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Das Königreich des Plastiks ist nicht besonders groß, vielleicht acht Quadratmeter. Aber weil es die Welt drumherum mit etwas versorgt, das sie dringend braucht, reicht seine Macht weit über seine Grenzen hinaus. Sie beruht auf tausenden Agenten, die sich im Königreich drängen, übereinander gestapelt, leicht, robust, sauber, billig. Und anspruchslos: Haben sie ihre Pflicht erfüllt, lassen sie sich klaglos entsorgen. Die Agenten des Königreichs bringen Fortschritt. Aber sie befeuern auch, im wahrsten Sinn des Worts, ein Problem gigantischen Ausmaßes.

Kinga Konkel ist eine von denen, die die Macht des Königreichs brechen wollen (sie ist es auch, die den Begriff »Königreich des Plastiks« für den Vorratsraum erfunden hat, in dem das Berliner Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP) seine Pipetten und Reagenzbehälter lagert. Hauptberuflich erforscht die Zellbiologin, wie das Gehirn auf molekularer Ebene lernt. Konkel hat aber noch eine andere Aufgabe. Gemeinsam mit mehreren Kolleginnen arbeitet sie daran, den Verbrauch des FMP an Wegwerfartikeln aus Kunststoff zu reduzieren.

Allein die Biomedizin-Labore produzieren 2 bis 3 Prozent des Plastikmülls weltweit.

In der Zellbiologie arbeiten wir viel mit lebendigen Kulturen, sagt Konkel. Deshalb muss die Laborausstattung für unsere Experimente steril sein. Schon für einen simplen Versuch, etwa wenn sie überprüft, wie eine Zellkultur auf einen bestimmten Stoff reagiert, braucht sie etwa 10 Röhrchen und 20 Pipettenspitzen aus Plastik. Woche für Woche, zeigte 2025 eine Studie im »British Journal of Cancer Reports«, verbrauchen Forschende, die im Labor arbeiten, so etwa 1,8 Kilogramm Kunststoff – pro Person. Laut einer Rechnung in »Nature« von 2015 summiert sich allein der von Biomedizin-Laboren produzierte Plastikmüll im Jahr auf 5,5 Millionen Tonnen. Das entspricht zwei bis drei Prozent der gesamten Menge weltweit. Häufig werden die Wegwerfartikel nicht recycelt, sondern landen auf Müllhalden, in Verbrennungsanlagen oder in der Natur.

Wir versuchen, unseren Verbrauch zu reduzieren, indem wir möglichst oft Material aus Glas verwenden, sagt Konkel. Bis in die 1990er Jahre bestanden Pipetten, Petrischalen, Zentrifugenröhrchen oder Reagenzgefäße beinahe ausschließlich aus dem wiederverwendbaren und äußerst belastbaren Stoff. Den schon beinahe vergessenen Kreislauf, bei dem benutzte Utensilien nicht in den Mülleimer, sondern in die Spülmaschine wandern, haben Konkel und ihre Kolleginnen in den letzten Jahren wiederbelebt.

So betreibt das Institut im Keller eine eigene Waschküche, deren Spülmaschinen mit ihren Oberflächen aus Edelstahl an einen professionellen Restaurantbetrieb erinnern. Im Innern allerdings fehlen die Drahtgestelle, um Schüsseln oder Besteck einzusortieren. Stattdessen werden die Maschinen unter anderem mit pizzatellergroßen Scheiben befüllt, aus denen Dutzende Metallstäbchen senkrecht in die Höhe ragen. Auf jedes von ihnen passt eine Pipette. Hat das Reinigungsteam des FMP die Gerätschaften gesäubert, wandern sie zurück in die Labore.

Kinga Konkel steht in einem Gang
Gemeinsam mit weiteren Forschenden arbeiten die Berliner Zellbiologin Kinga Konkel ...
... und die Chemikerin Sarah Hansen darauf hin, den Verbrauch von Wegwerfartikeln aus Plastik am Institut drastisch zu reduzieren.

Dank dieses Kreislaufs laufen inzwischen wieder mehr als die Hälfte der Experimente in den chemischen Laboren des FMP mit Utensilien aus Glas ab. In den biologischen Laboren ist das nicht so einfach, sagt Konkel – nicht nur, weil bei luftdicht verpacktem Einwegmaterial am meisten Verlass auf die nötige Sterilität ist. Lebendige Zellkulturen sind auch aufwändiger herzustellen als andere Chemikalien und somit ungleich kostbarer. In biochemischen Experimenten setzen Forschende deshalb viel geringere Mengen der untersuchten Stoffe ein. Deshalb brauchen wir extrem präzise Pipetten und Röhrchen, sagt Konkel. Aus Glas würden diese gar nicht angeboten. Und wenn an einem Gefäß eine winzige Scherbe abspringt, stimmt das Volumen nicht mehr. Das wiederum würde das Ergebnis des Versuchs ebenso verfälschen wie nicht vollständig sterilisiertes Material.

Ein Labor vollständig auf den gläsernen Betrieb umzustellen, wäre aber auch aus anderen Gründen schwierig. Früher war es zum Beispiel üblich, dass an größeren Instituten ein fest angestellter Glasbläser arbeitete, der kleinere Schäden auf Zuruf beheben konnte, sagt die Chemikerin Sarah Hansen, die erforscht, wie bestimmte Moleküle die Membran lebender Zellen durchdringen und ebenfalls Teil des Nachhaltigkeitsteams des FMP ist. Diese Infrastruktur fehlt uns heute.

Müll einzusparen, ist sehr kleinteilige Arbeit.

SARAH HANSEN

Dafür sind in anderen Bereichen nachhaltige Verfahren möglich, die früher kaum umzusetzen gewesen wären. Viele Forschende sind nur für relativ kurze Zeit am FMP, sagt Hansen. Das macht es schwer, effiziente Standards für Experimente zu etablieren. Früher habe sich jeder Neuankömmling eigene Versuchsroutinen erarbeiten müssen. Und die seien, was den Materialverbrauch angeht, oft wenig effizient gewesen Heute führen wir ein digitales Laborbuch, in dem Routinen für standardisierte Verfahren festgelegt sind. So sparen wir bei jedem Experiment Material ein.

Da das digitale Journal – anders als sein analoger Vorgänger – nicht für ein einzelnes Labor, sondern institutsweit geführt wird, lässt sich jederzeit prüfen, wo im Gebäude wie viel von welcher Chemikalie vorhanden ist. Auch das spart Abfall: Früher hätte man den Stoff einfach neu bestellt, während in einem anderen Laborraum womöglich dieselbe Substanz dem Verfallsdatum entgegendämmerte. Müll einzusparen, ist sehr kleinteilige Arbeit, sagt Hansen und verweist auf eine Rolle Alufolie, die seit zwei Jahren nicht habe ersetzt werden müssen, weil die Forschenden benutzte Folie möglichst wiederverwendeten. Oder die Kästchen aus dem Königreich des Plastiks, in denen Pipetten verpackt waren und die ein zweites Leben als Aufbewahrungsboxen führen. Oder die Destillieranlage, mit der die Forschenden das Lösungsmittel Acetonitril zurückgewinnen, statt es nach der Verwendung wegzuschütten.

Das Labor, in dem Kinga Konkel an Nervenzellen experimentiert, trägt seit 2021 das Zertifikat der gemeinnützigen Organisation My Green Lab aus dem kalifornischen San Diego, die nachhaltig organisierte Labore auszeichnet. Sarah Hansens Experimentierraum sowie zwei weitere FMP-Labore haben das Prüfsiegel 2023 erhalten. Wir arbeiten daran, auch das LEAF-Zertifikat zu bekommen, sagt Hansen. Die vom University College London vergebene Auszeichnung gilt als strenger als die von My Green Lab. Weil es – statt für einzelne Labore – institutsweit gilt, hoffen Hansen und Konkel darauf, künftig noch mehr Müll vermeiden zu können.

 

Destillieranlage vor der eine Glaswand mit Beschriftungen ist

Wie das gelingen kann, beschäftigt nicht nur Labore. Auch Forschende, die der Öffentlichkeit Erkenntnisse aus Wissenschaft und Kunst vermitteln, arbeiten daran, weniger Abfall zu produzieren. Besonders Museen – speziell solche mit häufig wechselnden Ausstellungen – haben das dringend nötig. Früher ließen wir für jede Ausstellung eigene Möbel anfertigen, sagt etwa Sabine Tiedtke vom Germanischen Nationalmuseum (GNM), dem Leibniz-Forschungsmuseum für Kulturgeschichte in Nürnberg. Die Kuratorin hat unter anderem »Vernetzte Welten« entwickelt, eine Sonderschau zur Globalisierung, die das GNM bis zum 24. August 2025 zeigt.

Für >Vernetzte Welten< mussten wir kaum Ausstattung anschaffen, sagt Tiedtke. Der zentrale Würfel aus Stellwänden, um den der Rundgang verläuft, kam bereits 2024 in einer Ausstellung über das bronzezeitliche Wagengrab von Essenbach zum Einsatz. Damals strahlte er schneeweiß, nun hat er einen dunkelgrauen Anstrich bekommen. Der wiederverwendbare Kubus ist aus Modulen des Wolfsburger Modells zusammengesetzt. Das dortige Kunstmuseum hat die mit Holz verblendeten Aluminiumgerüste in den 2000er Jahren mit dem Ziel entwickelt, dass Museen sie in immer neuen Formen wieder zusammensetzen können.

Früher ließen wir für jede Ausstellung eigene Möbel anfertigen

SABINE TIEDTKE

Viele der Schaukästen und Sockel in »Vernetzte Welten« wurden bereits in früheren Schauen verwendet, etwa eine helle Platte von der Fläche eines Kinderschreibtischs, auf der eine Musikanlage aus den 1950er Jahren neben einem MP3-Spieler aus den 2000ern montiert ist. Derlei Mehrfachverwendung ist allerdings nicht immer möglich. Manche Vitrinen sind so genau auf die spezielle Form eines Exponats zugeschnitten, dass wir sie kaum wiederverwenden können, sagt Tiedtke. In solchen Fällen gebe es aber immer noch die Möglichkeit, die Vitrine in einer spezialisierten Tauschbörse anzubieten – vielleicht sucht ein anderes der 6.000 deutschen Museen genau nach einem solchen Schaukasten.

Die Möbel, auf denen sich erschöpfte Gäste niederlassen können, kommen bereits zum dritten Mal zum Einsatz. Jede Sonderausstellung läuft fünf bis sechs Monate, die Sessel sind also seit über einem Jahr in Gebrauch, sagt Tiedtke. Verfallsspuren zeigen sie bisher nicht, obwohl sie nicht etwa aus Holz und Leder bestehen, sondern aus dickwandigem Karton. Dass die Konzepte für neue Ausstellungen möglichst nachhaltig ausfallen, ist inzwischen sogar vorgeschrieben: Seit 2020 vergibt das GNM Aufträge nur an Designbüros, die das Wolfsburger Modell verwenden und – soweit möglich – bereits vorhandenes Ausstellungsmobiliar nutzen.

Ein Sessel aus Karton
Diesen Kartonsessel verwendet das GNM jetzt zum dritten Mal in einer Ausstellung.

Das Sparpotenzial ist gewaltig: Schätzungen zufolge produziert jede Sonderausstellung im Schnitt fünf Tonnen Müll. Bei 8.000 jährlichen Schauen allein in Deutschland entspräche das 40.000 Tonnen – etwa so viel, wie die Menschen in Celle im Jahr produzieren. Um die Museen zum Sparen zu ermuntern, entwickelt der Deutsche Museumsbund derzeit ein Zertifikat für besonders nachhaltig wirtschaftende Häuser. Das Zertifikat soll unabhängig überprüft werden und unter anderem das Abfallkonzept und den Einsatz wiederverwendbarer Ausstattung überprüfen.

Um nachhaltiger zu werden, müssen Museen aber auch ihren CO2-Ausstoß in den Griff bekommen. Müll ist dabei nur einer unter vielen Posten. Das Westfälische Landesmuseum in Herne erhob zwischen 2022 und 2024, dass die Kategorie »Güter«, in die müllträchtige Posten wie Ausstellungsmöbel fallen, sieben Prozent der gesamten Klimabilanz ausmachte. Deutlich schwerer wog die Mobilität. Neben Museumsgästen oder -mitarbeitenden, die mit dem Auto anreisten, waren dies unter anderem die Transportkosten für Stellwände, Vitrinen – oder für Leihgaben.

Diese sind für viele Museen ein aktuelles Thema, gerade wenn sie per Flugzeug angeliefert werden müssen. Am GNM etwa versucht Sabine Tiedtke, Leihgaben möglichst aus nicht allzu weit entfernten Häusern zu beschaffen, um unnötig hohe Emissionen beim Transport zu vermeiden. Manchmal lassen sie sich sogar ganz vermeiden, sagt Tiedtke. Die Vernetzte-Welten-Schau etwa habe man fast vollständig aus GNM-Beständen bestückt und nur wenige Exponate von Privatpersonen aus Nürnberg hinzubeschafft.

Auch Sarah Hansen vom Berliner FMP möchte den Betrieb des Instituts über das Thema Abfall hinaus nachhaltiger gestalten. Zum Beispiel haben wir die Temperatur unserer Ultratiefkühlschränke von -80 auf -70 Grad angehoben. Das spare ein Drittel des zuvor benötigten Stroms ein, und sensible Proben blieben auch bei der höheren Temperatur stabil.

Allerdings sei es nicht ganz leicht, alle Forschenden von ihrer Idee zu überzeugen, sagt Hansen. Einen der Kühlschränke haben wir deshalb bei -80 Grad belassen.

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