meist durch den Austausch mit meinem Team und meinem Gruppenleiter.

In welchen Momenten vergessen Sie während der Arbeit alles andere um sich herum?

Wenn ich das Durchflusszytometer eingestellt habe und es losgeht mit dem Messen. Oder wenn ich Daten auswerte und Abbildungen erstelle.

LISA BUDZINSKI, 32 Jahre alt, hat in Berlin Biotechnologie studiert und soeben die Promotion zum Thema »Einzelzell-basierte Mikrobiota Signaturen in chronisch entzündlichen Erkrankungen« am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin abgeschlossen. Neben ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin will Budzinski als Science Slammerin und Host einer Wissenschaftssendung im Fernsehen den gesellschaftlichen Umgang mit Wissen verändern und es leichter zugänglich machen.

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