leibniz

Vorbemerkung: Es ist das erste Mal, dass in »leibniz« ein Tier direkt zu Wort kommt. Den eventuell etwas rauheren Umgangston bitten wir zu entschuldigen. Wissenschaftliche Belege für die subjektive Sicht von »Crocuta« finden Sie in Fußnoten am Textende. Wissenschaftlich beraten wurden wir durch Sarah Benhaiem, die gemeinsam mit Sonja Metzger das Serengeti-Hyänenprojekt des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung leitet. Begleitend haben wir Heribert Hofer interviewt, Direktor des IZW, der seit 1987 die Sozialstruktur der Hyänen erforscht.

»Ehrlich gesagt, ich würde lieber weiter an dem köstlichen Zebra nagen, das mein Clan vorhin in der Abenddämmerung erlegt hat, aber diese Redaktion (oder wie ihr Menschen das nennt) hat einfach nicht lockergelassen. Die wollen, dass ich euch etwas über uns erzähle.

Wenn’s unbedingt sein muss: Mein Name ist Crocuta. Mein wahrer Name lautet natürlich anders. Aber ihr habt ja bisher keine Schrift für unsere Sprache erfunden, und wir selbst haben wirklich Besseres zu tun, als uns über solchen Unfug Gedanken zu machen. Wobei, eine Schrift, deren Buchstaben aus Gnukeule bestehen oder wenigstens kräftig nach Analdrüsensekret duften, könnte durchaus interessant für uns sein. Jedenfalls, Crocuta crocuta nennt ihr mich, obwohl ich meine, dass manche von euch auch Tüpfelhyäne sagen.

Also, wo soll ich anfangen? Vielleicht am besten bei euch selbst. Wenn ich euch beobachte – ihr turnt ja nicht selten in meinem Revier herum –, habe ich manchmal den Eindruck, viele eurer Männchen halten sich für geborene Anführer. Hihihihihihihi. Sorry, aber Männchen als Anführer? Eher tanzt ein Flusspferd Tschaikowsky.

Ich weiß, wovon ich rede, ich bin das Alpha-Weibchen meines Clans. Der beste Platz in der Hierarchie: Ich darf meistens in der Nähe jagen. Manches niederrangige Weibchen latscht regelmäßig 150 Kilometer hin und zurück, um Nahrung zu finden. Neun Tage lang, nur für ein Gazellensteak! Kein Wunder, dass deren Welpen oft etwas knochig bleiben. Meine dagegen kriegen ihre Milch regelmäßig. Wir säugen unsere Jungen übrigens mit einem absoluten Premiumprodukt: 14 Prozent Fett und noch etwas mehr Eiweiß.1

Zwei Hyänenbabys am Säugen
Zwei Hyänenbabys beim Säugen. Foto SONJA METZGER

Erst vor einer Woche habe ich zwei Mädchen zur Welt gebracht. Ich weiß ja nicht, wie das in einem Menschenbau abläuft, aber Mädchen sind wirklich anstrengend. Ständig dieses Dominanzgehabe, schon im frühesten Kindesalter. Kürzlich zum Beispiel war das Revier leergefegt, nicht das klitzekleinste Beutetier habe ich gefunden. Ich musste wandern, da nützt dann das Alpha auch nichts. Unter uns gesagt: Manches niederrangige Weibchen findet schneller ein Gnu als ich. Die haben einfach mehr Erfahrung mit dieser Pendelei. Ich kam also erschöpft zurück und hatte wenig Milch; prompt trank die Dominante alles für sich allein. Wenn sowas länger anhält, verhungert mir ihre Schwester. Alles schon erlebt.2

Zwillinge kämpfen um die Rangordnung.
Zwillinge konkurrieren um die Rangordnung. Foto SARAH BENHAIEM

Manchmal verliere ich beinahe den Überblick über meine Nachkommen, immerhin bringe ich jedes Jahr zwei Welpen zur Welt. Manchmal auch nur eins. Was immer noch besser ist als drei. Wir Tüpfelhyänenweibchen haben nämlich nur zwei aktive Zitzen. Für den schwächsten von drei Welpen bedeutet das leider beinahe sicher den Tod.

Dafür tanzen mir stärkere Töchter schon nach zwei Jahren auf der Nase herum. Ich meine es wörtlich: Letztes Jahr bin ich von meinem eigenen Nachwuchs entmachtet worden. Zwei von ihnen haben sich einfach zusammengetan und mich so hart verprügelt, dass mich monatelang niemand mehr ernst genommen hat. Ich dachte, ich spinne: Plötzlich macht meine Tochter auf Alpha-Weibchen! Und der Rest des Clans spielt auch noch mit. Jedes Mal, wenn sie den anderen ihren Hintern hingehalten hat, haben alle beim Schnuppern am Analdrüsensekret brav den Schwanz eingezogen. Da gibt’s bei uns keine Diskussion: Wer den Schwanz einzieht, ist kein Chefinnenmaterial.3

Zwei Hyänen im Rangkampf.
Das tieferrangige Tier legt die Ohren an, zeigt die Zähne, zieht den Schweif zwischen die Beine und senkt den Kopf. Fotos SONJA METZGER
Begrüßungszeremonie

»Ich frage mich häufiger, was unsere Männchen eigentlich so machen.«

Richtig böse war ich ihnen irgendwie nicht; wenigstens ist die Macht in der Familie geblieben. Als ich damals geputscht habe, musste ich ein Weibchen verdrängen, mit dem ich nicht einmal verwandt war. Ihr seht, ich bin schon länger im Geschäft. Das haben meine Mädels dann auch schnell gelernt. Ich habe mir meine zwei Lieblingstöchter geschnappt und einfach zurückgeputscht.

Was unsere Männchen eigentlich so machen? Das frage ich mich auch öfters. Welpen ziehen sie nicht auf. Fleisch schaffen sie auch nicht ran, jedenfalls nicht für uns Weibchen. Sie beschützen uns auch nicht wirklich vor den Löwen. Der Sex mit ihnen könnte eigentlich ganz okay sein, wenn sie sich nicht so dusselig anstellen würden. Wir Weibchen haben ja eine penisförmig verlängerte Klitoris. Scherzhaft bezeichnen wir sie gelegentlich als unser Schweizer Taschenmesser, weil wir mit ihr pinkeln, gebären und kopulieren.4

Das mit dem Messer finden übrigens erstaunlich viele Männchen überhaupt nicht lustig, schließlich muss ihr Penis ja da rein. Weil unsere Klitoris nach unten hängt, der erigierte Penis aber nach vorn zeigt, muss das Männchen uns in quasi senkrechter Körperhaltung besteigen, damit es eine Chance hat einzudringen – ziemlich schwierig für einen Vierbeiner.5 Sagt es bitte nicht weiter, aber manchmal machen wir uns einen Spaß daraus, mitten im Balanceakt einen Schritt nach vorn zu machen. Unbezahlbar witzig, wie das Männchen dann umplumpst!

Zwei Hyänen bei der Paarung.
Wenn es mit der Paarung klappen soll, muss das Weibchen mithelfen. Foto SONJA METZGER

Manchmal frage ich mich wirklich, wieso die sich das alles gefallen lassen. Sie kämpfen nicht mal untereinander. Um aufzusteigen, wartet ein Männchen brav, bis höherrangige Tiere abwandern oder sterben (es hilft nicht einmal nach beim Sterben). Das mit dem Abwandern ist übrigens eine klare Win-Win-Situation. Unsere jungen Weibchen verschmähen nämlich ältere Männchen aus dem eigenen Clan. Das verhindert, dass sie sich nachher noch mit dem eigenen Vater paaren – wie gesagt, mit der Welpenaufzucht haben es unsere Männchen nicht so, Väter und Töchter erkennen sich nicht einmal.

Wenn jetzt ein Männchen in einen neuen Clan einwandert, ist das für dessen Weibchen natürlich eine willkommene Abwechslung. Und das Männchen darf sich endlich mal paaren. Als ich kürzlich an einem eurer Forschungstrucks geschnüffelt habe, sagte eine Forscherin, dieses Durchmischen sei gut für den Genpool. Ich habe keine Ahnung, was ein Genpool ist (obwohl wir im Hochsommer dringend mehr Pools bräuchten), aber es wird schon stimmen.

Wie lange das schon so läuft? Ich kann jetzt nur grob schätzen, aber ein paar Millionen Jahre werden‘s wohl sein. Deshalb muss ich auch immer so schmunzeln, wenn ich eure Gespräche belausche. Wir hätten eine außerordentlich komplexe Sozialstruktur, habe ich mal einen Wissenschaftler sagen hören. Die Rangordnung einer Gruppe werde sonst nur bei Affen oder Delfinen über Generationen weitergegeben.

Dass ich nicht lache: Ihr seid gerade mal seit 300.000 Jahren hier und bildet euch ein, ihr könntet Schulnoten verteilen! Glaubt ihr, wir hier in der Serengeti kriegen nicht mit, was ihr in den letzten Jahrtausenden so getrieben habt, rangordnungsmäßig? Ich sag‘ nur Pharao, Imperator, Papst, Kalif, König, Kaiser, Khan, Shah, Mogul, Präsident, Diktator, Kanzler. Wenn ihr mich fragt: Besonders stabil sind eure Rangordnungen nicht. Vielleicht solltet ihr öfter eure Weibchen bestimmen lassen.

In eine Drahtschlinge geratene Hyäne. Foto SONJA METZGER

Apropos: Ich habe noch ein Perlhuhn mit euch zu rupfen: Letzte Woche kam ausgerechnet meine Lieblingstochter humpelnd von der Jagd zurück, mit einem blutenden Lauf. Und jetzt keine Ausflüchte, bitte. Ich weiß genau, wer diese Drahtschlingen auslegt: Ihr seid das! Wenn eine von uns so verstümmelt nach Hause kommt, bedeutet das: Sie wird weniger Welpen zur Welt bringen, und die wenigen Welpen werden früher sterben. Eine Mutter, die nur drei Füße übrig hat, kann ihre Jungen nicht richtig versorgen.6 Leute, wenn ihr uns unbedingt unsere Antilopen wegfressen wollt, dann nehmt euch wenigstens ein Beispiel an uns und jagt selbst, statt Fallen zu verteilen und euch aufs faule Fell zu legen. Schlingen sind Tierquälerei!«

1 Eine Studie des IZW von 2016 zeigte: Wenn Hyänenweibchen ihren Nachwuchs länger allein lassen müssen, um Nahrung zu beschaffen, bekommen dominante Geschwister nach der Rückkehr der Mutter häufiger und mehr Milch als weniger dominante.

2 Welpen konkurrieren schon kurz nach der Geburt um den höchsten Rang. Das dominante Junge lernt von der Mutter, sich wie ein Alphatier zu verhalten und steht daher im Rang üblicherweise direkt unter ihr. 2024 wiesen Forschende des IZW nach, dass der soziale Rang sich sogar epigenetisch niederschlägt, dass also bei dominanten Weibchen andere Gene aktiviert werden als bei niederrangigen Tieren.

3 Wenn weibliche Welpen heranwachsen, rutscht die bisher dominante Tochter im Rang ab. Es kommt manchmal vor, dass ältere Töchter sich mit anderen Weibchen zusammentun, um sich an den Schwestern vorbei an die Spitze des Rudels zu putschen und die eigene Mutter zu entmachten. Der beschriebene Machtkampf spielte sich um 2008 in der Serengeti ab.

4 Diese einzigartig umgebildete Klitoris, durch die sowohl Vagina als auch Harnröhre verlaufen (eine anderen Arten vergleichbare Vulva besitzen weibliche Hyänen nicht), kann auch erigieren. Dies dient allerdings nicht zur Paarung, sondern dazu, die Rangordnung zu verdeutlichen. Anders als bei Arten mit dominanten Männchen ist bei Tüpfelhyänenweibchen die Erektion aber kein Zeichen der Dominanz, sondern der Unterwerfung.

5 Junge, unerfahrene Männchen, beobachteten Forschende des IZW, brauchen im Schnitt 120 Versuche, um erfolgreich ein Weibchen zu besteigen.

6 Forschende des IZW werteten Daten aus, die zwischen 1987 und 2020 erhoben wurden. Sie dokumentierten, dass Verletzungen durch Drahtschlingen zwar nicht die Lebenserwartung der Tiere selbst senkte, wohl aber die ihres Nachwuchses. Die Hauptgründe könnten sein, dass die Muttertiere anfälliger für Entzündungen und Infektionen waren. Zudem könnte sie die Verletzung daran hindern, die Entfernungen zurückzulegen, die nötig sind, um genug Nahrung zu finden.

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