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ISABELLA HELMREICH
ist psychologische Psychotherapeutin und leitet den Bereich »Wissenstransfer« am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Förderung von Resilienz.

MEIKE TROMMER
ist Referentin und Coach bei der »Plattform Transfer« am LIR. Regelmäßig leitet sie Coachings und Trainings für Einzelpersonen, Gruppen und Unternehmen.

LEIBNIZ Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache wertet aus, wie häufig bestimmte Wörter verwendet werden. Für das Wort Resilienz bekomme ich bis in die Nullerjahre eine Flatline angezeigt: Es wurde so gut wie nie verwendet. Nach 2019 geht der Gebrauch dann steil nach oben. Passt das zu Ihren Erfahrungen? 

ISABELLA HELMREICH Früher haben mich die Leute groß angeschaut und gefragt: Wozu forschst du? Seit der Corona-Pandemie haben die meisten Menschen schon mal von Resilienz gehört. Aber Resilienz ist kein neues Konzept. Die amerikanische Psychologin Emmy Werner forschte bereits in den 1950er Jahren in diese Richtung.

MEIKE TROMMER Wenn ich als Coach unsere Trainings zur Resilienzförderung anleite, werde ich manchmal mit Skepsis begrüßt. Die Teilnehmenden fragen sich, ob Resilienz neuer Wein ist, der in alte Schläuche gegossen wird.

Was erwidern Sie dann?

TROMMER Wir sprechen darüber, ob das wirklich nur eine Modeerscheinung ist. Viele Themen münden in die Resilienz: ob ich jetzt über Schlaf rede, über Stressmanagement oder über gesunde Work-Life-Balance, Resilienz ist meistens der Überbau. In der gewachsenen Popularität zeigt sich ein erfreulicher Perspektivwechsel in unserer Arbeitskultur und der Gesellschaft insgesamt: Mentale Gesundheit ist wichtig, das müssen wir anerkennen und uns entsprechend verhalten.

HELMREICH Resilienz betrifft eigentlich alle Menschen: Kinder und Erwachsene, in allen möglichen Lebensphasen, verschiedensten Situationen und Berufen. Sie ist mehr als ein Nischenthema, hat eher ein Kaliber wie das lebenslange Lernen. 

Wie definieren Sie den Begriff denn am Leibniz-Institut für Resilienzforschung?

HELMREICH Resilienz ist die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach widrigen Lebensumständen. Es ist also ein dynamisches Konzept. Sie erreichen in Ihrem Leben nicht einmal ein bestimmtes Level und dieser Akkustand bleibt Ihnen dann für immer erhalten. Es kann sein, dass Sie als Kind gut aufgewachsen sind, mit viel Unterstützung der Eltern, die Schulzeit war auch gut – doch mit dem Umzug, dem Studium kommen plötzlich neue Herausforderungen, für die Sie noch keine Tools parat haben. Hier wird Ihre Resilienz dann gefordert. Solch eine Phase war beispielsweise die Corona-Pandemie. Sie stellte ein unbekanntes Problem dar, mit dem wir uns arrangieren mussten. Wie die Forschung am LIR gezeigt hat, hat die Mehrheit der Menschen  das erstaunlich gut gemeistert, andere hingegen, vulnerable Gruppen wie Kinder, haben heute noch mit den Folgen zu kämpfen.

Was halten Sie von dem oft zitierten Satz von Friedrich Nietzsche: »Was mich nicht umbringt, macht mich stärker«?

TROMMER Widrigkeiten aushalten zu können, ist ein wichtiges Element, deswegen sind Begriffe wie Willenskraft oder Durchhaltevermögen im Zusammenhang mit Resilienz durchaus angebracht. Leidensfähigkeit dagegen passt für mich nicht. Resilienz bedeutet nicht, schlimme Situationen passiv hinzunehmen, sie zu erleiden. Es geht darum, ins aktive Coping zu kommen, also an Bewältigungsstrategien zu arbeiten, an Veränderung.

HELMREICH In der Materialkunde verwendet man den Begriff der Resilienz für Objekte, die sich verformen lassen, danach aber wieder ihre vorherige Form annehmen können. Wie ein Schwamm. Ich benutze auch gerne die Baumvergleiche der Psychologen Stephen J. Lepore und Tracey A. Revenson, um zu veranschaulichen, dass Resilienz unterschiedliche Facetten hat: Dimensionen wie Resistenz, Regeneration und Rekonfiguration. Der Stress prallt an mir ab wie an einer knorrigen Eiche, an der kein Wind rütteln kann. Eine Birke biegt sich im Sturm, einige Äste zeigen Spuren, aber nach und nach findet sie in ihre vorherige Form zurück. Und es gibt Bäume, die schief gewachsen sind, um dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.

Ein knorriger alter Baum mit sich windenden Ästen.

Resilienz ist zum Teil genetisch bedingt.

Sie haben vorhin den schwankenden Akkustand angesprochen. Können Sie einschätzen, vielleicht sogar messen, wie es um meine Resilienz bestellt ist?

HELMREICH (lacht) Dazu gibt es in der Forschung noch keinen Konsens, aber viel Diskussion. Je nach Definition kommen unterschiedliche Methoden zum Einsatz, etwa Fragebögen und neuropsychologische Tests. Man sollte auch erfassen, welche Stressoren vorliegen, denn ohne Stress gibt es keine resiliente Reaktion. In der Praxis erfassen wir Stressoren und Resilienzfaktoren wie Selbstwirksamkeit, kognitive Flexibilität, persönlicher Optimismus oder soziales Netzwerk meist mit Fragebögen. Damit kann ich durchaus eine Momentaufnahme machen, wie es um Ihre Resilienz steht. Aber Vorhersagen in die Zukunft sind schwierig, denn es hängt immer davon ab, ob Sie für den aktuellen Stressor dann auch die richtige Bewältigungsstrategie auswählen und anwenden. Hier ist eine gewisse kognitive Flexibilität gefragt. Biologische Marker, die uns vorhersagen lassen, wie resilient eine Person in Stresssituationen ist, kennen wir jedenfalls bisher noch nicht. Daran forschen wir am Institut aber.

TROMMER Bevor wir unsere Trainings und Coachings beginnen, erfragen wir mit einem kurzen Fragebogen die Stressbelastung, die Erholungsfähigkeit und bekannte Bewältigungsstrategien der Teilnehmenden. Dieses Screening gibt uns eine Orientierung zum Einstieg. Aber auch das ist nur eine Momentaufnahme, keine Messung, auf die ein Patentrezept folgen könnte. Zwischen dem Screening und dem Beginn unserer Beratung liegen manchmal drei Monate, dann fragen wir natürlich nach, was sich in der Zwischenzeit verändert hat. Aber auch später im Beratungsprozess kann ich die Teilnehmenden nicht pauschal abfragen: »Gehst du regelmäßig joggen, führst du dein Dankbarkeitstagebuch, machst du den Bodyscan? Ja, nein, vielleicht?« Das ist alles sehr viel komplexer und individueller. Und es ist auch abhängig vom Kontext: Bei der Arbeit wendet ein Mensch vielleicht andere Strategien an als zuhause.

HELMREICH Hinzu kommt, dass Resilienz zum Teil genetisch veranlagt ist. Manche Menschen sind biologisch vorgeprägt, sodass bestimmte Gehirnbereiche schneller auf Stress anspringen. Dadurch wird die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, die HPA-Achse, aktiviert: Stresshormone wie Adrenalin werden ausgeschüttet. Diese helfen dabei, den Körper bereit zu machen, damit wir besser kämpfen oder flüchten können. Sie erhöhen zum Beispiel die Herz- und Atemfrequenz. Wenn die Lösungen Kampf oder Flucht nicht umsetzbar sind, kann der Körper aber auch in die berühmte Schockstarre verfallen. Bei manchen Menschen wird dieses System leichter in Gang gesetzt, sobald Stress auf sie einwirkt. Sie brauchen deswegen besonders gute Werkzeuge, um erfolgreich mit stressigen Situationen umzugehen.

Wer ein Training oder eine Beratung bucht, will in der Regel konkrete Empfehlungen. Nun ist das LIR eine wissenschaftliche Einrichtung und kein Teleshop. Wie lösen Sie dieses Dilemma?

TROMMER Wir erstellen das jeweils sinnvollste Angebot für die Personen oder Organisationen, die auf uns zukommen. Wenn soziale Organisationen oder Unternehmen aus der Pflege-Branche ihre Angestellten bei uns trainieren lassen, schauen wir stärker auf die Selbstfürsorge. Bei Studierenden im Programm »Gesund studieren« sind Prüfungsdruck und die eigenen Ansprüche besonders wichtig. Es hängt auch vom Format ab, ob wir nur Anregungen und Input geben können, oder ob die Teilnehmenden ins Üben und Anwenden kommen. In den achtwöchigen Online-Trainings können wir durch Übungen das Gelernte stärker verankern. Wir geben auch Wochenaufgaben, zum Beispiel sollen die Teilnehmenden die neue Atemtechnik oder die progressive Muskelentspannung gezielt ausprobieren. Bei den Kompakttrainings liegt der Schwerpunkt stärker auf der Psychoedukation, also auf der Vermittlung von Wissen über Stress und Resilienz.

Wie fließt aktuelle Forschung in die Coachings am LIR ein?

HELMREICH Bevor wir die ersten Trainings entwickelt haben, haben wir in einer Meta-Analyse untersucht, was evidenzbasierte Resilienzfaktoren sind und wie sie trainiert werden. Es gab über 70.000 Treffer, allerdings mit großen Unterschieden beim den Definitionen, dem theoretischen Hintergrund und den Trainingsformaten. Aber wir konnten gut belegte Resilienzfaktoren ableiten, etwa das soziale Netzwerk oder kognitive Flexibilität, und darauf unser Angebot aufbauen. Mit einem Netzwerkcheck schauen wir uns beispielsweise an, wie das Unterstützungsnetz aussieht und wo es die Person vielleicht gerne verändern würde. Oder wir arbeiten an Einstellungen wie »Ich muss alles allein schaffen!«, die einen Menschen daran hindert, soziale Unterstützung zu nutzen.

Und wenn es neue Erkenntnisse gibt? Konzipieren Sie dann neu?

HELMREICH Unser Transferteam steht in engem Austausch mit den wissenschaftlichen Arbeitsgruppen im Institut. So nehmen wir Neuigkeiten aus der Forschung zur Weiterentwicklung unserer Programme auf. Ein Beispiel: Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass der Kohärenzsinn noch wichtiger ist als bislang angenommen. Mit diesem Konzept hat der Soziologe Aaron Antonovsky eine Orientierung und Verankerung im Leben beschrieben, das Grundgefühl, mit dem eigenen Leben nicht überfordert zu sein, es immer irgendwie bewältigen zu können. Ein guter Kohärenzsinn ist ein zentraler Knotenpunkt, der sich vorteilhaft auf alle anderen Faktoren auswirkt. Wir haben unsere Trainings deswegen etwas umgestellt und fokussieren uns jetzt stärker auf die Arbeit mit persönlichen Werten und die Frage, wie ich mich der Welt verbunden fühlen kann.

Eine Studentin sitzt mit einem aufgeklapptem Buch über dem Gesicht unter einem Baum.

Gibt es Transfer auch in die andere Richtung – aus der Praxis zurück in die Forschung?

HELMREICH Ja, das ist ein Geben und Nehmen. Anfragen nach bestimmten Trainings können gezielte Recherchen anregen, zum Beispiel: Wie ist eigentlich der Forschungsstand zur Resilienz bei Arbeitslosen? Für uns Forschende sind die Erfahrungen aus der Praxis sehr anregend, um Forschungsfragen weiterzuentwickeln.

TROMMER Das Projekt »Gesund studieren«, das letztes Wintersemester gestartet ist, zielt auch in diese Richtung: Studierende stehen durch Prüfungsdruck, Zukunftsängste und vielfältige andere Faktoren unter großer psychischer Belastung. Die Studienabbruchquote bleibt seit Jahren auf einem hohen Niveau. Deshalb wurden wir vom Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit Rheinland-Pfalz gebeten, Resilienzfördermaßnahmen zu entwickeln, die Studierenden den Umgang mit stressvollen Lebensereignissen und Belastungen im Studium erleichtern. Dazu gehören individuelle Coachings, Großgruppenformate in Präsenz und online. Gleichzeitig testen wir, welche Maßnahmen von den Studierenden besonders gut angenommen werden, damit wir sie dann langfristig anbieten können.

Welche aktuellen Entwicklungen finden Sie besonders spannend?

HELMREICH Der sinnvolle Einsatz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz beschäftigten natürlich auch uns. Personalisierte Apps werden sich immer stärker etablieren. Über Fragebögen, Sensoren und Trackingapps für Herzfrequenzen oder Aktivitätslevel können Stressmarker mit dem Smartphone erfasst werden. Wenn sie darauf hinweisen, dass die Person gerade gestresst ist, können individuelle Prompts ausgeben werden, zum Beispiel: »Mach mal eine Atemübung!« Daran forschen wir.

TROMMER Für unsere Beratungen und Trainings ist die richtige Balance aus Online-Angeboten und echten Begegnungen eine Herausforderung. Gerade beim Thema Resilienz kann es sehr schnell persönlich werden – das lässt sich im direkten Kontakt besser auffangen und bearbeiten als im virtuellen Raum. Einige, vor allem jüngere Menschen haben während der Corona-Pandemie verlernt, mit anderen Menschen zu reden und sich souverän in einer Gruppe zu bewegen. Das müssen wir berücksichtigen.

HELMREICH Und gerade beim Transfer müssen wir aufpassen: Die Resilienz-Idee kann missbraucht werden.

Wie meinen Sie das?

HELMREICH Manches können wir nicht aus eigener Kraft ändern. Wir können dann entweder an unserer Haltung, unserem Umgang mit solchen Situationen arbeiten. Wir können die Situation aber auch verlassen. Wenn die Gesellschaft oder ein Arbeitgeber die Erwartung hat: »Mach dich fitter und pass dich besser an die Umstände an, damit du noch mehr für uns leisten kannst«, wird der Resilienz-Ansatz auf denkbar schlechte Weise instrumentalisiert. Resilienz bedeutet auch, seine Grenzen zu kennen und sie zu respektieren. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich vergleichsweise stressanfällig bin, ist es gut, das zu kommunizieren. Es ist auch ok einzufordern, dass sich die Strukturen ändern oder die Arbeitsbedingungen. Dass sich also etwas ändert – nicht ich.

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