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Die Leibniz-Gemeinschaft wird 30 Jahre alt, doch zum Jubiläum blicken wir nicht zurück, sondern befragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen. Was für ein Lebensgefühl haben sie, welche Erfahrungen machen sie als junge Forschende – und wie könnten ihre Erkenntnisse die Welt in 30 Jahren ein Stück verbessert haben? In Folge 22 antwortet Martin Detzel. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffein Kaiserslautern und beschäftigt sich mit Wiederaufbereitung und Reparatur in der Verarbeitungstechnik.

Weitere Beiträge aus der Rubrik 30 um die 30 gibt es hier.

LEIBNIZ Herr Detzel, wie würden Sie Ihr Forschungsthema jemandem auf einer Party erklären?

MARTIN DETZEL Ich untersuche das Recycling von Kohlenstofffasern und deren besonderes Potenzial in der Weiterverarbeitung. Die Kohlenstofffasern, die wir wiederverwerten wollen, finden sich zum Beispiel in Flugzeugen, Supersportwagen und Sportprodukten wie Fahrrädern oder Laufschuhen. Nicht nur diese Endprodukte können sehr teuer sein, bereits die Herstellung der Kohlenstofffasern ist mit hohen Kosten und einem großen Energieaufwand verbunden. Deshalb sind Recycling und Wiederverwertung in diesem Fall ja auch so wichtig und sinnvoll, um einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten.

Und was würden Sie zu einem Kollegen oder einer Kollegin sagen?

Ich verarbeite Stapelfasergarne, die aus recycelten Kohlenstofffasern mit einer Länge von etwa 80 Millimetern und einer thermoplastischen Matrix bestehen, in einem modifizierten Kalandrierprozess zu Tapes. Während des Prozesses werden die Garne gezielt verstreckt, um die Faserorientierung zu erhöhen und dadurch die mechanischen Eigenschaften in Produktionsrichtung zu verbessern. Die Tapes können anschließend in einem konventionellen Tapelegeprozess zu Preforms abgelegt und danach in einem Thermoformprozess zu Bauteilen umgeformt werden. Durch die endliche Länge der Stapelfasern können diese, sobald die Matrix sich im schmelzflüssigen Zustand befindet, aneinander abgleiten. Hierdurch können Umformgrade, die mit denen von Metallen vergleichbar sind, erreicht werden.

Was war bisher der schönste (oder wichtigste) Moment in Ihrem Leben als Forscher?

Zu sehen, wie sich theoretische Überlegungen im praktischen Versuch umsetzen lassen, ist ein sehr schöner Moment. So ging es mir, als ich einen Prüfstand zur Untersuchung des Verformungsverhaltens von Proben aus den Stapelfasergarnen konstruiert und aufgebaut habe. Als die Versuche nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten doch funktionierten und die Tests erfolgreich durchgeführt werden konnten, war das überwältigend.

Wie könnte Ihre Forschung die Welt in 30 Jahren ein Stückchen verbessert haben? (Sie dürfen träumen.)

Es wäre schön, wenn in 30 Jahren sämtlicher Kohlenstofffaserverschnitt, also trockene Abfälle wie Spulenreste oder Fehlproduktionen, die bei der Arbeit anfallen, bereits ein zweites Leben in neuen Anwendungen erhält und erst nach mehreren Recyclingschritten der thermischen Verwertung zugeführt wird. Ist das erreicht, geht es um die nachhaltige Wiederverwertung der Fasern aus ausgedienten Bauteilen.

In welcher Epoche wären Sie gerne Wissenschaftler gewesen? Oder ist heute die beste Zeit?

Das Thema Recycling und Nachhaltigkeit hat sich in Forschung und Industrie erst in den letzten Jahrzehnten wirklich entwickelt. Deshalb denke ich, dass genau heute die beste Zeit ist, um als Wissenschaftler in diesem Bereich zu arbeiten.

»Ein Leben für die Wissenschaft« – könnte dies einst der Untertitel für Ihre Biografie sein? Wenn nicht: Welchen Untertitel fänden Sie passend?

Der Untertitel passt eher nicht zu mir, passender wäre: »Nicht nur Fasern haben eine zweite Luft«. Ich treibe sehr gerne Ausdauersport, laufe Marathon und auch Triathlon. Ab und zu ist man dabei ziemlich am Ende, aber kurz vor dem Ziel bekommt man immer eine »zweite Luft« – genau wie die Fasern nach ihrem Recyclingprozess, um anschließend wieder leistungsfähig zu sein.

Recycling und Nachhaltigkeit ist in Forschung und Industrie erst in den letzten Jahrzehnten zum Thema geworden.

MARTIN DETZEL

Wenn Sie sich mit Menschen Ihres Alters treffen, die nicht in der Wissenschaft arbeiten: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?

Der größte Unterschied besteht meiner Meinung nach in der Planungssicherheit des Arbeitsplatzes. Viele meiner Freunde sind unbefristet angestellt und richten ihr Leben danach aus, kaufen oder bauen ein Haus und können langfristig planen.

Wenn Sie sich mit älteren Forschenden Ihrer Disziplin treffen: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen?

Wir gehen meist noch mit jugendlichem Elan an die Aufgaben heran und versuchen die Vorlesungsinhalte direkt anzuwenden und so viel wie möglich auszuprobieren. Die Älteren haben bereits mehr Expertise und denken daher teilweise stärker innerhalb ihrer bekannten Strukturen, weniger »out of the box«.

Welche Eigenschaft halten Sie für die wichtigste, um Karriere in der Wissenschaft zu machen?

In meinem Bereich halte ich eine Mischung aus analytischem Denken und Hands-on-Mentalität für besonders wichtig. Man muss komplexe Zusammenhänge verstehen und gleichzeitig bereit sein, praktisch anzupacken, Dinge auszuprobieren und eigene Lösungen zu entwickeln.

Wie werden Sie als Wissenschaftler in der Gesellschaft wahrgenommen?

Da ich viel Zeit im Labor arbeite und mich intensiv mit wissenschaftlichen Fragen beschäftige, sind viele Menschen oft überrascht, weil die Abläufe in der Forschung ganz anders sind als im Alltag.

Und wie würden Sie gerne wahrgenommen werden?

Neben der reinen wissenschaftlichen Arbeit übernehmen wir auch Aufgaben im Projektmanagement, verbringen viel Zeit mit bürokratischen Tätigkeiten, der Betreuung von Studierenden, dem Verfassen von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Projektanträgen. Auch dieser Teil unserer Arbeit sollte in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unter den Tisch fallen.

Bitte ergänzen Sie die folgenden Sätze. Sie können realistische Wünsche äußern oder Ihre Fantasie spielen lassen. Satz Nummer 1: Meine Arbeit wäre so viel einfacher, wenn …

… wir weniger bürokratische Aufgaben übernehmen müssten und das Einbringen von Ideen für Forschungsprojekte nicht durch das Fehlen geeigneter Förderaufrufe, eine als zu gering eingeschätzte gesellschaftliche Relevanz oder die oftmals niedrigen Bewilligungsquoten erschwert werden würde.

Davon hätte ich gern mehr…

… Zeit, um alle anstehenden Aufgaben, einschließlich meiner Dissertation, nach meinen eigenen Ansprüchen fertigzustellen.

Wenn ich etwas sofort abstellen könnte, wären das …

… die hohen Kosten für Open-Access-Publikationen. Dadurch versauern die Paper von Autorinnen und Autoren, die die Gebühren nicht zahlen wollen oder können, hinter einer Paywall.

Jede/r sollte wissen, dass …

… wissenschaftliches Arbeiten auch harte Arbeit ist und wir nicht wirklich vom Arbeiten abschalten können. Oft gibt es Deadlines, sodass wir auch mal länger arbeiten und die Zähne zusammenbeißen müssen. Es ist kein klassischer nine-to-five-Job.

Um das ein für alle Mal richtigzustellen:

Recycelte Kohlenstofffasern sind keineswegs »schlechter« als Primärfasern. Wenn man sie richtig verarbeitet und die Fasern gezielt ausrichtet, können sie in Verbundwerkstoffen fast die gleichen mechanischen Eigenschaften erreichen.

Ideen sollte man nicht erzwingen. Meist entstehen die besten Ideen ganz zufällig, zum Beispiel beim Duschen.

Was ist Ihre größte Unsicherheit, bezogen auf Ihre Karriere?

Die wirtschaftliche Lage im Land, insbesondere im Bereich Maschinenbau, sieht derzeit nicht sehr gut aus, weshalb es aktuell sehr schwer ist, einen Job zu finden.

Wie schaffen Sie es, trotzdem gelassen zu bleiben?

Ich habe noch einige Jahre in der Forschung vor mir – und hoffe, dass sich die Arbeitsmarktsituation bis dahin deutlich verbessert haben wird!

Träumen Sie manchmal von der Arbeit? Wenn ja: Sind es angenehme Träume?

Meistens erinnere ich mich nicht an meine Träume, aber wenn ich es dann doch mal tue, geht es meist um die für den nächsten Tag anstehenden Aufgaben.

Ihr liebster Arbeitsplatz?

Am liebsten bin ich im Labor an unseren Anlagen, weil dort die Forschung ganz unmittelbar stattfindet. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Die anschließende Auswertung ist der eigentliche wissenschaftliche Teil, aber am meisten Spaß macht mir die schöpferische Tätigkeit: Demonstratoren und Proben herzustellen, Anlagen zu bedienen und die Proben schließlich zu prüfen und ihr Versagensverhalten zu verstehen.

Eine Kritzelei während eines Meetings?

Nach dem Aufwachen: Wie fängt Ihr Tag gut an?

Zunächst gönne ich mir eine große Tasse Kaffee, anschließend geht es, wenn das Wetter mitspielt, mit dem Fahrrad ins Büro.

Worauf freuen Sie sich an einem ganz normalen Arbeitstag?

Am meisten Spaß macht es mir, Ideen in die Tat umzusetzen. Zum Beispiel, Parameter zur Verbesserung der Materialeigenschaften zu verändern und anschließend zu prüfen, ob sich die erwarteten Effekte tatsächlich einstellen. Und wenn das einmal nicht klappt: die Diskussionen in der Kaffeeküche, woran es denn nun gelegen hat. Bei diesen Gesprächen entstehen meistens schon neue Lösungswege.

Worauf freuen Sie sich, wenn Ihr Arbeitstag zu Ende geht?

Ich freue mich auf die gemeinsame Zeit mit meiner Frau, in der wir gerne Serien schauen, zusammen Sport treiben oder zu ihrer Reitbeteiligung gehen. Aber auch auf die Zeit alleine beim Sport, um komplett abschalten zu können.

Ein hilfreicher Snack für zwischendurch?

In den Sommermonaten gibt es bei uns in der Kaffeeküche oft Eis. Meist sind die Packungen innerhalb weniger Tage von den Kolleginnen und Kollegen – mich eingeschlossen – leer gegessen.

Eine kleine Flucht aus dem (Arbeits)Alltag, die Ihnen hilft, schnell wieder aufzutanken?

Die Heimfahrt mit dem Fahrrad nutze ich, um den Kopf direkt wieder frei zu bekommen. Falls das mal nicht klappt gehe ich abends zusammen mit meiner Frau an die frische Luft.

Was hilft Ihnen, Ideen zu finden?

Ideen sollte man nicht erzwingen. Meist entstehen die besten Ideen ganz zufällig, beim Duschen, kurz vor dem Einschlafen oder manchmal sogar während des Sports. Das Schwierigste dabei ist oft, sich danach noch an besagte Idee zu erinnern.

Was hilft Ihnen, Ihren Fokus zu behalten?

Wenn es sich um eine große Aufgabe handelt, greife ich zuerst zu einer Tasse Kaffee und schließe mich im Büro ein, um in der Konzentrationsphase nicht ungewollt unterbrochen zu werden. Bei vielen kleinen Aufgaben erstelle ich hingegen Kalendereinträge, um festzulegen, wann ich welche Aufgaben erledigen möchte.

In welchen Momenten vergessen Sie während der Arbeit alles andere um sich herum?

Bei den Versuchen im Labor vergisst man oft die Zeit und ist hinterher überrascht, wie spät es plötzlich ist.

MARTIN DETZEL (30) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) und seit 2022 im Programmbereich »Verarbeitungstechnik« im Kompetenzfeld »Remanufacturing & Repair«. Sein Studium im Fach Maschinenbau und Verfahrenstechnik schloss er an der Technischen Universität Kaiserslautern mit dem Schwerpunkt Materialwissenschaften und Werkstofftechnik ab.

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