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LEIBNIZ Was ist ein Growth Mindset?

KATHARINA ASBURY Menschen mit einem Growth Mindset glauben, dass sie sich durch Anstrengung und den Einsatz von Lernstrategien verbessern können. Dem gegenüber steht ein Fixed Mindset: die Überzeugung, dass ein Mensch wenig Einfluss darauf nehmen kann, wie intelligent er ist.

Das Deutsche Schulbarometer zeigt, dass nur 13 Prozent der Lehrkräfte ein ausgeprägtes Growth Mindset besitzen. Wie leicht lässt sich das eigene Mindset verändern?

Überzeugungen sind durchaus veränderbar, wie etwa die reichhaltige sozialpsychologische Interventionsforschung zeigen konnte. Es kommt darauf an, wie tief sie verankert sind. Manche Einstellungen sind nicht so leicht zu beeinflussen, aber sie sind sicher nicht in Stein gemeißelt. Das hat sich auch bei unserer Interventionsstudie bestätigt.

Was wollten Sie herausfinden und wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben mithilfe einer psychologischen Intervention das Growth Mindset von 16 angehenden Lehrkräften erhöht. Zusätzlich gab es eine zweite Interventionsgruppe von 15 Lehramtsstudierenden, die nicht an der Mindset-Intervention teilnahmen. Anschließend haben alle 31 angehenden Lehrkräfte zwölf Wochen lang insgesamt 160 leistungsschwachen Kindern Nachhilfeunterricht gegeben. Wir haben dann untersucht, wie sich die Mindsets der Lehramtsstudierenden verändert haben: Hatte die Intervention nur einen kurzen Effekt oder ist dieser über die 12 Wochen bestehen geblieben? Wie haben sich die Mindsets der Kontrollgruppe durch die Unterrichtserfahrung verändert? Und zeigten sich auch bei den Schülerinnen und Schülern Veränderungen beim Mindset?

Gerade herausfordernde Schülergruppen brauchen Lehrkräfte, die glauben, dass sie es schaffen können.

KATHARINA ASBURY

Wie sah Ihre Intervention aus?

Wir haben eine autobiografische Erinnerungsaufgabe verwendet. Biografiearbeit ist in diesem Fall sinnvoll, weil erlebte Dinge stärker im Gehirn mit Emotionen verknüpft sind. Wir haben die Teilnehmenden nach einer kurzen Einführung in die Mindset-Theorie gebeten, sich an eine bestimmte Situation in ihrem Leben zu erinnern: an die Erfahrung, dass sie ein Ziel erreicht haben, für das sie hart arbeiten mussten. Dann sollten sie die entscheidenden Faktoren identifizieren, die zum Erreichen des Ziels beigetragen haben. Die zwei häufigsten Faktoren: andere um Unterstützung zu bitten und Fehler als  notwendigen Schritt im Lernprozess zu betrachten. So haben sie es geschafft, dranzubleiben und am Ende ihr Ziel zu erreichen. In Gruppen haben sie anschließend über ihre Erfahrung diskutiert. Dabei haben wir auf den »Saying is Believing«-Effekt gesetzt: Menschen neigen dazu, Dinge eher zu glauben, die sie anderen gegenüber laut aussprechen.

Wieso haben Sie in Ihrer Studie mit leistungsschwachen Kindern gearbeitet?

Ein Growth Mindset der Lehrkraft ist für benachteiligte Kinder noch wichtiger als für privilegiertere, bei denen Lernversäumnisse in der Schule zuhause besser ausgeglichen werden können. Gerade herausfordernde Schülergruppen wie zum Beispiel an vielen Startchancen-Schulen brauchen Lehrkräfte, die glauben, dass sie es schaffen können.

Welche neuen Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Mit der Intervention ist es uns gelungen, die Widerstandskraft des Growth Mindsets zu stärken. Wer an der Intervention teilgenommen hatte, hatte nach der zwölfwöchigen Unterrichtsphase ein stabiles, weiter wachsendes Growth Mindset. Ganz anders war das bei den Lehramtsstudierenden, die nicht an der Intervention teilgenommen hatten. In dieser Gruppe war das Growth Mindset nach dem Unterricht mit den leistungsschwachen Kindern stark zurückgegangen. Anders gesagt: Diese Lehramtsstudierenden hatten nach zwölf Wochen Unterricht eher ein Fixed Mindset. Sie waren stärker als vorher überzeugt, dass man durch Anstrengung nur begrenzt Einfluss darauf nehmen kann, wie klug man ist, weil man nun einmal mit bestimmten Fähigkeiten geboren wird. Mit unserer Studie konnten wir also zeigen, dass ein durch eine Intervention gestärktes Growth Mindset für Lehrkräfte eine schützende Ressource ist. In bisherigen Studien wurde das Growth Mindset vor allem als Vorteil für die Schülerinnen und Schüler dargestellt, was es natürlich auch ist.

KATHARINA ASBURY
ist Psychologin und hat am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel intensiv zur Mindset-Theorie geforscht.

Hat sich das stabilere Growth Mindset der Lehrkräfte auch auf das der Kinder ausgewirkt?

Benachteiligte Kinder reagieren besonders sensibel auf Botschaften über ihre Leistungs- und Veränderungsfähigkeit. Das ist der zweite bemerkenswerte Befund unserer Studie: Bei den Kindern, die von den Lehrkräften mit einem stabilen, hohen Growth Mindset unterrichtet wurden, haben wir am Ende der Unterrichtsphase ebenfalls erhöhte Growth Mindsets festgestellt. Das ist sehr erfreulich, weil wir wissen, dass für benachteiligte Kinder ein Growth Mindset besonders wichtig ist – nicht nur ihr eigenes, sondern auch das ihrer Lehrkräfte. Benachteiligte Kinder reagieren besonders sensibel auf Botschaften über ihre Leistungs- und Veränderungsfähigkeit. Wenn sie jahrelang Misserfolge erleben, sinken das Selbstwirksamkeitskonzept und die Anstrengungsbereitschaft. Strengen sie sich nicht mehr an, bekommen sie keine guten Noten, das ist wie ein Teufelskreis. Ein Growth Mindset kann eine Möglichkeit sein, diese Abwärtsspirale zu durchbrechen.

Hat auch ein Fixed Mindset der Lehrenden Auswirkungen auf die Kinder?

Ja, leider haben wir einen sehr deutlichen Zusammenhang festgestellt, wenn die Lehramtsstudierenden ein Fixed Mindset hatten. Bei den Kindern hat sich dann ebenfalls eher ein Fixed Mindset entwickelt, also eine sehr schädliche Überzeugung, dass sich Anstrengung für sie nicht lohnt. Diese Lehrkräfte sollten wir besonders dringlich mit Interventionen zur Stärkung eines Growth Mindsets erreichen.

Was können Lehrkräfte konkret tun, um bei sich und den Kindern ein Growth Mindset zu fördern?

Mindset-förderliche Interaktionen im Unterricht zielen darauf, Anstrengung oder Leistungsbereitschaft zu loben und nicht die unmittelbare Performanz, etwa die Note in der Klassenarbeit. Es geht also immer darum, die Faktoren zu loben, auf die Schüler auch Einfluss nehmen können. Viele Lehrkräfte sagen aber gern: Wow, du bist ja richtig schlau. Wenn dem Schüler beim nächsten Mal etwas nicht so gut gelingt, denkt er möglicherweise: Jetzt bin ich nicht mehr schlau. Das ist bedrohlich für das Selbstwertgefühl. Genauso kritisch, aber ebenfalls weit verbreitet ist es, wenn Lehrkräfte einen sozialen Vergleich herstellen: Schaut mal, wie toll Elias das gemacht hat! Kinder erhalten hier keinerlei Hinweis darauf, wie sie sich selbst verbessern können. Zudem erleben gerade leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler ohnehin oft, dass sie im sozialen Vergleich unterliegen. Außerdem ist es wichtig, dass Lehrkräfte ihr eigenes Mindset kritisch reflektieren und sich zum Beispiel fragen, wie sie über Anstrengung denken. Denn unsere Studie zeigt ja deutlich: die Überzeugungen der Lehrkräfte kommen bei den Kindern an.

Das Interview mit Katharina Asbury erschien zuerst auf dem Deutschen Schulportal der Robert Bosch Stiftung, der größten deutschsprachige Onlineplattform zu den Themen Schulentwicklung und Unterrichtsentwicklung.

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