leibniz

»Wicked problems«, das sind Probleme, auf die es nach dem heutigen Stand des Wissens keine einfachen und eindeutigen Antworten gibt. Und egal, ob es um die Klimakrise, Kriege oder Krankheiten geht — wir sind heute öfter mit ihnen konfrontiert, als es uns lieb sein kann. In drei »Leibniz-Labs« hat sich ein breites Spektrum an Leibniz-Instituten mit Akteuren aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zusammengetan, um gemeinsam praxistaugliche Lösungen zu entwickeln. Es geht um den Kampf gegen Pandemien, gesellschaftliche Umbrüche und Nachhaltigkeit innerhalb der planetaren Grenzen. Wir haben die Sprecherinnen und Sprecher der Labs gefragt, welchen gesellschaftlichen Herausforderungen sie sich widmen, was ihre Aufgabe anspruchsvoll macht — und welche Früchte ihr Lab tragen könnten.

GÜLSAH GABRIEL ist Sprecherin, OLAF KÖLLER und MICHAEL STOLPE sind Co-Sprecher des Leibniz-Labs »Pandemic Preparedness«. Am Leibniz-Institut für Virologie leitet Gabriel die Abteilung »Virale Zoonosen — One Health«. Köller ist Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Stolpe leitet den Projektbereich »Globale Gesundheitsökonomie« am Kiel Institut für Weltwirtschaft.

»PANDEMIC PREPAREDNESS«

In unserem Leibniz-Lab verfolgen wir ein klares Ziel: Wir wollen Lehren aus der Corona-Pandemie ziehen, um besser auf künftige Pandemien vorbereitet zu sein. Zum einen wollen wir in den kommenden drei Jahren Vorschläge erarbeiten: Wie können wir die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass Pandemien überhaupt erst entstehen? Zum anderen wollen wir Empfehlungen erarbeiten: Wie können wir resilienter werden und noch besser reagieren, sollte dann doch erneut der Ernstfall eintreten? Diese präventiven und reaktiven Maßnahmen sollen auch dazu beitragen die volkswirtschaftlichen Kosten und gesellschaftlichen Lasten durch ein gut vorbereitetes Pandemiemanagement zu senken.

Klar ist: Wir wissen nicht, welcher Erreger die nächste Pandemie auslösen wird. Uns werden also auch dann wieder wichtige Informationen fehlen, die Vorbereitung auf das Unbekannte bleibt eine große Herausforderung. Im Leibniz-Lab wollen wir nun aber erstmals zeigen, wie die verschiedenen beteiligten Disziplinen nicht nur interdisziplinär zu ihren unterschiedlichen Fragestellungen zusammenarbeiten, sondern wie sie die zentralen offenen Fragen mithilfe neuartiger transdisziplinärer Ansätze der Wissenssynthese tatsächlich beantworten und so praxistaugliches Handlungswissen generieren können. Einfach gesagt werden wir das relevante Wissen aller Beteiligten zusammentragen und für uns als Gesellschaft nutzbar machen.

Die Beteiligten kommen aus verschiedenen Bereichen: Von wissenschaftlicher Seite zählen Institute aus den Lebenswissenschaften, den Gesund- heitstechnologien, den Wirtschaftswissenschaften und der Bildungsforschung dazu. Für die Pandemieprävention werden wir unter anderem mit den Umwelt- und Veterinärämtern zusammenarbeiten, hinsichtlich der adäquaten Reaktion auf kommende Pandemien auf die Gesundheitsämter zugehen. Auf politischer Ebene werden wir insbesondere mit den Bundesministerien für Bildung und Forschung und für Gesundheit kooperieren, aber auch mit der Kultusministerkonferenz in Dialog gehen, wenn es um Fragen der Beschulung in Pandemiezeiten geht. Die Kommunen sind für uns wichtige Ansprechpartner, um den Umgang mit den psychischen Folgen von Pandemien zu optimieren.

Wir sind in unserem Leibniz-Lab bereits intensiv in die Arbeit eingestiegen und haben gemeinsam mit den Stakeholdern begonnen, mögliche pandemische Maßnahmen zu planen. Für die Prävention fragen wir zum Beispiel ganz konkret: Wie können wir durch verbesserte Bedingungen in der Nutztierhaltung dem Entstehen neuer Virusvarianten vorbeugen? Und für die Pandemiereaktion: Wie können wir gewährleisten, dass Menschen in 99 allen Ländern der Welt Zugang zu medizinischen Ressourcen wie Tests, Medikamenten und Impfstoffen haben, die insbesondere zu Beginn einer Pandemie sehr knapp sind?

Wir hoffen sehr, dass wir unsere Arbeit nach Ende der vorerst auf drei Jahre begrenzten Förderung verstetigen und so auch langfristige Ziele angehen können. Doch wie gesagt gilt es dabei immer im Hinterkopf zu behalten: Trotz aller Vorbereitung wird der Umgang mit Pandemien eine harte Herausforderung bleiben — schon weil potenzielle Pandemieerreger sich ständig weiterentwickeln und permanent mutieren.

JOCHEN SCHANZE ist Sprecher des Leibniz-Labs »Systemische Nachhaltigkeit« und Leiter des »Knowledge Integration Hub« am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden.

»SYSTEMISCHE NACHHALTIGKEIT«

Weltweit ist ein rapider Verlust an biologischer Vielfalt im Gange — auf dem Land und im Ozean. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass 25 Prozent der Tier- und Pflanzenarten bedroht sind und eine Million Arten vor dem Aussterben stehen. Parallel beschleunigt sich der Klimawandel, das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 ist schon überschritten. Beide Phänomene verschärfen sich wechselseitig.

Unsere Essgewohnheiten und die darauf ausgerichtete Landwirtschaft und Fischerei tragen erheblich zum Biodiversitätsverlust und Klimawandel bei. Gerade der ausgiebige Konsum tierischer Lebensmittel und intensive Monokulturen, in denen große Mengen Dünger und Pestizide zum Einsatz kommen, zählen zu den Ursachen. Die globalen Umweltveränderungen erhöhen umgekehrt die Risiken für die Landwirtschaft und damit auch für die Ernährungssicherheit. Zunehmende Ernteverluste durch Hitzewellen und Überflutungen sind eine Folge, aber auch der Rückgang bestäubender Insekten.

Vor diesem Hintergrund nehmen die Anstrengungen zu, gesellschaftliche Transformationen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu fördern. Das ist eine außergewöhnliche gesellschaftliche Aufgabe, für die uns in dieser Dimension aus der Geschichte Erfahrungen fehlen. Viele Wirkungsbeziehungen zwischen Biodiversität, Klima, Landwirtschaft und Ernährung sind für sich genommen gut erforscht. Für effektive Transformationen bedarf es ergänzend aber ganzheitlicher Ansätze, welche die realen Zusammenhänge umfassend und handlungsorientiert adressieren. Genau da setzt unser Leibniz-Lab »Systemische Nachhaltigkeit« an, in dem 41 Leibniz-Einrichtungen aus allen Sektionen zusammenarbeiten. Wir führen Informationen und Daten verschiedener Disziplinen und aus der Gesellschaft zu inter- und transdisziplinärem Wissen für das Themenfeld zusammen.

Um eine hohe gesellschaftliche Relevanz der Forschung zu gewährleisten, beziehen wir von Anfang an Akteure aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ein. Wir nutzen den etablierten Austausch in regionalen Pilotgebieten, zunächst in Brasilien, Tansania und Vietnam sowie — hier in Deutschland — in Berlin und Brandenburg. Außerdem suchen wir den Dialog in europäischen und internationalen Gremien.

Gemeinsam entwickeln wir Lösungen, die unterschiedliche Hebel für Transformationen in Betracht ziehen. Dazu werden technologische, ökonomische, soziale und politische Innovationen bereitgestellt und aufeinander abgestimmt. Im Ergebnis entstehen alternative Transformationspfade, die praktische Politik sowie wirtschaftliches und zivilgesellschaftliches Handeln direkt unterstützen. Die ganzheitliche und deshalb systemische Nachhaltigkeit ermöglicht es, langfristig die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig planetare Grenzen einzuhalten.

Die ersten Monate unseres Labs waren von einer faszinierenden Motivation aller Beteiligten und großer Offenheit für die disziplinenübergreifende Zusammenarbeit geprägt. Wir erwarten neue inter- und transdisziplinäre Erkenntnisse, und wir streben verwertbares Handlungswissen an, das zur Bewältigung einer der elementaren Herausforderungen unserer Zeit erforderlich ist. Wir sind uns sicher: Unser Lab wird einen wesentlichen Impuls geben, auch über seine aktuelle Laufzeit hinaus. Es hat das Potenzial, neue wissenschaftliche Wege aufzuzeigen und zugleich Entscheidungen und Verhalten in Richtung von Nachhaltigkeit zu begünstigen.

FRANK BÖSCH & SEBASTIAN LENTZ sind die Sprecher des Leibniz Labs »Umbrüche und Transformationen«. Bösch ist Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, Lentz ist Vizepräsident der Leibniz-Gemeinschaft und war bis 2024 Direktor des Leibniz-Instituts für Länderkunde in Leipzig.

»UMBRÜCHE UND TRANSFORMATIONEN«

Unser Lab erarbeitet, auf welche Weise Politik und Gesellschaft plötzliche Umbrüche bewältigen, die dringend rasche Entscheidungen verlangen. Wir schauen dazu auf unterschiedliche Umbrüche der zurückliegenden Jahrzehnte, um Muster auszumachen und zu vermitteln. Im Vordergrund stehen etwa der rasante Wandel nach 1989, der Umgang mit stark ansteigender Migration sowie der mit der Klimakrise. Wir setzen dabei nicht nur aktuelle Umbrüche zueinander in Beziehung, vielmehr wollen wir auch zeigen, wie frühere Umbrüche und Transformationen mit den heutigen zusammenhängen. So ist der Umgang mit dem Umbruch von 1989 offensichtlich eng mit gegenwärtigen Herausforderungen in Ostdeutschland verbunden, sei es beim Rechtspopulismus oder beim Umgang mit der Klimakrise.

Im Lab kooperieren vor allem Institute aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, von der Geographie bis hin zur Sprachwissenschaft. Aber auch einige Institute aus den Naturwissenschaften sind beteiligt, etwa das Leibniz-Lungenzentrum oder das Leibniz-Institut für Resilienzforschung. Diese Breite ermöglicht es uns, sehr unterschiedliche und vor allem neue Facetten der gesellschaftlichen Transformation aufzunehmen und verständlich zu machen. Neben den üblichen Partnern aus Politik und Forschung wollen wir in einem Austausch auf Augenhöhe außerdem mit Menschen zusammenarbeiten, die selbst von Umbrüchen betroffen sind oder sein werden, etwa in Regionen, wo ein drastischer Strukturwandel für Verunsicherung sorgt.

Unser Hauptziel liegt in der Vermittlung von Forschungsergebnissen der Leibniz-Institute in die Öffentlichkeit. Um neue Adressatenkreise zu gewinnen, wollen wir zum Beispiel audiovisuelle Social Media-Formate und interaktive Ausstellungen nutzen, die Jüngeren wollen wir über Kanäle wie TikTok ansprechen. Wichtig ist uns auch, Veranstaltungen jenseits der Großstädte zu organisieren, um dort auch Menschen zu erreichen, die sich vielleicht noch nicht mit dem Themenfeld Transformation beschäftigt haben. Im Herbst starten wir beispielsweise mit einer Veranstaltung im Oderbruch, wo der dortige Abzug der Roten Armee 1994 einen Aufhänger bildet, die lokale Bevölkerung bei ihren historischen Erfahrungen »abzuholen«. Heute wählen dort 50 Prozent die AfD, weil in die sowjetischen Kasernen ein »Abschiebezentrum« kommen soll, und Russland wird verklärt.

Die für solche Formate nötige Aufbereitung und Komprimierung von wis- senschaftlichen Aussagen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, der sich die Mitarbeitenden unseres Labs in einem engen Zeitplan widmen. Ganz wichtig ist hierbei die Expertise der Leibniz-Forschungsmuseen für eine breitenwirksame Kommunikation.

Was wir uns für die Zukunft unseres Labs wünschen? Erfolgreich waren wir, wenn wir in einen intensiven Dialog mit der Öffentlichkeit getreten sein werden, gerade auch mit denjenigen, die sonst seltener Gehör finden — und wenn alle Partner im Verbund sich kreativ engagiert haben und ihre Ideen einbringen konnten. Wir wünschen uns, dass unsere zunächst experimentellen Vermittlungsformate nachhaltig wichtige Impulse für die Wissenschaftskommunikation liefern können. Besonders würde es uns freuen, wenn aus unserem Lab heraus Citizen Science-Projekte mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Expertinnen und Experten zu zu Themen des gesellschaftlichen Umbruchs entstanden sind, die über die Laufzeit des Labs fortbestehen.

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