Die Leibniz-Gemeinschaft wird 30 Jahre alt, doch zum Jubiläum blicken wir nicht zurück, sondern befragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen. Was für ein Lebensgefühl haben sie, welche Erfahrungen machen sie als junge Forschende – und wie könnten ihre Erkenntnisse die Welt in 30 Jahren ein Stück verbessert haben? In Folge 6 antwortet Marie Beaupain. Sie promoviert am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund im Bereich Neurowissenschaften.
Frau Beaupain, wie würden Sie Ihr Forschungsthema jemandem auf einer Party erklären?
Ich untersuche, welche Rolle der Botenstoff Dopamin spielt, wenn unser Gehirn sich verändert und anpasst – zum Beispiel, wenn wir etwas Neues lernen oder wenn es eine kognitive Aufgabe bearbeitet.
Und was würden Sie zu einem Kollegen oder einer Kollegin sagen?
Ich erforsche die Rolle von dopaminergen Rezeptoren in der Modulation von Neuroplastizität und in Prozessen der kognitiven Kontrolle im menschlichen Gehirn. Dafür verwende ich Methoden aus dem Bereich der noninvasiven Hirnstimulation und Elektroenzephalographie.
Wie könnte Ihre Forschung die Welt in 30 Jahren ein Stückchen verbessert haben? (Sie dürfen träumen.)
Ich erhoffe mir, dass meine Grundlagenforschung langfristig dazu beiträgt, Erkrankungen gezielter und wirksamer zu behandeln, bei denen das Dopaminsystem aus dem Gleichgewicht geraten ist – wie etwa bei Parkinson, Suchterkrankungen, ADHS oder Schizophrenie. Wenn wir besser verstehen, wie Dopamin im gesunden Gehirn wirkt, können wir auch gezielter untersuchen, welche Mechanismen im erkrankten Gehirn nicht mehr richtig funktionieren. Ein spannendes Ziel in den Neurowissenschaften ist es außerdem, medikamentöse Behandlungen mit Methoden der noninvasiven Hirnstimulation zu kombinieren, um neue, individuellere Therapieansätze zu entwickeln. Ich fände es schön, wenn meine Arbeit in 30 Jahren hier einen vielleicht kleinen, aber spürbaren Unterschied gemacht hat.
In welcher Epoche wären Sie gerne Wissenschaftlerin gewesen? Oder ist heute die beste Zeit?
Ich bin ziemlich froh, in der heutigen Zeit Wissenschaftlerin zu sein – gerade auch als Frau. Im Bereich Neurowissenschaften gibt es mittlerweile zahlreiche coole Möglichkeiten, das Gehirn und seine Prozesse sichtbar zu machen. Ich fand es zum Beispiel sehr faszinierend, das erste Mal einen MRT-Scan meines eigenen Gehirns zu sehen – der hängt nun gerahmt zuhause neben meinem Schreibtisch. Auch die Art und Weise, wie wir Daten erheben, analysieren und mit anderen teilen, hat sich enorm weiterentwickelt. Vor Kurzem habe ich eine alte Doktorarbeit in den Händen gehalten, die auf der Schreibmaschine getippt wurde und handgemalte Abbildungen beinhaltete. Da war ich sehr dankbar für meinen Computer und das Internet. Ich bin auch gespannt, welche weiteren Veränderungen die Wissenschaft durch KI noch durchlaufen wird.
Was war bisher der schönste Moment in Ihrem bisherigen Leben als Forscherin?
Im Februar 2024 bin ich bei einem Science Slam der Deutschen Hirnstiftung in der ausverkauften Volksbühne Berlin vor rund 800 Zuschauenden aufgetreten und habe meine Forschung in zehn Minuten leicht zugänglich und unterhaltsam präsentiert. Die Aufregung vorher war groß, letztendlich hat es mir aber richtig viel Spaß gemacht und ich habe sehr viel für mich mitnehmen können. Auch heute werde ich noch auf das Youtube-Video angesprochen und es haben sich viele schöne Kooperationsmöglichkeiten im Bereich Wissenschaftskommunikation dadurch für mich ergeben. Ich kann es jede*r Forscher*in nur empfehlen, mal an einem solchen Format teilzunehmen, denn man erhält nochmal eine ganz andere Perspektive auf die eigene Forschung. Denn nur, wenn man die Fragestellung und einhergehende Aspekte in aller Tiefe verstanden hat, kann man sie so vereinfachen, dass die Erklärung leicht verständlich und trotzdem noch wissenschaftlich korrekt ist.


»Ein Leben für die Wissenschaft« – könnte dies einst der Untertitel für Ihre Biografie sein? Wenn nicht: Welchen Untertitel fänden Sie passend?
Mir gefällt »Mit Hirn und Herz« besser. Das bringt eher auf den Punkt, was mir in Forschung und Leben wichtig ist: analytisch und reflektiert an Themen herangehen – und mit Empathie und menschlicher Wärme handeln.
Wenn Sie sich mit Menschen Ihres Alters treffen, die nicht in der Wissenschaft arbeiten: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?
Was ich an vielen anderen Berufen bewundere, ist, dass man oft direkt oder kurzfristig das Ergebnis der eigenen Arbeit sieht, zum Beispiel bei handwerklichen oder auch medizinischen Tätigkeiten. In der Promotion beschäftigt man sich jahrelang mit einer Fragestellung, und die Antworten sind nicht immer sofort sichtbar. Manchmal wünsche ich mir kurzfristigere Outcomes. Gleichzeitig finde ich es auch schön, dass meine Arbeit es mir erlaubt, über einen langen Zeitraum hinweg richtig tief in ein Thema einzutauchen.
Wenn Sie sich mit älteren Forschenden Ihrer Disziplin treffen: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?
Ein Unterschied liegt oft in der langfristigen Perspektive und dem Überblick darüber, wie sich die Neurowissenschaften – besonders im Bereich der noninvasiven Hirnstimulation – über die Jahre entwickelt haben. Methoden, die vor Jahren noch experimentell waren, sind heute fester Bestandteil vieler Studien. Ich habe großen Respekt vor der theoretischen und konzeptuellen Tiefe und dem langjährigen Erfahrungswissen älterer Forschender. Gleichzeitig sind die Jüngeren im praktischen Umgang mit neuen Geräten und Softwarelösungen häufig näher am aktuellen Forschungsalltag. Ich finde, das ergänzt sich dann sehr gut.
Welche Eigenschaft halten Sie für die wichtigste, um Karriere in der Wissenschaft zu machen?
Neugier, ein gutes Netzwerk und Durchhaltevermögen.
Eine Kritzelei während eines Meetings?

Wie werden Sie als Wissenschaftlerin in der Gesellschaft wahrgenommen?
Bisher habe ich größtenteils positive Erfahrungen gemacht und erlebe meistens echtes Interesse. Vor allem zum Thema Dopamin haben viele schon mal irgendeinen fun fact aufgeschnappt, andere haben spannende Fragen und sind neugierig, was genau ich eigentlich erforsche – das freut mich dann sehr. Es kommt allerdings ab und zu vor, dass ich in überraschte Gesichter blicke, wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde und sage, dass ich als junge Frau in den Naturwissenschaften promoviere.
Und wie würden Sie gerne wahrgenommen werden?
Gar nicht groß anders. Ich fände es aber generell gut, wenn es weniger Wissenschaftsskepsis gäbe und evidenzbasierte Aussagen von Expert*innen eines Fachbereichs ernster genommen würden. Die allermeisten Wissenschaftler*innen, denen ich begegne, sind mit viel Begeisterung und Herzblut dabei und leisten tolle Arbeit – trotz herausfordernder Arbeitsbedingungen und obwohl andere Jobs vielleicht sicherer oder lukrativer wären.
Bitte ergänzen Sie die folgenden Sätze. Sie können realistische Wünsche äußern oder Ihre Fantasie spielen lassen. Satz Nummer 1: Meine Arbeit wäre so viel einfacher, wenn …
… meine Messelektroden mir direkt Rückmeldung geben würden, warum sie gerade nicht messen wollen.
Davon hätte ich gern mehr:
Tageslicht im Labor.
Wenn ich etwas sofort abstellen könnte, wären das …
… Paywalls vor journalistischen und wissenschaftlichen Inhalten. Und ganz uneigennützig: Tierhaarallergien.
Jede/r sollte wissen, dass…
… unser Gehirn rund 20 Prozent der täglichen Energie verbraucht, obwohl es nur etwa zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht.
Um das ein für allemal richtig zu stellen:
Dopamin ist kein Glückshormon. Es ist ein Botenstoff, der die Kommunikation zwischen Nervenzellen ermöglicht und beeinflussen kann und in Verbindung steht mit Motivation und Belohnung, also durchaus mit positiven Gefühlen – aber nicht mit Glück per se.
Ihr liebster Arbeitsplatz?
Mein Schreibtisch im Büro, das ich mir mit zwei lieben Kolleginnen teile, die auch promovieren. Unsere unverwüstlichen Topfpflanzen dort sind eine gute Erinnerung: nicht unterkriegen lassen, auch wenn die äußeren Umstände manchmal schwierig sind.

Was ist Ihre größte Unsicherheit, bezogen auf Ihre Karriere?
Ich liebe die Forschung und meine Arbeit macht mir großen Spaß. Gleichzeitig sorgen die fehlende Planbarkeit und Stabilität (Stichwort befristete Verträge) dafür, dass ich mir viele Gedanken um meine berufliche Zukunft mache – und ich bin sicher, das geht vielen so.
Wie schaffen Sie es, trotzdem gelassen zu bleiben?
Ich erinnere mich daran, wie oft sich im Rückblick berufliche Chancen ergeben haben, mit denen ich zunächst gar nicht gerechnet hatte und versuche, mich nicht entmutigen zu lassen. Das gibt mir Vertrauen, dass sich Dinge oft fügen – auch wenn gerade vieles ungewiss scheint. Was mir auch oft hilft: der Austausch mit anderen Promovierenden, egal aus welchem Fach. Es tut gut, mit Menschen zu sprechen, die ähnliche Fragen und Zweifel haben. Das Gefühl, nicht allein zu sein und verstanden zu werden, nimmt viel Druck raus.
Träumen Sie manchmal von der Arbeit? Wenn ja: Sind es angenehme Träume?
Zum Glück kann ich schlafen wie ein Stein und erinnere mich selten an Träume. Ab und zu wache ich nachts auf, und plötzlich ploppt eine Idee oder Frage zu meinem aktuellen Projekt auf. Habe ich diesen einen Aspekt in der statistischen Analyse beachtet? Sollte ich diesen anderen Aspekt noch in die Diskussion aufnehmen? Wäre ein anderer Plot vielleicht aussagekräftiger? Ich mache mir dann eine mentale Notiz und schlafe anschließend ganz gut.
Nach dem Aufwachen: Wie fängt Ihr Tag gut an?
Mit einem Kaffee und ordentlich Hafermilchschaum.
Worauf freuen Sie sich an einem ganz normalen Arbeitstag?
Auf meine Kolleg*innen und abwechslungsreiche Aufgaben. Entweder gehe ich ins Labor und mache meine Messungen, oder ich arbeite an meinen Skripten für die Analyse meiner Daten, oder ich schreibe an meinem aktuellen Manuskript. Dazwischen am liebsten ein gemeinsames Mittagessen mit Kolleg*innen.

Worauf freuen Sie sich, wenn Ihr Arbeitstag zu Ende geht?
Auf einen allabendlichen Spaziergang mit meinem Partner oder ein paar Bahnen im Schwimmbad, um den Kopf freizubekommen.
Eine kleine Flucht aus dem (Arbeits)Alltag, die Ihnen hilft, schnell wieder aufzutanken?
Ein kurzer Spaziergang durch die Kleingartenanlage oder den Wald hinter unserem Institut hilft mir schon, meine Gedanken zu sortieren und runterzukommen. Am Wochenende ist nichts entspannender, als wissenschaftliche Fragen komplett beiseitezulegen und mit meiner zweijährigen Nichte eine Runde in der Sandkiste zu spielen.
Was hilft Ihnen, Ideen zu finden?
Die besten Ideen kommen, wenn man gar nicht danach sucht. Von daher versuche ich mit offenen Augen und Ohren durchs Leben zu gehen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen – zum Beispiel, wenn ich schwimmen oder spazieren gehe.
Ein hilfreicher Snack für zwischendurch?
Obst gegen das Nachmittagstief. Wenn es Süßigkeiten sein müssen, besuche ich meinen Kollegen Jens in der Abteilung »Immunologie«. Das Snack-Angebot in seiner Schreibtischschublade ist unschlagbar, einen netten Plausch gibt es noch dazu und nebenbei lerne ich neue Dinge über natürliche Killerzellen.
Wenn es mal Süßigkeiten sein müssen, besuche ich meinen Kollegen Jens aus der >Immunologie<.


Was hilft Ihnen, Ihren Fokus zu behalten?
Der Spaß an der Wissenschaft, der Austausch mit Kolleg*innen und die Unterstützung von Familie und Freund*innen.
In welchen Momenten vergessen Sie während der Arbeit alles andere um sich herum?
Wenn ich Fachliteratur zu einer bestimmten Fragestellung lese, entsteht manchmal ein regelrechter Sog. Ein Artikel verweist auf den nächsten und ehe ich mich versehe, bin ich gedanklich so tief drin, dass ich völlig das Zeitgefühl und die Übersicht über meine geöffneten Tabs verliere. Ähnliches passiert, wenn ich an Präsentationen, Abbildungen oder Postern arbeite: Ich bin erst zufrieden, wenn das letzte Textfeld sitzt, die Farben harmonieren und die Schriftarten stimmen. Besonders viel Spaß macht mir außerdem die Wissenschaftskommunikation. Zuletzt habe ich einen neuen Science Slam entwickelt, in dem ich meine neurowissenschaftliche Forschung mit klassischem Ballett erkläre. Ich tauche dann richtig ein, suche passende Bilder und Analogien, feile am Text und wähle passende Musik zur Untermalung aus. Bis alles zusammenpasst, bin ich im Tunnel – aber im besten Sinne.
MARIE BEAUPAIN, 31, promoviert am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund. Dort arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „Psychologie & Neurowissenschaften“. Mit ihrem Science Slam „Dopamin & Elektroschocks“ ist sie auf YouTube zu erleben.