Wenn es blitzt und donnert und regnet, dann herrscht Chaos im Himmel. Wolken bestehen aus unzähligen winzigen Partikeln, an denen sich Feuchtigkeit sammelt. Sobald diese so viel Wasser aufgenommen haben, dass die relative Luftfeuchtigkeit über 100 Prozent steigt, ist die Luft übersättigt – das Wasser will aber irgendwohin. Durch Turbulenzen, die durch Unterschiede bei Temperatur, Luftdruck und Wind entstehen, geht es in den Wolken sehr chaotisch zu. Dieses Chaos ist jedoch essenziell, da sich dadurch verschieden große Wassertropfen bilden. Und wären alle Tropfen gleich groß, gäbe es keinen Regen. Damit die Tropfen tatsächlich zu Boden fallen, müssen einige größer sein als andere. Die dicken sammeln die kleineren ein und reißen sie mit. Das kann man sich vorstellen wie Tropfen an einer Duschkabine: Sie laufen die Wand runter und nehmen auf ihrem Weg andere Tropfen auf.
Mit Feldforschung, also in echten Wolken, kann man die Größenverteilung der Tröpfchen kaum untersuchen. Das Chaos innerhalb der Wolke macht es extrem schwierig. Andere Wissenschaftler betrachten Chaos oft als Störfaktor, weil sie es nicht messen können. Doch für unsere Forschung ist es kein Hindernis, sondern ein Werkzeug.
Mein Team erforscht, wie Turbulenzen die Verteilung von großen und kleinen Tropfen beeinflussen. Dabei hilft uns der turbulente Feuchtluft-Windkanal an unserem Institut, der LACIS-T. Er ist der bisher einzige seiner Art, und mit seiner Hilfe können wir den Einfluss von Turbulenz auf Aerosolpartikel, Wolkentropfen und Eiskristalle untersuchen. In den Windkanal leiten wir Luftströme, die unterschiedlich warm, feucht oder mit Partikeln beladen sind. Treffen sie zusammen, entstehen Turbulenzen und Übersättigung. Mit unserem Gerät können wir das Chaos also nicht nur bändigen, wir können es sogar steuern.
Bisher hatten wir nur Indizien, wie sich Turbulenzen auf Wolken auswirken. Jetzt wollen wir die physikalischen Grundlagen verstehen, um genauer sagen zu können, wie sich verschiedene Faktoren gegenseitig beeinflussen. Sehr spannend sind für uns dabei zum Beispiel Gewitter . Sie entstehen oft in der sogenannten Mischphase einer Wolke, in der sowohl flüssiges Wasser als auch Eis vorhanden sind. Wasser gefriert von alleine erst ab etwa -38 Grad Celsius. Es kann also Temperaturen von unter 0 Grad haben, ohne zu Eis zu werden. Ist es wärmer als -38 Grad, braucht es zusätzlich Aerosole in der Luft, winzige Teilchen, an denen sich Eiskristalle bilden können.
Wenn Wasser seinen Zustand verändert – von gasförmig zu flüssig oder von flüssig zu fest –, wird Energie freigesetzt. Je geordneter die Struktur wird (beispielsweise von Tropfen zu Eis), desto mehr Energie gibt das Wasser ab, wodurch sich die Umgebung erwärmt. In Gewitterwolken gibt es Bereiche, in denen flüssiges Wasser und Eis gleichzeitig vorkommen. Diese Mischung führt zu elektrischen Spannungen, weil unterschiedlich geladene Teilchen entstehen. Wenn diese Spannung zu groß wird, entlädt sie sich als Blitz, begleitet von Donner. Das Gewitter entsteht also durch die chaotischen Prozesse innerhalb der Wolke, die durch die Umwandlung von Wasser und Eis angetrieben werden.
Bei experimenteller Forschung, wie unserer, gibt es immer wieder Rückschläge. Da ist viel Potenzial, doch man kommt nur voran, wenn man sehr viele Daten zu möglichst vielen Parametern sammelt und auswertet. Dabei muss man aufpassen, sich nicht im Chaos zu verlieren. Sonst geht es irgendwann nicht nur in den Wolken drunter und drüber. Wir stehen ganz am Anfang unserer Forschung, es gilt noch viele Fragen zu klären, bis wir das Chaos in der Atmosphäre wirklich verstehen können. In Zukunft jedoch kann unsere Forschung helfen, Klimamodelle zu verbessern – deswegen lohnt es sich, dranzubleiben. Da trifft es sich gut, dass ich ein Stehaufmännchen bin. Gerade in unserem Bereich sollte man Freude an Herausforderungen haben – und eine gewisse Resilienz gegen Niederschläge.