Die Leibniz-Gemeinschaft wird 30 Jahre alt, doch zum Jubiläum blicken wir nicht zurück, sondern befragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen. Was für ein Lebensgefühl haben sie, welche Erfahrungen machen sie als junge Forschende – und wie könnten ihre Erkenntnisse die Welt in 30 Jahren ein Stück verbessert haben? In Folge 2 antwortet die Klimawissenschaftlerin Lena Nicola. Sie promoviert am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
LEIBNIZ: Frau Nicola, wie würden Sie Ihr Forschungsthema jemandem auf einer Party erklären?
LENA NICOLA: Ich berechne mit meinem Computer, wie sich die Antarktis in Zukunft verändert oder verändern könnte.
Und was würden Sie zu einem Kollegen oder einer Kollegin sagen?
Ich untersuche mit den Eismodellen PISM (Parallel Ice Sheet Model) und ISSM (Ice Sheet System Model), wie sich extremes sub-glaziales Schmelzen und Extremereignisse an der Eisoberfläche auf die zukünftige Stabilität des antarktischen Eisschildes auswirken.
Wie könnte Ihre Forschung die Welt in 30 Jahren ein Stückchen verbessert haben? (Sie dürfen träumen.)
Die Vorhersagen zum ansteigenden Meeresspiegel wurden endlich ernstgenommen, sodass die Treibhausgasemissionen stark reduziert werden konnten. Küstenstädte müssen daher nicht Unsummen in neue Deiche oder Umsiedlung stecken. Kleine Inselstaaten müssen ihre Gebiete nicht aufgeben.
Was war bisher der schönste Moment in Ihrem Leben als Forscherin?
Im Studium: mit dem Schneemobil auf Feldarbeit fahren, um zu lernen, wie man Eiskerne bohrt. Im PhD: mein Forschungsaufenthalt in Australien. Auch schön: endlich die finale Zulassung eines Papers zur Publikation zu bekommen – nach drei Jahren!

In welcher Epoche wären Sie gerne Wissenschaftlerin gewesen? Oder ist heute die beste Zeit?
Heute ist die beste Zeit! Frauen sind zwar immer noch unterrepräsentiert in meinem Fachbereich, vor allem als Professorinnen. Trotzdem gibt es heute viel mehr Vorbilder und Mentorinnen. Erst seit wenigen Jahren wird auch nicht mehr am menschengemachten Klimawandel gezweifelt, zumindest ist er jetzt in den meisten Ländern gesellschaftlicher Konsens. Auch das Allgemeinwissen zum Thema Klimawandel ist so gut wie nie.
»Ein Leben für die Wissenschaft« – könnte dies einst der Untertitel für Ihre Biografie sein? Wenn nicht: Welchen Untertitel fänden Sie passend?
Vielleicht. Was ich mir aber auch vorstellen könnte: »If you can dream it, do it!«. Oder: »Go where your passion takes you«.
Wenn Sie sich mit Menschen Ihres Alters treffen, die nicht in der Wissenschaft arbeiten: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?
Die Perspektive auf den Job. Manche arbeiten bereits seit vielen Jahren auf einer unbefristeten Stelle oder haben nach der Ausbildung oder dem Studium direkt eine solche angetreten. Bei mir ist das, wenn überhaupt, erst in ein paar Jahren der Fall.
Wenn Sie sich mit älteren Forschenden Ihrer Disziplin treffen: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?
Der Track-Record? Natürlich gibt es auch Unterschiede in den wissenschaftlichen Leistungen. Manche haben die ersten numerischen Computermodelle geschrieben, nach anderen wurden Gletscher in der Antarktis benannt. Ich stehe hier nur auf den Schultern von Riesen, wie man so schön sagt.
Was ist Ihre größte Unsicherheit, bezogen auf Ihre Karriere?
Nicht zu wissen, ob man »gut genug« oder zumindest zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle sein wird, um eine der wenigen festen Stellen in der Wissenschaft ergattern zu können.
Wie schaffen Sie es, trotzdem gelassen zu bleiben?
Ich versuche, den Spruch »We cross the bridge when we get to it« zu verinnerlichen und stets mein Bestes zu geben.
Einmal habe ich im Traum eine neue Pinguinart entdeckt.
Welche Eigenschaft halten Sie für die wichtigste, um Karriere in der Wissenschaft zu machen?
Eine Kombination aus Motivation, Leidenschaft und Durchhaltevermögen.
Wie werden Sie als Wissenschaftlerin in der Gesellschaft wahrgenommen?
Ich denke, dass wir meist als sachlich und kompetent gesehen werden. Natürlich gibt es auch das Bild der naturwissenschaftlichen Nerds ohne große Sozialkompetenzen, das auch durch Fernsehserien wie »The Big Bang Theory« vermittelt wird. Meiner Meinung nach trifft das aber nicht zu.
Und wie würden Sie gerne wahrgenommen werden?
Nicht allzu anders, außer vielleicht, dass wir durchaus auch oft kreativ sind – und nicht alles wissen können.
Bitte ergänzen Sie die folgenden Sätze. Sie können realistische Wünsche äußern oder Ihre Fantasie spielen lassen. Satz Nummer 1: Meine Arbeit wäre so viel einfacher, wenn …
... wir den größten, effizientesten, CO2-neutralen Hochleistungsrechner der Welt hätten.
Davon hätte ich gern mehr:
Zeit.
Wenn ich etwas sofort abstellen könnte, wären das …
... die menschengemachten CO2-Emissionen.
Jede/r sollte wissen, dass …
... wir die Veränderungen in der Antarktis weltweit spüren werden. Auch hier in Deutschland.
Um das ein für alle Mal richtig zu stellen:
Die Antarktis liegt am Südpol, dort leben Pinguine. Am Nordpol findet man die Eisbären (in der Arktis).
Ihr liebster Arbeitsplatz?
Mein Büro auf dem Campus am Telegrafenberg. Eine sehr idyllische Arbeitsumgebung!


Träumen Sie manchmal von der Arbeit? Wenn ja: Sind es angenehme Träume?
Ja klar, ich träume von der Arbeit. Einmal habe ich im Traum eine neue Pinguinart entdeckt.
Nach dem Aufwachen: Wie fängt Ihr Tag gut an?
Mit einem guten Flat White.
Worauf freuen Sie sich an einem ganz normalen Arbeitstag?
Meine fertig gerechneten Computersimulationen anschauen zu können.
Worauf freuen Sie sich, wenn Ihr Arbeitstag zu Ende geht?
Auf mein tägliches Facetime mit meinem Partner, der in Hamburg lebt. Und auf mein Fitnessworkout.
Ein hilfreicher Snack für zwischendurch?
Ein Nussriegel oder Obst.
Eine kleine Flucht aus dem (Arbeits)Alltag, die Ihnen hilft, schnell wieder aufzutanken?
Ein Tagestrip in eine andere Stadt oder eine Wanderung an einem langen Wochenende.
Was hilft Ihnen, Ideen zu finden?
Ich kritzele gerne herum. Oder rede und brainstorme mit jemandem.
Was hilft Ihnen, Ihren Fokus zu behalten?
Meine Noise-Cancelling-Kopfhörer.
In welchen Momenten vergessen Sie während der Arbeit alles andere um sich herum?
Wenn mein Computercode »durchläuft« und keine Probleme verursacht – und ich einfach weiter und weiter und weiter machen kann. Eine Art Tunnelblick-Erfahrung!
Ein Stillleben auf Ihrem Schreibtisch?

LENA NICOLA ist 29 Jahre alt und promoviert im Fachbereich Klimaphysik an der Universität Potsdam und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Sie nutzt Computermodelle, um die Antarktis und deren Zukunft besser zu verstehen. Während mehrerer Aufenthalte auf Spitzbergen (Arktis) sammelte sie praktische Felderfahrungen in der Glaziologie. Sie ist Co-Vorsitzende von APECS Germany, einem Netzwerk aus Nachwuchs-Polarforschenden und Junior-Chief-Editorin der Zeitschrift »Polarforschung«, die vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung herausgegeben wird.