leibniz

Am Anfang steht eine Entscheidung. Ich will verstehen, warum Menschengruppen zueinanderhalten oder in den Konflikt gehen. Dafür schaffe ich in meinen Experimenten Situationen, in denen sie Entscheidungen treffen müssen: Ich bilde Zweierpärchen, denen ich etwas Geld gebe; eine Person ist der »Diktator«, der entscheidet, wie er das Geld zwischen sich und einer anderen Person aufteilt. Wie das Experiment ausgeht, wird davon beeinflusst, zu welchem Thema ich den Personen vorher eine Frage gestellt habe. War das Thema beispielsweise Nächstenliebe, verteilt der »Diktator« das Geld hinterher meist gleichmäßiger.

Seit 2018 forsche ich am Institut für Afrika-Studien des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien, dem GIGA, zu Globalisierung und Entwicklung. Ich sehe mir dabei vor allem den sozialen Zusammenhalt zwischen verschiedenen Identitätsgruppen an, also Gruppen von Menschen, die zum Beispiel ihre Religion oder Ethnizität verbindet. Wir Menschen im Globalen Norden denken oft, dass Unterschiede zwischen diesen Identitätsgruppen im Zusammenhang mit Konflikten oder Zusammenhalt sehr wichtig sind – dabei stimmt das natürlich nicht immer.

Es geht nicht darum, verschiedene Religionen nach ihrem Konfliktpotenzial zu bewerten. Vielmehr haben wir Gemeinsamkeiten untersucht.

LISA HOFFMANN

VIOLA KOEGST
ist Schülerin der 60. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule. Vor der Ausbildung zur Redakteurin in München schrieb sie unter anderem für SZ ONLINE.

Ich mache oft Experimente, um Daten zu erheben. Der Vorteil gegenüber reiner Beobachtung oder Interviews ist, dass man den Aufbau eines Experiments kontrollieren kann. So kann man sichergehen, ob der untersuchte Faktor wirklich der Grund für eine Veränderung ist. Gleichzeitig können solche Experimente nur ein stark verzerrtes Abbild der Wirklichkeit sein. Deshalb ergänzen wir unsere Forschung mit Umfragen und Interviews, um die Ergebnisse einzuordnen.

Ich habe zum Beispiel in Liberia untersucht, was zwischen verschiedenen Gruppen eines Dorfes passiert, wenn in der Nachbarschaft eine Ölpalmplantage errichtet wird. Gibt es dann Probleme, weil manche Dorfbewohner einen Job finden, andere aber für die Plantage Land verkaufen müssen? Oder hat es gar keine Auswirkungen auf das Zusammenleben? Man könnte annehmen, dass Menschen in so einer Situation Angehörige anderer ethnischer Gruppen benachteiligen. Unsere Studie kam aber zu dem überraschenden Ergebnis, dass sich stattdessen die Menschen innerhalb derselben Ethnie stärker diskriminieren.

In Ghana habe ich untersucht, welchen Einfluss religiöse Ideen auf das Verhältnis zwischen Identitätsgruppen haben. Dabei geht es nicht darum, verschiedene Religionen nach ihrem Konfliktpotenzial zu bewerten. Vielmehr haben wir Gemeinsamkeiten untersucht. Die Idee der Nächstenliebe und die Vorstellung, dass es nur eine wahre Religion gibt, sind zum Beispiel im Christentum und im Islam – den beiden größten Religionen in Ghana – gleichermaßen wichtig.

Bislang haben wir gesehen, dass solche religiösen Einstellungen eher friedensstiftend wirken. Würden wir aber herausfinden, dass bestimmte Ideen problematisch sind, wäre das auch wichtig: Weil lokale Entscheidungsträger dann früh präventiv eingreifen und vermitteln könnten, bevor es zum Eklat kommt.

»DJS TRIFFT LEIBNIZ«

Der Text über Lisa Hoffmanns Forschung ist im Rahmen des Workshopformats »DJS trifft Leibniz« entstanden, das wir seit Anfang 2021 regelmäßig mit der Deutschen Journalistenschule organisieren. Die Idee ist einfach: 15 Journalistenschülerinnen und -schüler – eine Klasse der DJS – treffen auf 15 junge Forschende von Leibniz-Instituten. Gemeinsam üben sie Interviewsituationen: Wie bereitet man ein Interview mit einer Wissenschaftlerin vor? Wie erzählt man Journalisten so von seiner Forschung, dass keine Missverständnisse entstehen? Wie tickt die jeweils andere Seite? Außerdem diskutieren sie mit renommierten Wissenschaftlerinnen und werten die Interviews mit erfahrenen Wissenschaftsjournalisten aus. Am Ende landen die Texte in unserem Onlinemagazin – wo ihr sie ab sofort regelmäßig in der Rubrik »Die Welt in 10 Jahren« lesen könnt.

Mit meiner Arbeit möchte ich helfen zu verhindern, dass schwelende Konflikte ausbrechen. Mir ist es auch wichtig, den Menschen etwas zurückzugeben und unsere Ergebnisse in die Länder zurückzutragen, in denen wir geforscht haben. Als Team präsentieren wir unsere Erkenntnisse in Workshops oder in wissenschaftlichen Papers für Politiker und Entscheidungsträger. Durch den Klimawandel wird es in Zukunft noch viel mehr Konflikte geben, lebenswichtige Ressourcen wie Wasser oder fruchtbares Land werden immer knapper. Wenn unsere Arbeit dazu beitragen könnte, solche Ressourcenkonflikte friedlich zu lösen, wäre das toll.

Ich will mit meiner Forschung aber nicht nur Politiker erreichen. Deshalb habe ich zu meiner Studie über die Palmölplantagen in Liberia einen Wissenschaftscomic erstellt. Das ist ein Format, das auch Laien und sogar Analphabeten verstehen können. Mit dem Comic wollte ich meinen Studienteilnehmenden danken, ohne die meine Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Die Corona-Pandemie hat mich vor große Herausforderungen gestellt. Ich reise viel, für meine Arbeit und brauche Kontakt zu Menschen. Mir ist es wichtig, Kontextwissen zu bekommen, das man nicht aus Online-Umfragen ziehen kann. Die Pandemie hat auch viele soziale und wirtschaftliche Probleme verschärft. Unsere Forschung ist deshalb gerade jetzt noch wichtiger geworden.

LISA HOFFMANN ist Research Fellow am German Institute for Global and Area Studies, Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien. Seit Ende 2020 erforscht sie am GIGA, wie und unter welchen Bedingungen Menschen verschiedener Religion friedlich zusammenleben können.

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