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Bald ist Bundestagswahl und auf allen Kanälen präsentieren sich Kandidaten und Parteien. Aber über welche Medien informieren sich die Jungwählerinnen und -wähler? Also alle unter 30? In unserem Podcast »Tonspur Wissen« spricht die Journalistin Ursula Weidenfeld darüber mit der Medien-und Kommunikationswissenschaftlerin Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut (HBI).

LEONIE WUNDERLICH

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI). Sie erforscht unter anderem, wie sich die Menschen in Deutschland informieren und wie es um die Nachrichtenkompetenz, insbesondere der Bevölkerung unter 30 Jahren, bestellt ist.

LEIBNIZ Frau Wunderlich, wie informiert sich die Generation unter 30 über Politik?

LEONIE WUNDERLICH Kurze Antwort: Unterschiedlich. Lange Antwort: Wenn wir von der Generation unter 30 sprechen, reden wir sowohl von Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren, als auch über junge Erwachsene, also 18- bis 29-Jährige. Gemeinsam ist ihnen, dass sie einen Mix aus Informationsquellen nutzen. Die Jugend-Information-Medien-Studie hat gezeigt, dass bei Informationen zum aktuellen Weltgeschehen persönliche Gespräche eine ganz große Rolle spielen. Also Gespräche in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis. Medien vermitteln solche Informationen erst in zweiter Linie.

Welche Medien sind das dann?

Jugendliche, also 12 bis 19-Jährige, konsumieren viele Nachrichten klassisch, weil sie noch im Elternhaus wohnen und Radio mithören oder Fernsehen mitschauen. Aber Social Media Plattformen spielen eine immer größere Rolle. TikTok, Instagram und YouTube sind für Jugendliche sehr relevant, für junge Erwachsenen sind es eher Instagram und YouTube – TikTok gar nicht unbedingt, auch wenn diese Plattform immer wichtiger wird.

Wann spielt Politik bei Gesprächen in der Familie und mit Freunden eine Rolle?

Zum Beispiel, wenn die Jugendlichen mit den Eltern gemeinsam Nachrichten schauen. Oder wenn die Familie am Essenstisch über politische Themen spricht. Das ist breit gefächert: Von aktuellen Ereignissen bis zu Themen, die junge Menschen bewegen. Wenn sie darüber nicht viel wissen, fragen sie nach und Ansprechpartner sind natürlich in den meisten Fällen die Eltern, weil ihnen mehr Wissen zugeschrieben wird.

Wo informieren sich die jungen Menschen noch?

Die Schule spielt eine wichtige Rolle. In vielen Fächern werden Schülerinnen und Schüler angehalten, sich auf dem Laufenden zu halten. Oder es werden aktuelle politische Ereignisse im Unterricht diskutiert, im Politik- oder Gesellschaftsunterricht beispielsweise. Das ist sehr wichtig, weil die Jugendlichen Diskussionskultur üben können: Sie lernen, mit Mitschülerinnen und Mitschülern über politische Themen ins Gespräch zu kommen. Das ist wirklich ein sehr wichtiger Punkt. Man denkt ja immer, heutzutage findet sowieso alles digital und in den sozialen Medien statt. Aber das gilt eben nicht, wenn es um aktuelle Informationen geht, vor allem nicht bei politischen Informationen. Die sozialen Medien dienen in erster Linie zur Unterhaltung, nicht zur politischen Informationssuche.

Foto LEIBNIZ INSTITUT FÜR MEDIENFORSCHUNG/DAVID AUSSERHOFER

Welche Rolle spielen die klassischen Medien Radio, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften in der Generation der 18- bis 35-Jährigen?

Printmedien oder lineare Programme im Fernsehen werden wird nicht mehr so stark genutzt wie früher. Das zeigt uns beispielsweise der Reuters Institute Digital News Report, eine international vergleichende Langzeitstudie, die die Nachrichtennutzung von 18- bis 24-jährigen erhebt. Die Daten zeigen, dass diese Gruppe für Nachrichten vor allem das Internet nutzt, zum Beispiel über Nachrichtenapps, über Mediatheken oder andere nichtlineare Angebote von Print- und Rundfunkmarken.

Unterscheiden junge Mediennutzer zwischen journalistischen Inhalten und Informationen aus anderen Quellen, zum Beispiel von Politikern oder Freunden?

Generell gilt vor allem in sozialen Medien: Content vor Quelle. Ich schaue mir an, was meine Aufmerksamkeit erregt und für mich interessant ist. Ich gehe nicht in erster Linie danach, wer der Absender ist. Dabei kommt es aber auf die Themen an. Wir wissen aus Studien, dass vor allem bei leichteren Lifestylethemen, sogenannten Soft News, wirklich vor allem auf den Content geachtet wird. Bei politischen Informationen schauen die Nutzer durchaus nach: Wer ist denn der Absender? Wer liefert mir diese Informationen und die Fakten? Aber das ist ein sehr vielschichtiger Prozess. Es kommt wirklich darauf an: Wer schaut sich den Content gerade an? Um welches Thema geht es? Und wie ist die Nutzungssituation? Denn nicht immer hat man Zeit und Lust, sogenannte Verifizierungsprozesse anzustoßen und noch mal ganz genau nachzuschauen.

Wie wichtig sind Influencer, also Leute, denen ich zum Beispiel folge, weil sie gut kochen können, die mir dann aber auf einmal eine politische Ansage machen?

In den vergangenen Jahren sind viele Influencer von ihrem ursprünglichen Kernthema weggegangen und äußern sich auch zu großen politischen Themen. Für junge Menschen spielen diese sogenannten politischen Influencer schon eine große Rolle. Erstens liefern sie Gesprächsstoff, über den man mit Freunden sprechen kann. Diese soziale Integration ist für junge Menschen sehr wichtig. Zweitens wird Influencern großes Einflusspotenzial zugesprochen, weil sie in der Regel zur selben Altersgruppe gehören, also die Lebensrealität junger Menschen teilen und auf Augenhöhe kommunizieren. Sogenannte parasoziale Beziehungen fördern Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Was heißt das?

Das bedeutet, dass man eine scheinbar enge Beziehung zu diesen Persönlichkeiten aufbaut. Man schreibt ihnen zum Beispiel die Fähigkeit zu, komplexe politische Sachverhalte für junge Leute runterbrechen zu können. In der Regel ist es trotzdem nicht so, dass junge Menschen alles, was von Influencern kommt, vollkommen unreflektiert übernehmen. Diese Persönlichkeiten sind ein wichtiger Orientierungspunkt: Man kann ihre Meinungen zu bestimmten politischen Themen nutzen und sich damit auseinandersetzen.

Foto BROOKE CAGLE/UNSPLASH

Und wie verändert sich die Kommunikation von Politikern mit ihrem Publikum? Wir haben ja in den letzten Wochen erstaunliche Entwicklungen gesehen, zum Beispiel auf TikTok, einem Kanal, den die etablierte Politik bisher immer gemieden hat.

Eine aktuelle Online-Tagebuch-Studie von der Landesanstalt für Medien NRW hat sich diesem Thema gewidmet. Die Forschenden haben sich genau angeguckt: Wie nehmen junge Menschen politische Inhalte wahr, insbesondere Parteiauftritte und Content der Parteien auf TikTok und Instagram? Zitieren möchte ich das Ergebnis, dass die TikTok-Kanäle der AfD und der Grünen als besonders unterhaltsam angesehen werden. Das bedeutet nicht unbedingt, dass die Studienteilnehmer mit den Positionen dieser Parteien übereinstimmen. Aber die Inhalte und die Art, wie kommuniziert wird, werden als unterhaltsam angesehen. Den TikTok-Kanälen der Linken und des BSW wird der höchste Informationsgehalt zugesprochen.

Welche Folgen hat es für politische Kommunikation, dass junge Menschen größeren Wert auf Humor und Comedy legen?

Da würde ich zurückfragen: Ist das so? Natürlich, wenn wir über Social Media-Plattformen und den Content dort sprechen, dann werden diese Stilelemente häufig für die Kommunikation genutzt. Aber diesen Medien wendet man sich auch primär zu, weil man unterhalten werden möchte: Man hat vielleicht Zeit zu vertrödeln, will sich irgendwas Lustiges anschauen. Wenn man jetzt Akteur einer Partei ist, muss man sich also überlegen: Wie erreiche ich die junge Zielgruppe auf diesen Plattformen? Wie müssen meine Inhalte aufbereitet sein? Eine Möglichkeit ist, mit Unterhaltung und Comedy interessante Inhalte aufzubereiten.

Funktioniert das denn?

Man kann sich schon fragen, ob es zweckdienlich ist. Es gibt junge Menschen, die sagen: Für mich passen politische Informationen und Comedy nicht zusammen. Das eine sind harte Fakten und ernste Themen und das andere Unterhaltung – das schließt sich gegenseitig aus. Andererseits hören wir aber immer wieder: Wir wollen genau diese Verbindung, weil dadurch schwer verständliche oder komplexe politische Themen aufbereitet werden können.

Wie bedeutend sind denn die Social Media-Strategien der Parteien für die Wahlen? Liegt es an den Informationskanälen, dass die Erst- und Zweitwähler zuletzt ganz andere Parteipräferenzen hatten als der Rest der Bevölkerung?

Ich würde dem Ganzen keine zu große Bedeutung beimessen, weil diese Plattformen nur ein Teil im Medienrepertoire junger Menschen sind. Sie sind mit so vielen anderen Positionen, Inhalten, Medienangeboten konfrontiert und beschäftigt, dass man da keine monokausalen Wirkungszusammenhänge herstellen sollte.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut (HBI) können Sie in voller Länge im Podcast Tonspur Wissen von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für leibniz haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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