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Chemische Katalyse ist wie Lego – es hat etwas von Expeditionen ins Unbekannte.

Matthias Beller stöbert auf seinem Rechner in verschiedenen Power-Point-Präsentationen. Ein Klick und auf dem Screen an der Wand erscheint eine Grafik zum Earth Overshoot Day, der symbolisch den Tag markiert, an dem alle natürlichen Ressourcen, die uns der Planet innerhalb eines Jahres zur Verfügung stellt, aufgebraucht sind. Wir bräuchten gut dreimal unsere Erde, wenn alle ihre Bewohnerinnen und Bewohner so leben würden wie wir in Deutschland das tun, sagt Beller. Eine neue Suche, schon zeigt eine weitere Kurve den sprunghaften Anstieg von Emissionen seit der Industrialisierung und veranschaulicht den unstillbaren Hunger der Menschheit nach Energie. Wir müssen mit unseren Ressourcen anders umgehen. Dafür brauchen wir neue Technologien, sagt Matthias Beller und zitiert Albert Einstein: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

Welche Rolle kann Wasserstoff beim Andersdenken spielen? Das chemische Element mit dem Symbol H ist das kleinste und häufigste Molekül im Universum. Unbegrenzt verfügbar. Viele Menschen in Deutschland sehen im Wasserstoff die Energie der Zukunft. Er gilt ihnen als Hoffnungsträger, um den Klimawandel irgendwie doch noch in Grenzen zu halten.

Das ist ganz klar Wunschdenken, erwidert Matthias Beller, der in Rostock mehr als 25 Jahre lang das Leibniz-Institut für Katalyse, kurz LIKAT, geleitet hat und sich selbst für einen optimistischen Menschen hält. Aber Wasserstoff kann eine wichtige Komponente sein für eine emissionsfreiere Zukunft. Zum Beispiel neben der Elektromobilität.

Das heiße nicht, dass wir alle bald mit Wasserstoff im Tank leise und sauber über deutsche Autobahnen flitzen. Neben immer noch zu lösenden technischen Herausforderungen müsste eine gerade erst auf Strom umgebaute Infrastruktur überall durch Wasserstofftankstellen ergänzt werden. Prognose: Eher unwahrscheinlich.

Trotzdem könne Wasserstoff unseren Verkehr grüner machen. Dafür eigneten sich Schiffe, Züge oder Busse. Die große Hürde für seine wirtschaftliche Nutzung sei aber die Speicherung, sagt Beller. Das Molekül ist nicht nur klein, es ist auch sehr flüchtig. Es diffundiert sogar durch Metall. Neben dem Entwickeln von Batterien mit aufwendigen, weil dichten Legierungen könnten zukünftig auch andere Speichermethoden wichtig werden.

Und hier kommt das LIKAT ins Spiel. Das Institut hat sich ganz der Katalyse verschrieben, der Wissenschaft von der chemischen Umwandlung von Stoffen aller Art.

Zeit für eine Einführung – und für noch mehr Kurven, Modelle und Tabellen. Matthias Beller spricht über Atome, Moleküle und Ionen, Stoffgruppen, Bindungen und Reaktionen. Schnell wird klar: Katalyse ist ein ständiges In-Bewegung-sein von Stoffen, ein Verfestigen und Verflüssigen von Materialien. Chemie sei wie Lego, bemüht der Wissenschaftler ein Bild. Nur dass die Steine, also die Moleküle, nach unglaublich vielen Bauanleitungen zugleich zusammengesetzt werden können. Chemische Katalyse habe etwas von Expeditionen ins Unbekannte. Und manchmal entdecke man dabei gänzlich neues Territorium.

Eine solche Entdeckung steht nur 100 Meter entfernt und kann besichtigt werden. Beim Gang vom Institutsgebäude mit seinen Laboren zum Technikum, einer Forschungsanlage, in der größere Versuche durchgeführt werden, erklärt Matthias Beller den naturwissenschaftlichen Campus der Universität Rostock; dort die Hörsäle, da die Informatik, dahinter das neue mit Kupfer verkleidete und in der Sonne glänzende Gebäude der Elektrotechnik. Er ist stolz auf das, was hier in nur wenigen Jahren gewachsen ist.

Eigentlich kommt Matthias Beller aus dem Norden Hessens und hat in Göttingen die Gänseliesel, eine Brunnenfigur, geküsst, wie es alle tun, die in der Universitätsstadt ihre Promotion abschließen. Im Jahr 1998 ist er an die Ostsee gekommen, an ein Institut, das auf eine lange Geschichte zurückblickt: Gegründet im Jahr 1952 als in Europa erstes ausschließlich der Katalyse gewidmetes Forschungsinstitut, hatte es damals nach den Wirren der Wendezeit knapp 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Heute sind es um die 300, die erfolgreich mit Partnern aus der Industrie zusammenarbeiten. Zum Beispiel mit »Symrise«, einem Anbieter von Duft- und Geschmacksstoffen. Wichtige Komponenten von Chanel No 5 kommen nicht aus Paris, sondern aus dem niedersächsischen Holzminden. Und auch das LIKAT hat daran seinen Anteil.

Im Technikum betreibt Peter Sponholz seine Anlage zur Speicherung von Wasserstoff. Der Katalysator ist ein großer runder Behälter gefüllt mit Palladium. Er ist das Herzstück einer Konstruktion, mit der die Speicherung und der Transport von Wasserstoff einfacher und billiger werden sollen.

Peter Sponholz, ein – wie er sagt – Rostocker Junge hat bei Matthias Beller promoviert und ist Chief Research Officer bei »Akros Energy«, das mit dem LIKAT eng zusammenarbeitet. Er will eine schon existierende Technologie bezahlbar machen. Wasserstoff, der aus einer mit grüner Energie wie Wind und Sonne betriebenen Elektrolyse hergestellt und gleich verbraucht werde, sei von der Umweltbilanz unschlagbar. Aber für die Speicherung muss ich Energie aufwenden. Wieviel ist die entscheidende Frage, denn Energie kostet.

Das Verfahren der Synthese müsse außerdem global funktionieren, ergänzt Matthias Beller. Auch wenn Deutschland für knapp drei Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich ist, werden wir den Klimawandel nicht stoppen, wenn wir hier ein perfektes, aber nicht adaptierbares, weil zu kompliziertes System entwickeln. Das sei dann nice to have, aber sinnlos. Es sei nichts einfacher als etwas kompliziert zu machen und nichts komplizierter als etwas einfach zu machen, beschreibt Sponholz die Maxime, mit der das LIKAT und Akros Energy ihr Verfahren entwickelt haben.

Wir werden den Klimawandel nicht stoppen, wenn wir ein perfektes, aber zu kompliziertes System entwickeln.

Wie es funktioniert, erklärt Carolin Stein, die bei Matthias Beller promoviert. Die grundlegende Idee hinter der Wasserstoffwirtschaft sei es, Wasserstoff als Energieträger zu verwenden. Zentral dafür: grüne Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind oder Sonne. Mit ihr wird die Elektrolyse angetrieben. Dabei wird das Molekül Wasser elektrochemisch aufgespalten – in Wasserstoff und Sauerstoff. Elektrische Energie wird chemisch umgewandelt und im Wasserstoff gespeichert. Er kann genutzt werden wie fossile Energieträger, also verbrannt oder eleganter in einer Brennstoffzelle wieder in Strom verwandelt werden.

Das Problem liegt darin, dass Wasserstoff als Gas nicht einfach zu handhaben ist. Als Gas braucht es Platz und ist leicht brennbar. Aktuell wird Wasserstoff deshalb primär in Drucktanks gespeichert, was aufwendig und immer noch nicht ganz ungefährlich ist. An Alternativen wird überall geforscht. Die Lösung am LIKAT lautet: Wasserstoff in einem Trägermolekül speichern. Matthias Beller und sein Team sind bei der Suche auf einen überraschend simplen Stoff gekommen: Hydrogencarbonat, in der Küche als Backpulver im Einsatz. Im mit Katalysator gefüllten Reaktor im Technikum reagiert das unbeladene Hydrogencarbonat mit Wasserstoff, es entsteht dabei Formiat – das Salz der Ameisensäure. In ihm wird der Wasserstoff sicher gebunden und kann über große Strecken transportiert werden.

An seinem Einsatzort angekommen, nimmt es den umgekehrten Weg mit Hilfe des Katalysators: Das Salz wird entladen, es entstehen wieder Hydrogencarbonat und Wasserstoff, der dann zur Energiegewinnung verwendet werden kann. Die Energiedichte von Formiat, also seine Speicherfähigkeit von Wasserstoff, ist zwar etwas geringer als bei anderen Trägern, sagt Matthias Beller. Mal ganz abgesehen davon, dass Hydrogencarbonat und Formiat völlig ungefährlich sind, liege ein Vorteil des Verfahrens aber darin, dass für das Be- und das Entladen der Träger derselbe Katalysator verwendet werden kann.

Das chemische Symbol H steht auch für Hoffnung.

LIKAT Labor

Für die Anwendung im Alltag ist das ein großes Plus. Eine Idee ist es, Container mit einem Katalysator, den Speichersalzen und einem Generator auszurüsten. Diese Container würden wie Batterien funktionieren und könnten Landwirten eine autarke Energieversorgung ermöglichen: Wenn viel Wind weht, speichert der Container die mit Windrädern erzeugte Energie, wenn Flaute herrscht, kann der im Träger gespeicherte Wasserstoff freigesetzt und ins System eingespeist werden, um Energie zu gewinnen. Einen ersten Container will Akros Energy im kommenden Jahr auf ein Feld in der Nähe von Rostock stellen.

Ein kleiner Schritt. Aber ein wichtiger, findet Matthias Beller. An der Speicherung entscheide sich, ob Wasserstoff in zehn oder 15 Jahren einen signifikanten Anteil an der Energieversorgung haben wird. Bis dahin gilt bis auf Weiteres: Das chemische Symbol H steht auch für Hoffnung.

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